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Menschenrechtspreis für russischen Aktivisten

Andrej Kern
29. Januar 2024

Sergej Lukaschewski ist eine wichtige Stimme der russischen Opposition. Nach seiner Flucht aus Moskau kämpft er mit Radio Sacharow für ein freies Russland. Für sein Engagement wurde er nun geehrt.

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Ein Mann überreicht einem anderen einen Preis, hinter ihnen ein Orchester
Dirigent Adam Fischer (rechts) rief den Menschenrechtspreis ins Leben, der dieses Jahr an Sergej Lukaschewski gingBild: Susanne Diesner

Erst im März 2022 verließ Sergej Lukaschewski mit seiner Familie Moskau - nach dem  Überfall Russlands auf das Nachbarland Ukraine. Hinter ihm lagen viele Jahre eines dramatischen Kampfes gegen das immer brutalere Regime Putins. Die letzten 14 davon verbrachte er an der Spitze des Moskauer Sacharow-Zentrums, der wohl renommiertesten Menschenrechtsorganisation in ganz Russland. Benannt nach dem  Bürgerrechtler und Dissidenten der Sowjetära, Andrej Sacharow. Schon lange war sie den russischen Machthabern ein Dorn im Auge. Bereits 2012 wurde das Zentrum als  "ausländische Agentur" diffamiert, im Sommer 2023 dann endgültig geschlossen.

"Radio Sacharow": Plattform für ein neues Russland

Nun lebt und arbeitet Lukaschewski - wie Zehntausende anderer russischer Intellektueller - in Berlin. "Die ersten Monate nach dem 24. Februar 2022 verharrten wir angesichts dieser Katastrophe in Schockstarre", sagt der 48-jährige Historiker. Doch dann stellte er sich einer neuen Herausforderung: Mit Unterstützung des  Recherchekollektivs "Correctiv" baute Lukaschewski mit seinen Mitstreitern das Exilmedium "Radio Sacharow" auf.

Der Sender und die Podcast-Plattform sind so etwas wie ein Sacharow-Zentrum im virtuellen Raum - eine Informations- und Austauschplattform für alle, die ein neues Russland nach Putin mitgestalten wollen.

Ein zweistöckiges Haus, dahinter Wald
Zu kritisch: Das Sacharow-Zentrum in Moskau missfiel Putin - und wurde geschlossenBild: Valery Sharifulin/TASS/IMAGO

Nun wurde Sergej Lukaschewski vom renommierten Konzerthaus Tonhalle in Düsseldorf am Sonntag, den 28. Januar 2024, mit einem bedeutenden Menschenrechtspreis ausgezeichnet. Der mit 10.000 Euro dotierte Preis wurde von dem Dirigenten Adam Fischer ins Leben gerufen, einem in Ungarn geborenen Musiker, der selbst Erfahrungen mit diktatorischen Regimen machen musste und dessen Großeltern im Holocaust umkamen. "Die fürchterlichen Kriege und Konflikte, die aktuell auf der Erde toben, sei es nun Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine, der Überfall der Hamas auf Israel und der daraus resultierende verheerende Krieg in Gaza, dürfen uns nicht dazu verleiten, Menschenrechtsverletzungen zu relativieren, sie aus nationalen Zusammenhängen durch die eine oder die andere Brille zu betrachten", sagte Fischer in seiner Laudatio. Auch wenn es schwierig sei, neutral zu bleiben, dürfe man nie vergessen: "Menschenrechte sind absolut. Sie sind universell, unabhängig von Geschlecht, Religion, Herkunft oder politischer Überzeugung. Sie gelten für Russen und Ukrainer, für Israelis und Palästinenser, für jeden einzelnen Menschen überall auf der Welt." Tosender Applaus brandete in der Tonhalle in Düsseldorf auf, wo am Tag zuvor Hunderttausende gegen Rechts demonstriert hatten. Übrigens als Folge der Recherchen des Netzwerks "Correctiv". Es hatte geheime Pläne von rechtspopulistischen AfD-Politikern und Neonazis aufgedeckt, die über die Vertreibung von Millionen Menschen mit Migrationshintergrund aus Deutschland gesprochen haben sollen.

