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Merkels Ja zu Juncker stärkt die EU

Andreas Noll30. Mai 2014

Sie legt sich selten früh fest. Doch jetzt hat sich Angela Merkel für Jean-Claude Juncker als Kommissionspräsident ausgesprochen. Das erspart Parlament und Juncker den Gesichtsverlust, kommentiert Andreas Noll.

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Andreas Noll Redakteur DW Hintergrund Deutschland
Bild: Christel Becker-Rau

Angela Merkel hat sich vor den Gläubigen einen Ruck gegeben. Mit dem Katholikentag nutzt die deutsche Bundeskanzlerin ausgerechnet eine Großveranstaltung der Kirchenbasis, um sich so deutlich für Jean-Claude Juncker als EU-Kommissionspräsidenten auszusprechen, wie sie das seit den Europawahlen nicht vermocht hat. Bis dato hat Merkel den langjährigen Luxemburger Premierminister allenfalls als konservative Parteipolitikerin unterstützt, aber nicht als deutsche Regierungschefin. Ob die Kanzlerin, die nie eine glühende Verfechterin von Junckers Kandidatur war, nun aber auch daran glaubt, dass der Konservative EU-Kommissionspräsident wird, bleibt vorerst ihr Geheimnis. Denn Junckers Chancen sind durch Merkels Unterstützung zwar größer geworden, gewählt ist er damit aber noch lange nicht. Und doch ist es gut, dass die mächtigste Frau Europas sich zum Sieger der Europawahlen bekennt.

Junckers Unterstützung in Deutschland wächst

Der Zeitpunkt ihrer Äußerung dürfte keinesfalls zufällig gewählt sein, denn zumindest in Deutschland wächst die Zahl prominenter Unterstützer des Christdemokraten. Schon nach dem EU-Gipfel am Dienstag, auf dem sich die Staats- und Regierungschefs lediglich auf Programmpunkte für die nächste EU-Kommission verständigen konnten, bekam Merkel den Unmut der Journalisten über ihr Taktieren zu spüren. Das hat sich in den vergangenen Tagen noch verstärkt. Es ist eine überraschende Koalition, die sich zusammengefunden hat, um dem 59-Jährigen zu seinem vermeintlichen Recht zu verhelfen. "Juncker muss Präsident werden", fordert der einflussreiche Chef des Axel-Springer Verlages, Mathias Döpfner, in der BILD-Zeitung. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung warnt mit Jürgen Habermas sogar der wichtigste deutsche Philosoph der Gegenwart vor einem Geschacher, das dem Spitzenkandidaten der Konservativen den Weg an die Spitze der Kommission versperren könnte: Das würde das europäische Projekt "ins Herz treffen."

Sowohl dem Verlags-Manager als auch dem Philosophen geht es dabei nicht um die Person Jean-Claude Juncker oder sein Programm, das sich kaum von dem seines Gegenkandidaten Martin Schulz unterscheidet. Nein, beide treibt die Sorge um die Europäische Demokratie um. Denn was würde aus dem durch Populisten von links und rechts immer erfolgreicher attackierten Projekt Europäische Union, wenn nun auch das Experiment der europaweiten Spitzenkandidaten in einem Desaster enden würde? Ein Wahlkampf mit dem Slogan "Unser Mann für die Kommissionspräsidentschaft" hat zumindest in Deutschland Spuren hinterlassen.

Kein Todesstoß für die EU

Und doch würde es Europa nicht den Todesstoß versetzen, wenn am Ende ein neuer Kandidat aus dem Hut gezaubert würde. Wer ehrlich ist, der muss schon beim Blick auf die stagnierende Wahlbeteiligung oder die schlechten Einschaltquoten bei den TV-Kandidatendebatten konstatieren, dass das Projekt "Spitzenkandidat" kein großer Erfolg war. Aber auch, wer nüchtern auf die Machtbalance der EU-Institutionen schaut, muss akzeptieren, dass der EU-Kommissionspräsident eben kein Regierungschef ist, der einer Mehrheit des Parlamentes verantwortlich ist. Zwar hat das Europaparlament in den vergangenen Jahren immer mehr Kompetenzen gewonnen, aber das Steuerrecht gehört bislang nicht dazu. Die Abgeordneten arbeiten also mit einem Budget, das vor allem von Steuern gespeist wird, über die sie nicht zu entscheiden haben. Da ist es nur logisch, dass die Staats- und Regierungschefs um die Kommission, das dritte EU-Machtzentrum, mit harten Bandagen kämpfen. Es ist in Brüssel schließlich die Kommission, die neue Gesetzesinitiativen anschiebt - also die Richtung der EU beeinflusst.

Dass Angela Merkel sich nun deutlicher als zuvor hinter Jean-Claude Juncker gestellt hat, ist trotzdem eine gute Nachricht. Denn nach Lage der Dinge drohte schon wenige Tage nach der Wahl ein doppelter Gesichtsverlust: Die deutliche Distanzierung der Staats- und Regierungschefs von Juncker zwei Tage nach der Wahl war nicht nur ein Tiefschlag für Juncker, sondern auch für das Parlament. Es hat sich eindeutig für Verhandlungen unter Führung des Konservativen ausgesprochen.

Angela Merkel hat mit ihrer Unterstützung für Juncker, die sie immer noch nicht ohne "wenn und aber" formuliert, nun zweierlei erreicht: Die Kanzlerin hat Respekt vor dem Wahlsieger und dem Parlament bekundet. Ob Juncker am Ende tatsächlich auf dem Kommissionssessel landet und Europa ein lähmender Machtkampf zwischen Rat und Parlament erspart bleibt, ist immer noch offen. Aber zumindest hat die mächtigste Frau Europas verhindert, dass sich wenige Tage nach der Wahl vor allem eine Gruppe bestätigt fühlen kann: die Populisten von links und rechts, die in der EU Lug und Betrug an jeder Stelle wittern. Darüber können wir uns freuen.