Auf der Durchreise
11. Oktober 2016Musa Kamaras Geschichte gibt es in unzähligen Varianten: "Vor einem Jahr habe ich meine Heimat Liberia verlassen, um nach Europa zu gehen und Geld zu verdienen, für meine Familie. Ich habe zwei Kinder. Bis Tripolis bin ich gekommen, dort haben sie mich ins Gefängnis gesteckt, um Lösegeld zu erpressen. Aber ich konnte nichts zahlen, ich hatte nichts mehr." Zwei Monate habe er im Gefängnis gesessen, sein Kopf sei nicht mehr in Ordnung, die Haare seien ihm ausgefallen. Jetzt sitzt der 26-Jährige in Niamey, der Hauptstadt Nigers, im Regionalzentrum der IOM, der Internationalen Organisation für Migration, die ihn für eine Weile unterstützt. Wieder Niamey, diesmal auf dem Weg zurück. Gescheitert.
Schicksale wie diese lernt die deutsche Bundeskanzlerin auf der zweiten Station ihrer Afrika-Reise kennen. Nahezu jeder Westafrikaner, der nach Europa will, muss durch Niger. 90 Prozent von ihnen gehen durch Agadez im Norden des Landes, nach Libyen, Richtung Mittelmeer. 180.000 geschätzt in diesem Jahr. Einst war Agadez ein Touristen-Hotspot, jetzt lebt die Stadt vom Schleusen und vom Menschenhandel.
Aufbauen statt schleusen
"Für diese Wirtschaft muss ein Ersatz gefunden werden", sagt Merkel nach ihrem Treffen mit dem nigrischen Präsidenten Mahamadou Issoufou. Sie plädiert für Ansätze, die nahe am Menschen sind. Als erstes muss es andere Verdienstmöglichkeiten geben, "cash for work" nennt sie das: Infrastruktur aufbauen, Häuser, Schulen, das Ganze in Zusammenarbeit mit regionalen Akteuren. Mit denen arbeitet auch die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) beim Projekt "Better Migration Management" zusammen. Das will mehr als nur verbesserten Grenzschutz: "Es geht zum Beispiel darum, Opfer von Menschenhandel zu identifizieren, sicherzustellen, dass sie menschenwürdig behandelt werden, auch von den Grenzpolizisten", sagt GIZ-Chefin Tanja Gönner.
Effizient, vernünftig und wirksam Geld ausgeben
Der nigrische Präsident spricht lieber vom ganz großen Bild. Sein Land bekomme zwar großartige Unterstützung, gerade auch von Deutschland. Doch das sei alles nicht ausreichend: "Der gesamte EU-Treuhandfonds umfasst ja nur 1,8 Milliarden Euro. Niger allein braucht für die Umsetzung seiner Pläne eine Milliarde." Für einen Marshall-Plan begeistert sich Issoufou vor der versammelten Presse, einen Aufbau-Plan, wie er Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgreich gemacht habe. Doch da bremst ihn Merkel klar und eindeutig aus: Zunächst mal solle das Geld, das bereits zugesagt sei, "effizient, vernünftig und wirksam" ausgegeben werden. Wenn die Projekte in Agadez gut anliefen, könne man mit ihr über eine Aufstockung reden. Mit der Lage Deutschlands nach 1945 sei die Situation ohnehin nicht zu vergleichen: Trotz aller Zerstörung habe die Koordinierung funktioniert und das Bildungsniveau sei sehr viel höher gewesen.
Ein Projekt, das wohl mit mehr Mitteln aus Deutschland rechnen darf, mit jährlich mehr als zehn Millionen für ihre Westafrikastrategie, ist die IOM. Damit wird sie Migranten über die Gefahren des Weges nach Norden informieren, über die vielen Toten im Mittelmeer und die noch zahlreicheren, die in der Sahara sterben. Und sie hat Musa Kamara ein Flugticket gekauft, damit er nach Hause kann.