Mexiko sitzt auf dem Trockenen
8. Mai 2021"Vor einer Woche haben uns die Behörden mitgeteilt, dass unser Stausee nicht mehr genug Wasser hat", seufzt Norma García aus Guerrero. "Seitdem können wir unsere Obstplantage nicht mehr bewässern." Die Bäuerin lebt vom Direktverkauf ihrer Lebensmittel auf Biomärkten. "Wenn es nicht bald regnet, können wir die Ernte vergessen", sagt sie zur DW. García ist nicht alleine: Im nordmexikanischen Bundesstaat Sonora verdursten die Kühe, im südlichen Veracruz und im zentralen Michoacán sind ganze Seen größtenteils verdunstet, und in Mexiko-Stadt wird das Wasser seit Wochen rationiert. Viele Mexikaner müssen auf teure Wasserlieferungen durch private Lastwagen zurückgreifen.
Golfplätze in Zeiten von "La Niña"
84 Prozent des Staatsgebiets sind derzeit von Trockenheit betroffen, meldet die Nationale Wasserbehörde Conagua. Das leistet Buschbränden Vorschub. Die wüten laut Statistiken der Nationalen Forstbehörde Conafor so schlimm wie seit zehn Jahren nicht mehr. Über 4000 Brände in 30 der 32 Bundesstaaten verzeichnet die Behörde bislang in diesem Jahr. Die Bürgermeisterin von Mexiko-Stadt, Claudia Sheinbaum, spricht von der schlimmsten Dürre seit 30 Jahren und kritisiert die Reichen, die trotzdem ihre Gärten und Golfplätze wässerten. Andere machen das Klimaphänomen "La Niña" verantwortlich. Wissenschaftlern und Umweltschützern zufolge greift das jedoch zu kurz. Versagt habe die Politik, die nur auf kurzfristige Lösungen setze.
Budgetkürzungen und falsche Prioritäten
"Die Katastrophenbekämpfung ist gekennzeichnet durch mangelnde Prävention auf allen Ebenen der Politik und öffentlichen Verwaltung (...). Verschlimmert wird dies durch Budgetkürzungen bei den Behörden, die für Umweltschutz und Klimapolitik zuständig sind", heißt es im Bericht einer Gruppe von Umweltschutzorganisationen, darunter das Zentrum für Umweltrecht (Cemda), Greenpeace, die Klimainitiative Mexiko und Pronatura Veracruz. Der Haushalt der Forstbehörde schrumpfte demnach seit 2012 um 43 Prozent, derjenige der Kommission für Naturschutzgebiete (Conanp) seit 2018 um 75 Prozent. 2019 wurde dann auch noch der Treuhandfonds gegen Naturkatastrophen aufgelöst, mit dem die Bekämpfung von Waldbränden finanziert wurde.
Weder die aktuelle noch vorherige Regierungen hätten der Anpassung an den Klimawandel Priorität eingeräumt, sagt Diego Pérez Salicrup, Direktor des Instituts für Nachhaltigkeit und Ökosysteme der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko (UNAM), zur DW. Für ihn liegt das an einem Teufelskreis aus verzerrter Wahrnehmung in der Bevölkerung und daraus resultierenden, falschen Forderungen an die Politik, die wiederum ihrerseits mit kurzfristigem Krisenmanagement antworte statt mit langfristigen Strategien.
"Heute leben drei Viertel der Mexikaner in Städten, weit weg vom Alltag auf dem Land und in der Natur. Diese Bevölkerung, die politisch viel Gewicht hat, sieht Feuer als etwas Bedrohliches", erklärt er der DW. Dabei würde vergessen, dass sich viele Ökosysteme durch regelmäßige, kleinere Brände selbst regulierten, just um "zu viel Akkumulation von brennbarem Material und damit potenziell gefährlicheren Bränden zu verhindern".
Landspekulanten Einhalt gebieten
Viel zu wenig Bedeutung wird aus Ansicht der Experten außerdem der Tatsache beigemessen, dass hinter manchen, absichtlich gelegten Bränden nicht Kleinbauern stecken, sondern kapitalkräftige Immobilienspekulanten, die sich so Land für Monokulturen wie Avocado-Plantagen oder für Tourismusprojekte aneigneten. Ist der Primärwald erst einmal abgebrannt, sind Gemeinderäte schnell bei der Hand, die Gebiete für wirtschaftliche Nutzung freizugeben. "Heute hat das Umweltministerium weder die Kapazitäten noch die institutionellen Mittel (…), um die Daten entsprechend abzugleichen und solche Landnutzungsänderungen zu verhindern", kritisieren Greenpeace und Cemda.
"Wir brauchen langfristige Brandbekämpfungs-Strategien, die an die Ökosysteme angepasst sind und auf wissenschaftlichen Daten basieren", fordert deshalb Pérez. "Aber dafür interessiert sich die Gesellschaft wenig. Sie fordert von Politikern nur schnelles Löschen, wenn das Feuer ihre Häuser gefährdet."
Schwindende Gletscher, teurer Mais und fragwürdige Wiederaufforstung
Für jahrzehntelange Versäumnisse bekommt Mexiko nun die Rechnung präsentiert. Dieser Tage verkündete die UNAM das endgültige Verschwinden des Ayoloco-Gletschers auf dem Gipfel des Iztaccíhuatl-Vulkans südöstlich der Hauptstadt. "Das wird die Trinkwasserprobleme in Mexiko-Stadt verschärfen, und ohne die Eiskappen der Gletscher wird die Temperatur steigen und der Zyklus der Niederschläge beeinträchtigt", warnte UNAM-Forscher Hugo Delgado.
Die Dürre befeuert auch die Spekulation mit Nahrungsmittelpreisen. So stiegen die Preise für Mais in diesem Jahr nach Angaben der Consulting-Gruppe für landwirtschaftliche Märkte (GCMA) um 40, für Soja sogar um 50 Prozent. Das trifft insbesondere die Armen, die einen größeren Teil ihres Einkommens für Grundnahrungsmittel ausgeben als Reichere.
Die aktuelle Regierung antwortet nun auf die zunehmenden Umweltprobleme mit einem Wiederaufforstungsprogramm. Mexiko gehört laut Global Forest Watch zu den zehn Ländern mit der größten Abholzung von Primärwald weltweit. Zwischen 2001 und 2018 gingen Conafor zufolge jedes Jahr mehr als 200.000 Hektar Wald verloren. Ob das Wiederaufforstungsprogramm geeignet ist, den Trend umzukehren, ist unklar. Laut Pérez hat es gar nicht dieses Ziel: "Es soll vor allem die ländliche Armut mildern und den Baumbestand in landwirtschaftlich genutzten Gebieten erhöhen." Mit geradezu paradoxen Folgen: Primärwald wird abgeholzt, um ihn anschließend mit staatlichen Subventionen und nicht einheimischen Bäumen wieder aufzuforsten. "Dabei würden die Landwirte gerne den natürlichen Wald regenerieren lassen." Doch das dauere zu lang. "Dafür bekommen sie kein Geld", so Pérez.