"Erfolge durch Haltung"
28. März 2017Gut gelaunt betritt Angela Merkel in Begleitung ihres Sprechers Steffen Seibert den kleinen Saal im "Haus des Familienunternehmens". Hier, direkt neben dem Brandenburger Tor, trifft die Bundeskanzlerin eine langjährige Weggefährtin: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Während draußen die Sonne das Berliner Wahrzeichen anstrahlt, zeigt Merkel ihr manchmal verschmitztes Lächeln. Die Nummer eins der deutschen Politik ist ausnahmsweise einmal nicht die Hauptfigur. Diese Rolle wird nämlich der ehemaligen Bundesjustizministerin (FDP) zuteil.
Anlass für die Begegnung der beiden Frauen an diesem schönen Ort mitten in der deutschen Hauptstadt ist die Präsentation des Buches, das die FDP-Politikerin geschrieben hat. "Haltung ist Stärke" heißt es. Der Titel, sagt Merkel in ihrer Laudatio, sei auch "Programm". Damit spielt sie auf die auch unter Freien Demokraten besonders liberale Geisteshaltung der Autorin an, für die sie notfalls auch persönliche Opfer bringt.
Die "härteste" Entscheidung sei wahrscheinlich "der Rücktritt" gewesen, mutmaßt Merkel zu Recht über Leutheusser-Schnarrenbergers Demission vom Amt der Bundesjustizministerin 1995.
Diese in der deutschen Politik selten zu beobachtende Konsequenz stellte die damals 44-Jährige aus Protest gegen den sogenannten "Großen Lauschangriff"unter Beweis. Als solcher wurde die Möglichkeit zur akustischen Wohnraumüberwachung im Rahmen der Verbrechensbekämpfung bezeichnet. Dafür wurde 1998 unter Bundeskanzler und Merkel-Vorgänger Helmut Kohl sogar der Grundgesetz-Artikel 13 über die Unverletzlichkeit der Wohnung geändert. Leutheusser-Schnarrenberger legte deshalb gemeinsam mit anderen FDP-Politikern Verfassungsbeschwerde ein. Die Richter in Karlsruhe gaben ihnen 2004 überwiegend Recht.
Die Bundekanzlerin ist spürbar in gelöster Stimmung
Sie habe "Achtung" vor der Haltung ihrer einstigen Kabinettskollegin, sagt Merkel 22 Jahre nach der freiwilligen Amtsaufgabe ihrer damaligen Kabinettskollegin. Zum Lauschangriff hat die Kanzlerin allerdings eine andere Ansicht. Dass es sie gefreut hat, als Leutheusser-Schnarrenberger 2009 ein zweites Mal als Justizministerin Teil der Regierung wurde, klingt aus Merkels Mund durchaus glaubwürdig. "Ohne Kompromiss geht es nicht", sagt sie zu ihrem Verständnis von Politik.
Eine so gravierende Gewissensfrage, wie sie die FDP-Politikerin einst für sich beantworten musste, stellte sich für die deutsche Regierungschefin während ihrer inzwischen zwölf Jahre währenden Amtszeit anscheinend noch nicht. Sie belasse es mal bei dem Befund, "dass ich bislang nicht zurückgetreten bin". Eine Bemerkung, die bei den etwa 60 Zuhörern Heiterkeit auslöst. Auch sie spüren, wie gelöst Merkel an diesem schönen Frühlingstag in Berlin ist. Wie wäre wohl ihre Stimmung gewesen, wenn die CDU am vergangenen Sonntag bei der Wahl im Saarland verloren hätte?
Gemeinsame Erfahrungen
So aber sitzen sich zwei selbstbewusste Frauen gegenüber, die seit 1990 durch "gemeinsame Erfahrungen" verbunden seien, sagt die 62-jährige Merkel über ihr Verhältnis zu der drei Jahre älteren Leutheusser-Schnarrenberger. Damals, als Deutschland sich wiedervereinigte, hätten sie viel gelernt über Macht und politische Interessen. Ob es die nach der Bundestagswahl im September wieder geben könnte? Eine schwarz-gelbe Koalition aus CDU/CSU und FDP wie zuletzt von 2009 bis 2013?
Rein rechnerisch ist man davon momentan weit entfernt. Aber wie schnell sich der Wind drehen kann, zeigt der unerwartete Aufstieg der von vielen abgeschrieben SPD nach der Nominierung von Martin Schulz als Merkel-Herausforderer. Und es ist sicherlich kein Zufall, dass Merkel Parallelen zwischen der aktuellen Situation mit der zu Beginn der 1990er Jahre zieht. Auch damals sei man durch das Thema Flüchtlinge gefordert gewesen. Wieder gehe es darum, Hass und Gewalt "entschieden entgegenzutreten".
Freude über proeuropäische Demonstrationen
Auch von Respekt spricht Merkel in diesem Zusammenhang. All das bleibe "zeitlos". Und plötzlich reden beide über aktuelle Themen - allen voran die Türkei und Europa. Und sie freuen sich gemeinsam über proeuropäische Demonstrationen, wie es sie jüngst am Rande der Feierlichkeiten zum 60. Jubiläum der Römischen Verträge gab. Die würden doch zeigen, "dass man junge Menschen erreichen kann", sagt Leutheusser-Schnarrenberger. Das Schlusswort in dieser ungewöhnlichen Plauderstunde hat die Kanzlerin: "Wenn ich keine Haltung habe, kann ich keine Erfolge erzielen." Es klingt wie ein Selbstlob für ihren Politikstil. Merkels frühere Justizministerin hält es erkennbar für gerechtfertigt.
"Haltung ist Stärke" ist im Kösel-Verlag München erschienen; 160 Seiten; 19,99 €