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Mexiko: Gegen den Strom

Sandra Weiss Pueblo, Mexiko
13. Oktober 2021

Mexikos Regierung will die 2013 begonnene Privatisierung des Energiesektors zurückdrehen. Sie will staatliche Unternehmen stärken und verspricht stabile Preise. Die Zeche zahlen wohl die Umwelt und die Steuerzahler.

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Energie Mexiko Pemex
Mexikos staatliches Energieunternehmen Pemex setzt weiterhin hauptsächlich auf Öl und GasBild: picture-alliance/Zuma Press

Begleitet von einer beeindruckenden Grafik hat Mexikos Energieministerin Rocio Nahle am Montag der Bevölkerung die neue Stromreform vorgestellt. Zu sehen war darauf die Entwicklung der Energiepreise in diesem Jahr in verschiedenen Ländern. "Das ist das Modell, das in unserem Stromsektor bisher herrschte", sagte Nahle und deutete auf die steil ansteigende Kurve von Spanien. Dies sei ein "von Privaten beherrschter Markt mit dem Ziele der persönlichen Bereicherung", unterstrich Präsident Andrés Manuel López Obrador.

"Zweideutig und widersprüchlich"

Deshalb soll die 2013 erfolgte teilweise Öffnung des Strommarktes für private Anbieter nicht weiter ausgebaut werden. Der staatliche Stromversorger CFE soll marktbeherrschend bleiben - mindestens 54 Prozent des Marktes soll er auch weiterhin beliefern. Außerdem soll er die Regulierungskompetenzen zurückerhalten, die er 2013 an autonome Körperschaften verloren hatte. Es geht also um mehr Staat und weniger Markt. Das birgt laut einiger Experten mehr Risiken als Chancen - vor allem für die Umwelt.

Mexiko Energieministerin Rocio Nahle
Kämpft gegen den "perversen, verzerrten Wettbewerb" in Mexikos Stromsektor: Energieministerin Rocio NahleBild: Imago-Images/ZUMA Press/I. Olivares

"Diese Reform ist zweideutig und widersprüchlich", sagt Pablo Ramírez, Energieexperte der Umweltschutzorganisation Greenpeace. Positiv wertet er - ebenso wie die Anwältin und Energieexpertin Elvira Macín - dass sich der Staat nun der Energiewende widmet. "Die geplante Modernisierung der staatlichen Elektrizitätswerke ist begrüßenswert", so Macín. Auch, dass private Anbieter, die derzeit 46 Prozent des mexikanischen Energiebedarfs produzieren, nicht komplett verbannt werden, sondern ihren Marktanteil behalten, sei erleichternd. Allerdings, fügt Macín hinzu, benachteiligten die neuen Regeln die Unternehmen.

Der Staat bevorzugt sich selbst

Nach dem von Nahle vorgestellten Konzept werden künftig bei der Einspeisung ins Netz nicht mehr erneuerbare Energien und der günstigste Anbieter bevorzugt, sondern de facto der staatliche Stromversorger CFE. So sollen künftig Wasser- und Atomstrom vorrangig eingespeist werden - beide sind ausschließlich unter Kontrolle der CFE; danach folgen Geothermie und fossile Energien, die der Erdöl-Staatsmonopolist Pemex liefert, und erst an allerletzter Stelle stehen Sonnen- und Windenergie, die größtenteils in der Hand privater Anbieter sind.

Mexiko CFE
Soll marktbeherrschend bleiben: Mexikos staatlicher Stromanbieter CFEBild: El Universal/ZUMA/picture alliance

Auch der private parallele Strommarkt, auf dem sich laut Nahle Mexikos größte Unternehmen mit legalen Tricks am CFE vorbei billige Energie der erneuerbaren Anbieter sicherten, soll abgeschafft werden. Bislang durften die privaten Erzeuger ihren Strom nur an die CFE verkaufen oder zum Eigenbedarf verwenden. Deshalb hatten viele der privaten Anbieter minimale Firmenanteile an große mexikanische Firmen verkauft, so dass diese den (billigeren) privaten Strom unter der Rechtsfigur des "Eigenbedarfs" direkt bei den Privaten kaufen und die CFE umgehen konnten. Nur Privathaushalte sollen künftig noch ihren selbst erzeugten Solarstrom auch selbst konsumieren dürfen.

