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Politik

"Großbritannien muss wissen, was es will"

27. Juni 2020

In einem großen Zeitungsinterview steckt die Bundeskanzlerin ihre politischen Leitlinien für die EU-Ratspräsidentschaft ab. Von allen drängenden Themen rutscht eines in ihrer Agenda jedoch überraschend weit nach hinten.

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Coronavirus - Merkel spricht mit Ministerpräsidenten
Großer Konferenztisch im Bundeskanzleramt (Archivbild)Bild: Getty Images/H. Schacht

Um einen richtig großen Konferenztisch im Berliner Kanzleramt hatte Angela Merkel die sechs europäischen Zeitungsjournalisten versammelt - genügend Platz also, um die geltenden Abstandsregeln einzuhalten. Und im Gespräch mit den Korrespondenten von Süddeutscher Zeitung, dem britischen Guardian, der französischen Le Monde, La Vanguardia aus Spanien, der italienischen La Stampa und Polityka aus Polen, äußerte die Bundeskanzlerin ernsthafte Zweifel daran, dass London ein echtes Interesse an einem geregelten Brexit hat.

Die britische Regierung unter Premierminister Boris Johnson wolle für sich selbst festlegen, welche Beziehungen sie künftig zum geeinten Europa haben wird, stellte Merkel fest. "Sie wird dann natürlich mit den Konsequenzen leben müssen, das heißt, mit einer weniger eng verflochtenen Wirtschaft." Nicht die EU müsse die britischen Interessen berücksichtigen, "es liegt an Großbritannien, dies zu definieren, und wir 27 Partnerländer in der EU werden angemessen darauf reagieren". Sollte das Vereinigte Königreich bei Umwelt, Arbeitsmarkt oder Sozialstandards keine vergleichbaren Standards haben wollen, dann würden die Beziehungen weniger intensiv sein.

Merkels Botschafter in Brüssel, Michael Clauss, hatte kürzlich gesagt, der Brexit werde im Herbst die meiste politische Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Damit schürte er die Hoffnung der Briten, die sechsmonatige deutsche EU-Ratspräsidentschaft könne die Verhandlungen zwischen London und Brüssel wieder an die Spitze der politischen Agenda rücken, bevor der Verlängerungszeitraum am 31. Dezember endet. Merkel machte vor den europäischen Medienvertretern jedoch unmissverständlich klar, dass sie ihre politische Energie vor allem in den wirtschaftlichen Aufbau Europas nach der COVID-19-Pandemie investieren werde.

"Herausforderung beispiellosen Ausmaßes"

Die Pandemie bezeichnete sie als "Herausforderung beispiellosen Ausmaßes". In einer solchen Krise werde "von jedem Einzelnen von uns erwartet, dass er tut, was getan werden muss", sagte sie mit Blick auf den von Deutschland und Frankreich angeschobenen Wiederaufbaufonds in Höhe von 500 Milliarden Euro. "Was in diesem Fall getan werden muss, ist etwas Außerordentliches." Deutschland, so Merkel, dürfe nicht nur an sich selbst denken, sondern müsse "zu einem außergewöhnlichen Akt der Solidarität bereit" sein.

Die Initiative von Merkel und Macron stößt in Österreich, Schweden, Dänemark und den Niederlanden auf Widerstand. Während der deutschen Ratspräsidentschaft muss neben diesem größten Finanzpaket in der Geschichte der EU auch ein neuer Haushalt beraten und beschlossen werden.

rb/ack (dpa, kna, sueddeutsche.de, theguardian.com)