"Nationalisten blockieren den Staat"
10. Oktober 2018DW: Bosnien-Herzegowina hat gewählt. Wie bewerten Sie das Ergebnis?
Michael Brand: Die Misere geht weiter und die heißt Stillstand. Die nationalistischen Parteien haben weiter das Sagen, blockieren ohne Skrupel den Staat. Dass die Wähler von dieser politischen Kaste nichts mehr erwarten, zeigt die nochmal gesunkene Wahlbeteiligung. Aber die eigentliche Abstimmung findet ja seit Jahren mit den Füßen statt - gerade junge und qualifizierte Menschen verlassen im großen Stil das eigene Land.
Der größte Gegner eines vereinten Bosniens wurde jetzt zum Präsidenten gewählt. Wie sehen Sie die Wahl des Führers der bosnischen Serben, Milorad Dodik, ins Staatspräsidium?
Dodik ist ein politischer Brandstifter seit Jahren. Wie will jemand ernsthaft einen Staat repräsentieren, den er mit allen Mitteln bekämpft? Er wird weiter blockieren und zündeln. Dass Dodik bei der Wahl gerupft und offensichtlich nur knapp gewählt wurde, ist ein zartes Signal. Dass Zehntausende Menschen in Banja Luka wegen des mysteriösen Mordes am 21-jährigen David Dragičević auf die Straße gehen, ist ein Hoffnungsschimmer. Viele ungeklärte Fragen, auch das unwürdige Verhalten Dodiks selbst gegenüber der Familie, erzürnen die Menschen.
Die bosnischen Muslime haben Sefik Dzaferovic in das dreiköpfige Staatspräsidium gewählt. Als Vertreter der bosnischen Kroaten ist überraschend statt Dragan Covic der Kroate Zeljko Komsic in das dreiköpfige Staatspräsidium gewählt worden.
Unterschiedlicher könnte das Politikverständnis von Covic und Komsic nicht sein. Covics Aussage an die Bosniaken, "Ihr könnt für die Kroaten nicht ihren Präsidenten wählen!" ist im zweifachen Sinne ein schlechter Stil. Einerseits ist die Wählerbeschimpfung immer unangemessen. Andererseits unterstreicht sie seine völlig falsche, nationalistische Sicht. Denn es geht um das Staatspräsidium Bosniens, nicht Kroatiens. Komsic hingegen hat sich sowohl vor der Wahl, als auch danach klar zu Bosnien-Herzegowina bekannt, indem er formuliert: "Ich werde allen Bürger dienen." Die politische Maxime: "Erst der Staat, dann die Partei und erst dann ich", würde ich mir für die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes sehr wünschen. Sie hätten das verdient! Was Dzaferovic betrifft, wird er erst beweisen müssen, dass er aus dem Schatten Izetbegovics - der oftmals keine gute Rolle gespielt hat - treten kann.
Wie sehen Sie die Arbeit der politisch Verantwortlichen in Bosnien und Herzegowina?
Bosnische Politiker reden viel über Reformagenda, es bewegt sich aber wenig. Es gibt viel Augenwischerei ohne konkrete Fortschritte - im Justizbereich, beim Thema Rechtsstaatlichkeit oder der Verwaltungsreform. Niemand sollte sich täuschen, dass manch hartnäckige Unwilligkeit übersehen würde. Man hat den Eindruck, dass manche Funktionäre gut mit dem Nicht-Funktionieren im Staat leben können - auf Kosten der schon lange gebeutelten Bevölkerung. Das ist ein riskantes Spiel. Was viele "normale" Bosnier wütend macht, und auch mich, ist doch, dass die bosnische Polit-Kaste viel über Europa redet, aber sehr an die eigenen Interessen denkt.
Gibt es Änderungsbedarf, den die EU und auch Deutschland anpacken müssen?
Ganz sicher. Es ist die höchste Zeit, alte Fehler zu korrigieren, bevor sie uns in Europa wieder auf die Füße fallen. Bosnien wurde durch Dayton bislang gelähmt. Kein Land der Welt hat drei Präsidenten - wie Bosnien. Kein Land hat ein so ethnisches, diskriminierendes Verfassungssystem erhalten wie Bosnien mit Dayton. Die Dayton-Verfassung würde in jedem europäischen Land scheitern, denn sie bedeutet Rückschritt in westlicher Zivilisation. Dayton hat Territorien hin und her geschoben wie in der klassischer Manier des Imperialismus und ein Land nach völkischen Kriterien aufgespalten. Heute beklagt Europa wortreich einen in den Grundfunktionen blockierten Staat Bosnien. Doch statt Klagen brauchen wir Mut, vor allem den politischen Mut für eine nachhaltige Änderung des damaligen Dayton-Handels. Bosnien hat diesen Mut längst verdient, zumal Stabilität auf dem Balkan im deutschen wie europäischen Interesse liegt, nicht zuletzt mit Blick auf einen modernen europäischen Islam, dessen Radikalisierung niemand will.
Was muss passieren, dass Bosnien auf den Weg der Stabilität kommt?
Neue Chancen müssen genutzt werden. Das funktioniert nur durch Arbeit und offenes Benennen der Probleme. Es kommt jetzt auch auf die "normalen" Bosnier an, mehr Druck in Bosnien und international zu machen. Der Zustand ist schon lange so schlecht, weil bislang in der bosnischen Politik wie bei den Diplomaten keine echten Lösungen gesucht werden. Man kann Dinge nicht zum Guten wenden, indem Probleme zugekleistert und akzeptiert werden. Auch die Dayton-Verfassung bleibt ein schwerer Mühlstein, der die Entwicklung auf allen Ebenen hemmt. Für Bosnien wie Europa gilt der kluge Spruch: An ihren Taten sollt ihr sie erkennen!
Das Gespräch führte Jasmina Rose
Michael Brand (44) ist ein deutscher Politiker (CDU) und seit 2005 Mitglied des Deutschen Bundestages. Er studierte 1997/98 in Sarajevo und gilt als ausgewiesener Balkan-Experte im Bundestag.