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Menschenrechtsgericht klopft Türkei auf Finger

10. Dezember 2019

Kritik an der Regierung sei nicht strafbar, unterstreichen die Richter am EGMR in Straßburg. Das Urteil im Fall Kavala ist für die türkische Justiz eine Ohrfeige. Doch ob Ankara es umsetzt, ist völlig offen.

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Belgien Osman Kavala in Brüssel
Wurde 2017 in der Türkei festgenommen: Osman Kavala (Archivbild)Bild: picture-alliance/AA/D. Aydemir

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat die Türkei aufgefordert, Osman Kavala "sofort" freizulassen. Der Bürgerrechtler und Kulturmäzen sitzt seit zwei Jahren im Gefängnis. Die Regierung müsse "alle notwendigen Maßnahmen treffen, um der Inhaftierung des Klägers ein Ende zu setzen", erklärte das Gericht und kritisierte einen Versuch, "Kavala zum Schweigen zu bringen und mit ihm alle Verteidiger der Menschenrechte".

Das Gericht verurteilte die Türkei, weil Kavalas "Recht auf Freiheit und Sicherheit" verletzt worden sei. Zudem habe die türkische Justiz nicht ausreichend schnell über die Rechtmäßigkeit seiner Inhaftierung entschieden. Der Verdacht, Kavala habe die Proteste mit ausländischer Hilfe finanziert, sei nicht ausreichend durch Indizien erhärtet worden, erklärten die Richter in Straßburg. Kavalas Regierungskritik und die Gründung von Nichtregierungsorganisationen seien als solche nicht strafbar, sondern Ausdruck seines Rechts auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit.

Anklage erst nach einem Jahr

Der renommierte Unternehmer und Kulturförderer war im Oktober 2017 festgenommen worden und sitzt bis heute in Untersuchungshaft. Erst nach mehr als einem Jahr legte die Staatsanwaltschaft in dem Fall eine Anklageschrift vor. Kavala wird darin zusammen mit 15 weiteren Vertretern der türkischen Zivilgesellschaft vorgeworfen, die regierungskritischen Gezi-Proteste im Sommer 2013 finanziert und mit organisiert zu haben.

Türkei PK zu Osman Kavala, 1 Jahr nach seiner Verhaftung
Pressekonferenz von Kavalas Anwälten im Oktober 2018Bild: Getty Images/AFP/O. Kose

Die Proteste hatten sich im Mai 2013 an Plänen von Recep Tayyip Erdogan zur Bebauung des Istanbuler Gezi-Parks entzündet. Der jetzige Staatspräsident war damals noch Regierungschef. Nach einem brutalen Polizeieinsatz gegen Umweltschützer weiteten sie sich aufs ganze Land aus. Erst nach Wochen gelang es den Sicherheitskräften, die Protestbewegung niederzuschlagen.

Festnahme nach Termin im Goethe-Institut

Der Prozess gegen Kavala stößt international auf scharfe Kritik. Der Unternehmer hatte sich vor seiner Festnahme mit seiner Organisation Anadolu Kültür für den Dialog der Volksgruppen eingesetzt und einen der größten Verlage der Türkei betrieben. Zudem war er international ein gefragter Kooperationspartner. Am Tag seiner Festnahme in Istanbul kam er gerade von einer Besprechung mit dem Goethe-Institut in der südtürkischen Stadt Gaziantep.

Ein Gericht in Istanbul muss bei der nächsten Verhandlung in zwei Wochen erneut über einen Antrag auf Kavalas Freilassung entscheiden. Als Mitglied des Europarats ist die Türkei eigentlich verpflichtet, Urteile des Straßburger Gerichtshofs umzusetzen. Da sich die türkische Justiz in anderen Fällen bereits über dessen Entscheidungen hinweggesetzt hat, ist jedoch fraglich, ob sich die türkischen Richter diesmal daran gebunden fühlen.

Erdogan: Wir sind nicht daran gebunden

So hatte der EGMR vor einem Jahr im Fall des inhaftierten Kurdenpolitikers Selahattin Demirtas ebenfalls die sofortige Freilassung gefordert: Die zweijährige Untersuchungshaft sei politisch motiviert und verletze dessen Rechte. Präsident Erdogan erklärte daraufhin aber, die Türkei sei nicht an Entscheidungen des Straßburger Gerichts gebunden. Ein türkisches Gericht lehnte wenig später die Freilassung von Demirtas ab.

jj/AR (afp, rtr)