Merkel ruft Bürger zum Durchhalten auf
20. April 2020"Wir dürfen uns keine Sekunde lang in Sicherheit wiegen", sagte die Kanzlerin in Berlin. "Wir müssen wachsam und diszipliniert bleiben." Sie sage dies wissend um die Not vieler Menschen, etwa der Alleinerziehenden, der Beschäftigten in der Gastronomie und der vielen Künstler. Es wäre "jammerschade, wenn wir sehenden Auges in einen Rückfall gehen würden". Auch wenn am Montag die ersten Lockerungen in Kraft getreten seien, müsse jedem klar sein, "dass wir noch lange nicht über den Berg sind", betonte Angela Merkel. Sollten die Infektionszahlen nach den ersten Öffnungen wieder stark steigen, müssten die scharfen Einschränkungen und der "Shutdown" wieder verhängt werden. Dies wolle sie unter allen Umständen vermeiden, auch im Interesse der Wirtschaft.
Zugleich appellierte sie an die Regierungen der Bundesländer, bei den Lockerungen der Beschränkungen behutsam vorzugehen. Viele dieser Lockerungen lägen im Kompetenzbereich der Länder - diese müssten nun dafür sorgen, dass dieser Spielraum "möglichst eng ausgenutzt wird und nicht möglichst weit", sagte die Kanzlerin. "Ich glaube, dass wir ansonsten Gefahr laufen könnten, dass wir die Lockerungen nicht genau übersehen."
Die derzeitige Situation sei "trügerisch", sagte Merkel. "Was wir heute begonnen haben, die Öffnung der Läden - was das bedeutet bei den Infektionszahlen, das sehen wir in 14 Tagen, nicht früher." Es sei weiterhin nötig, "wachsam und diszipliniert" zu bleiben - "wenn ich von 'wir' rede, dann sind das alle, die Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes". Wichtig sei vor allem, dass alle Infektionsketten nachverfolgt werden könnten. Dies sei in Deutschland nach wie vor noch nicht möglich. Merkel betonte, die bislang von Bund und Ländern getroffenen Maßnahmen seien nicht so scharf wie in anderen europäischen Ländern, wo beispielsweise Parks geschlossen seien und Menschen nicht nach draußen gehen dürften. Sie hoffe, dass solche Schritte in Deutschland nicht notwendig würden.
Warnung vor "Öffnungsdiskussions-Orgien"
Schon zuvor hatte die Bundeskanzlerin die Diskussion über weitergehende Aufweichungen des Lockdowns im Kampf gegen das Coronavirus außergewöhnlich scharf kritisiert. In einer Schaltkonferenz des CDU-Präsidiums betonte die Kanzlerin, wie unzufrieden sie sei, dass die Botschaft vorsichtiger Lockerungen in einigen Bundesländern zu "Öffnungsdiskussions-Orgien" geführt habe. Dies erhöhe das Risikos eines Rückfalls sehr stark. Die Gefahr der Corona-Infektionen in Deutschland sei weiter sehr hoch.
Nach wie vor sei es unabdingbar, dass sich die Bürger an die Abstandsregeln und andere Schutzvorkehrungen hielten, sagte Merkel nach Angaben von Teilnehmern. Sie sei in dieser Hinsicht allerdings derzeit "skeptisch" und mache sich "große Sorgen", wurde sie zitiert.
Am 30. April beraten Bund und Länder weiter
Die Kanzlerin verwies auf die am 30. April geplanten nächsten Verhandlungen von Bund und Ländern über das weitere Vorgehen. Wichtiger sei allerdings noch, wie es eine Woche später aussehe. Erst am 8. oder 9. Mai werde man einen Überblick darüber haben, wie man in der Wirtschaft vorankomme und wie es in den Schulen aussehe.
Bund und Länder hatten sich nach fast vier Wochen Zwangspause in der vergangenen Woche darauf verständigt, dass von diesem Montag an kleine und mittlere Geschäfte bis zu einer Fläche von 800 Quadratmetern wieder öffnen dürfen. Die Details hängen von Branche und Bundesland ab. In den ersten Ländern geht zudem für die Abschlussklassen die Schule wieder los. Die strikten Kontakt- und Abstandsregeln sollen allerdings nach wie vor mindestens bis zum 3. Mai gelten.
Nordrhein-Westfalens Regierungschef Armin Laschet verteidigte laut Teilnehmern der CDU-Präsidiumssitzung die weitergehenden Lockerungen in seinem Bundesland. NRW sei das Land der Küchenbauer, wiederholte Laschet. Die Landesregierung will von diesem Montag an auch Möbelhäuser und Babyfachmärkte öffnen lassen.
Hessens Ministerpräsident und CDU-Vize Volker Bouffier sowie die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner kritisierten nach diesen Angaben etwa das Vorgehen im SPD-geführten Rheinland-Pfalz, wo auch Zoos und Shopping-Malls wieder öffnen können. Bayern hingegen verschärft sein Vorgehen und führt von der kommenden Woche an eine Maskenpflicht in allen Geschäften und im öffentlichen Nahverkehr ein, wie Ministerpräsident Markus Söder (CSU) in einer Regierungserklärung im Landtag in München mitteilte.
se/sti/kle (dpa, afp, rtr, Phoenix)