Auschwitz-Gedenken
26. Januar 2015Sie war zum Leben verurteilt worden auf der Rampe, so beschreibt es die zierliche weißhaarige Dame und sie spricht von dem Auftrag, den sie deswegen hat. Eva Pusztai-Fahidi, eine ungarische Jüdin, die das Grauen von Auschwitz erlebt hat, ist eine von zwei Überlebenden, die auf der zentralen Auftaktveranstaltung zum 70. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau spricht. Vor ihr sitzen Bundeskanzlerin Angela Merkel, Abgeordnete, Vertreter der Religionsgemeinschaften, viele junge und alte Menschen. Fahidi steht sehr aufrecht, hält ihr Redemanuskript mit beiden Händen vor sich in Brusthöhe. Ihre Worte lassen den ganzen Saal zurückkehren zu der Angst und der Demütigung, die sie erlebt hat. Zurück nach Auschwitz, wo ihre 11-jährige Schwester und die Mutter nach der Ankunft vergast wurden und auch 47 Mitglieder ihrer Großfamilie.
Auschwitz-Erfahrung als Lebensaufgabe
Es ist die Geschichte von der Asche der Lieben, die von der SS in den Teich beim Lager gekippt wurde, vom Leichengestank, dem Durst und dem Hass, den sie durchlebt hat. So unfassbar das alles ist: es ist jetzt so nah, so persönlich. Merkel hört konzentriert zu, den Kopf leicht nach rechts geneigt. Drei Reihen hinter ihr streicht eine Frau mit den Fingerkuppen auswärts über die Haut unter ihren Augen. Über sechs Millionen Menschen starben durch die deutsche Mordmaschinerie, über eine Million davon in Auschwitz. Die meisten davon waren Juden aus Ungarn wie Fahidi. Warum gerade sie am Leben geblieben sei, habe sie sich gefragt. "Weil ich eine Zeugin bin, weil ich mir alles was ich sah gut gemerkt habe und weil ich es der Welt weitergeben muss!" Als Fahidi endet, ist der Saal - man verzeihe den holprigen Ausdruck - bedröppelt, benommen. Beklatscht man nun das Zeugnis dieses Leids? Doch! Erst ein paar, zögernd, dann pflanzt sich der Applaus immer rascher aus, schließlich erhebt sich jeder Einzelne. Fahidi verlässt die Bühne über eine kurze Treppe, sie stützt sich auf das Geländer. Und erst als sie sich gesetzt hat, ebbt das Klatschen ab.
Die Gedenkveranstaltung, die vom Internationalen Auschwitz Komitee in einem Berliner Veranstaltungszentrum organisiert worden ist, soll die Kontinuität der Erinnerung unterstreichen. Junge Menschen stehen jetzt auf der Bühne, die von ihrem Umgang mit der Vergangenheit sprechen. Eine polnische Berufsschülerin und eine Auszubildende aus Wolfsburg, die beide an einem Projekt auf dem Gelände des ehemaligen Vernichtungslagers berichten und von der Verantwortung, die sie spüren, damit nichts in Vergessenheit gerät. "Wir haben auch zusammen geweint", gesteht die Wolfsburgerin. Und es spricht ein Lehrer aus Jerusalem, der inzwischen in Berlin arbeitet und damit mitten unter den Nachfahren derer, die seine Angehörigen ermordet haben. "Jedes Mal, wenn ich meine Familie sehe, denke ich an die Brüder meines Großvaters, an die Familien, die sie nie hatten."
Merkel betont die deutsche Verantwortung
Noch ein Musikstück, dann wird die Bundeskanzlerin auf die Bühne gebeten. Eine Stunde dauert diese Veranstaltung nun bereits und es ist sehr viel Persönliches, Schreckliches und Hoffnungsvolles erzählt worden. Erinnerung, Emotion. Angela Merkel kann das nicht unberührt gelassen haben. Vielleicht ahnen es die Anwesenden noch, während ihrer Begrüßungsworte, wenn das "Sehr geehrte" rau klingt und sie hörbar Luft holt zwischen den Absätzen. "Liebe Frau Fahidi, ich trauere mit ihnen", sagt Merkel, aber da hat sie sich schon wieder gefasst und spricht ganz als Bundeskanzlerin.
Ausgewogene und wichtige Sätze sind es, die den richtigen Umgang Deutschlands mit Auschwitz umreißen. "Wir haben die immer währende Verantwortung, das Wissen über die Gräueltaten von damals, das Morden von gestern weiterzugeben und das Erinnern wach zu halten." Merkel ist beim Tagesgeschäft des Erinnerns angelangt und den Formeln, die dabei üblich sind. "Auschwitz fordert uns täglich heraus, unser Miteinander nach Maßstäben der Menschlichkeit zu gestalten." Bei ihr wissen die Zuhörer genau, wann die Zeit für den Applaus ist.