Belastung für die Klimabilanz

Nahle zufolge werde Mexiko trotzdem das Ziel der Pariser Klimaverträge erreichen. Darin hat sich Mexiko verpflichtet, seine Treibhausgase um 22 Prozent, sein CO2 gar um 51 Prozent zu senken und im Jahr 2024 einen Anteil erneuerbarer Energien von 35 Prozent zu erreichen (derzeit liegt er bei 31 Prozent). In Sonora beispielsweise baut die CFE derzeit den größten Photovoltaik-Park des Landes. Pablo Ramírez von Greenpeace bezweifelt das jedoch: "Mexikos Staudämme leiden bereits jetzt unter dem Klimawandel und produzieren im Schnitt 30 Prozent weniger Strom. Der Löwenanteil der Investitionen von Pemex und CFE geht in Raffinerien und Gaspipelines. Das alles wird den Strommix weiter in Richtung fossile Energien belasten", warnt er.

Davon geht auch Macín aus. Bereits jetzt produziere Pemex über 240.000 Barrel Schweröl täglich. Schweröl besteht aus den Rückständen der Raffinerien und enthält deutlich mehr Schwefel und andere Schadstoffe wie Schwermetalle. Seit im vergangenen Jahr in der internationalen Schifffahrt ein Verbot der Schwerölverbrennung in Kraft trat, gibt es dafür keinen internationalen Markt mehr. Es wird nun in Thermokraftanlagen der CFE verbrannt und verschmutzt die Luft.

Teure Prozesse und Intransparenz

Die Rückkehr zu einem zentralistischen Modell leiste Intransparenz und Ineffizienz Vorschub, gab Ramírez weiter zu bedenken, der von einem "riesigen Rückschritt" sprach. "Wir kehren zurück in eine Struktur ohne freien Wettbewerb", warnte auch Macín. Außerdem drohten dem Staat nun Schadenersatzklagen der privaten Anbieter in Milliardenhöhe. "Die Zeche werden letztlich die Steuerzahler begleichen" - selbst wenn sie das nicht direkt auf der Stromrechnung sehen. Wenn die CFE die Preise subventioniere, werde das Unternehmen defizitär und müsse durch den Staatshaushalt kompensiert werden. "Geld, das man besser in Bildung oder Gesundheit stecken könnte", kritisiert sie.

Mexiko Smog
Smog über Mexiko City - auch verbranntes Schweröl trägt hier zur Luftverschmutzung bei.Bild: Photoshot/picture alliance

Zu einem ähnlich negativen Ergebnis kommt das der Privatwirtschaft nahestehende Institut für Wettbewerb (IMCO). "Die Folgen werden für alle negativ sein: für die Wirtschaft wegen höherer Strompreise, für die Umwelt, das Geschäftsklima, die Staatsfinanzen und selbst für die CFE", heißt es in einem Bericht. Dem Institut zufolge kostet derzeit eine von der CFE produzierte Kilowattstunde Strom dreieinhalb Mal mehr als eine privat generierte. 

Pablo Ramírez sieht es etwas differenzierter: "Energie darf keine Ware sein wie jede andere, denn sie ist strategisch wichtig für die Entwicklung eines Landes." Die Reform begrüßt er zwar als Schritt hin zur Anerkennung vom Recht auf Energie als Menschenrecht. "Doch das steht deshalb nicht über anderen Grundrechten wie dem auf Gesundheit oder eine intakte Umwelt", warnt er.