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Merkel und das Pulverfass Balkan

Nemanja Rujevic6. Juli 2015

Inmitten der Griechenlandkrise reist Bundeskanzlerin Angela Merkel am Mittwochmittag auf den Westbalkan. Die Region ist zurzeit ein Club von EU-Anwärtern mit vielen wirtschaftlichen und politischen Problemen.

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Westbalkan-Konferenz: Gruppenbild mit Angela Merkel (Foto: Reuters)
Angela Merkel auf der Westbalkan-Konferenz in Berlin (August 2014)Bild: Reuters

Hohe Arbeitslosigkeit, weit verbreitete Korruption und autoritäre politische Eliten: Das haben Serbien, Bosnien-Herzegowina und Albanien gemeinsam.

Umfragen zufolge verliert die EU in diesen Ländern an Anziehungskraft. Das ist auch auf die Ankündigung aus Brüssel zurückzuführen, dass es in den nächsten fünf Jahren keine neue EU-Erweiterung geben werde.

Geopolitisches Spiel?

Seit Jahrhunderten gilt der Balkan als Pulverfass Europas. Diese Metapher gewinnt durch die aktuellen Spannungen zwischen Moskau und dem Westen wieder an Aktualität. Der Besuch der Bundeskanzlerin zielt nicht darauf ab, den russischen Einfluss auf den Balkan einzuschränken - so sieht es Gunther Krichbaum, Vorsitzender des EU-Ausschusses im Bundestag. "Die Länder müssen sich selbst entscheiden, was sie wollen. Die Wertvorstellungen, die wir in der EU teilen, sind erkennbar andere als die Russlands und der Regierung von Herrn Putin", sagte Krichbaum.

Mit ihrem Besuch demonstriert die Bundeskanzlerin, "wie wichtig der Balkan für Deutschland und die EU ist", meint Dušan Reljić, der Brüsseler Büroleiter der Stiftung Wissenschaft und Politik. Merkel zeige den "großen Spielern" aus dem Osten - vor allem Russland, aber auch China und der Türkei - dass die EU weiterhin der Anker dieser Region bleibe.

Außerdem, so Reljić, bestehe die Gefahr, dass ganz Südosteuropa wegen der Griechenland-Krise als "turbulenter" Standort für Investitionen erscheine. Diesen Eindruck könne Merkel entkräften. So diskutiert man in Belgrad seit Wochen darüber, ob Merkel endlich grünes Licht für den Beginn der Beitrittsverhandlungen Serbiens mit der EU geben werde.

Infografik Bundeskanzlerin Merkel Reise Balkan 2015 Deutsch

An der langen Leine Brüssels

Seit drei Jahren ist Serbien offiziell Beitrittskandidat, doch dieser Status wurde wegen der schleppenden Verhandlungen mit dem Kosovo praktisch auf Eis gelegt. Kosovo erklärte 2008 seine Unabhängigkeit von Serbien, was von Belgrad jedoch nicht anerkannt wird. 2013 wurde mit Vermittlung der EU ein Abkommen ausgehandelt, das dem Kosovo weitgehende Entscheidungsfreiheit bei Justiz und Verwaltung gibt und im Gegenzug die Rechte der serbischen Minderheit im überwiegend von Albanern bewohnten Kosovo regelt. Das Abkommen wurde bislang jedoch nicht umgesetzt.

"Hier muss geliefert werden", meint CDU-Politiker Krichbaum. Ein "zweites Zypern" - also ein Land mit einem ungelösten territorialen Konflikt - wolle man in der EU nicht haben. "Ich weiß, dass es in Serbien ein Politikum darstellt, wann mit dem ersten Kapitel der Verhandlungen begonnen wird", so Krichbaum. Doch was zähle, sei, dass ein Land der EU gut vorbereitet beitrete.

Alte und neue Probleme

Auch die Annäherung zwischen dem Nachbarland Bosnien-Herzegowina und der EU gestaltet sich zäh. Im März setzte die EU ein Stabilisierungsabkommen in Kraft, das eine enge politische und wirtschaftliche Partnerschaft mit Sarajevo schaffen sollte. Bedingung war eine umfassende Verfassungsreform - die jedoch bislang auf sich warten ließ.

"Die Realität ist nicht gerade ermutigend", sagt Krichbaum. Die bosnische Politik und Verwaltung stützt sich immer noch auf das Dayton-Abkommen, das vor zwei Jahrzehnten das Ende des Krieges im ehemaligen Jugoslawien regelte. Es sieht vor, dass für jede wichtige Entscheidung ein Konsens der Vertreter der drei Volksgruppen nötig ist (muslimische Bosniaken, Serben und Kroaten). Das führe oft zu Blockaden.

Ein Graffiti in Belgrad mit der Aufschrift "Kosovo ist serbisch" (Foto: AP)
Graffiti in Belgrad: "Kosovo ist serbisch"Bild: AP

Beobachter sind sich einig, dass Bundeskanzlerin Merkel es in Tirana leichter haben wird als in Belgrad und Sarajevo. Denn aus der Sicht des Westens "ist Albanien ein Stabilitätsfaktor auf dem Balkan", sagt Dušan Reljić. Er erwartet, dass Merkel den albanischen Premierminister Edi Rama "diskret darauf hinweist", nicht mehr über "Großalbanien" zu sprechen - jenes nationalistische Projekt, das neben Albanien auch das Kosovo, sowie Teile Serbiens, Montenegros, Mazedoniens und Griechenlands umfasst.

"Berlin wird sich sicherlich auch für die steigende Zahl der Asylsuchenden aus Albanien interessieren", meint Reljić. Die CSU verlangt schon seit langem, Albanien als sogenanntes "sicheres Herkunftsland" einzustufen, um Asylanträge von albanischen Bürgern schneller abzulehnen.

Doch einige Beobachter warnen, dass besorgnisserregende Entwicklungen auf dem Westbalkan in Berlin verschwiegen würden. Ein Beispiel sei die Ausschaltung von kritischen Stimmen und die Hexenjagd auf die Opposition in Serbien, sagt der serbische Politologe Dorde Vukadinovic: "Das ist nicht auf dem Radar Deutschlands und wird höchstens sanft und mütterlich kritisiert. Gerade für Europa-Befürworter in Serbien ist das eine bittere Enttäuschung."

Jenseits des roten Teppichs wird Angela Merkel auf ihrer Balkan-Reise auch Vertreter der Zivilgesellschaft treffen. Vielleicht werden sie mit der Kanzlerin darüber sprechen, vor welchen Problemen die Demokratie in ihren Ländern steht.