Russland: Wie geht es weiter?

Für Sergej Lukaschewski und seine zahlreichen Mitstreiterinnen und Mitstreiter ist der Preis weit mehr als eine symbolische Geste der Anerkennung und eine willkommene Gelegenheit, auf ihre Arbeit aufmerksam zu machen. Er sei ein Zeichen der aktiven Solidarität der deutschen Gesellschaft und auch ein Beweis für den Glauben an das "andere Russland", ohne das es keine europäische Zukunft gebe. "Die Anerkennung dieser Tatsache ist auch für Westeuropa überlebenswichtig", betonte Lukaschewski.

Ein Mann sitzt vor einem Mikrofon
Chefredakteur des "Radio Sacharow": Sergei LukaschewskiBild: DW

"Everything Was Forever, Until It Was No More" (dt.: Es schien für immer, bis es vorbei war) ist der Titel eines Buches des in den USA lebenden russischen Anthropologen Alexei Yurchak. Es handelt sich dabei um eine Analyse des Zusammenbruchs der Sowjetunion und seiner Folgen. Ein ausführliches Gespräch mit dem Autor ist als Podcast auf der Plattform "Radio Sacharow" abrufbar. "Natürlich geht auch dieses Regime zu Ende", sagt Lukaschewski. "Wann genau, können wir noch nicht sagen, aber es ist nur eine Frage der Zeit." Man sei gut beraten, vorbereitet in diesen Moment zu gehen, der schneller kommen könnte, als man sich das heute vorstellen könne. Als Historiker treibe ihn vor allem die Frage um: Welche Rolle soll Russland in Zukunft spielen? "Man muss die gesamte russische Geschichte, vor allem die der letzten drei Jahrzehnte, völlig neu denken", sagte er. "Und diese Arbeit muss jetzt geleistet werden."

Musiker stehen auf einer Bühne
Bei der Verleihung des Menschenrechtspreises an Sergej Lukaschewski musizierten die Musiker der Tonhalle DüsseldorfBild: Susanne Diesner

Ob im In- oder Ausland: "Russland gehört zu Europa - egal, was dort gerade passiert. Und dass die russische Gesellschaft nicht nur aus Putin und den Seinen besteht, ist nicht nur für die Zukunft Russlands, sondern auch für die westlichen Länder von zentraler Bedeutung".

Die verbreitete Meinung, die russische Gesellschaft sei völlig verstummt, sei falsch, so Lukaschewski. Es seien nicht nur die Stimmen einiger Helden, die für die Freiheit kämpfen und dafür vom Regime zu drakonischen Haftstrafen verurteilt werden - nein, es seien auch Stimmen aus der normalen Bevölkerung zu hören.

So gaben in einer offiziellen Meinungsumfrage des zentralen russischen Fernsehsenders 12 Prozent der Russen an, dass sie die "besondere Militäroperation", wie Putin den Krieg gegen die Ukraine nennt, nicht unterstützen. "Bei einer Bevölkerung von über 140 Millionen sprechen wir hier von vielen Millionen mutigen Menschen", betont Lukaschewski. Der Düsseldorfer Preis gelte auch all diesen Menschen, die viel riskierten, weil sie ihre Haltung zum Ausdruck brächten.

Der Menschenrechtpreis der Düsseldorfer Tonhalle wird 2024 bereits zum neunten Mal verliehen. Zu den bisherige Preisträgern gehören unter anderem die Klimaaktivistinnen und -aktivisten von Fridays for Future Deutschland (2021), der türkische Kulturförderer und Menschenrechtsaktivist Osman Kavala (2022) sowie die iranische Aktivistin Sanaz Azimipour vom Woman *Life Freedom Kollektiv Berlin" (2023).