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Genialer Selbstvermarkter

Birgit Goertz18. Februar 2014

Michelangelo war schon zu seinen Lebzeiten ein Superstar. 450 Jahre nach seinem Tod fragen wir: Wer war dieser Mann? Die Antworten hat Arnold Nesselrath, Vize-Direktor der Vatikanischen Museen.

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Michelangelo Buonarroti Porträt
Bild: Getty Images

DW: Herr Prof. Dr. Nesselrath, welche Bedeutung hat Michelangelos Herkunft aus einem armen, bedeutungslosen Patriziergeschlecht für seine Entwicklung?

Sicherlich ist er ein sehr komplexer Charakter gewesen, aber dafür kann es mehrere Gründe gegeben haben. Michelangelo hat in seinem Leben viel Geld verdient, sodass er zu einem sehr reichen Mann aufstieg. Im Nachhinein ist es deswegen schwierig zu beurteilen, welche psychologischen Auswirkungen seine Herkunft auf seine Entwicklung hatten.

Trotz seines unglaublichen Reichtums lebte der Maler äußerst bescheiden. Wie kommt das?

Wie jemand sein Leben gestaltet, ist eine persönliche Entscheidung. Er war wie gesagt ein sehr komplexer Charakter. Man könnte sich dazu alles Mögliche zusammenreimen. Eine konkrete Aussage dazu wird jedoch immer spekulativ bleiben.

Woher stammt Michelangelos Beiname "Il Divino", der Göttliche?

Michelangelo David
Bild: Getty Images

In der Renaissance gab es viele solcher Spitznamen für Künstler, es passiert häufig in diesem Metier. Michelangelo hat zwar eine starke Eigenpropaganda betrieben, sich gleichzeitig aber auch sehr bescheiden gegeben. All dies ist Teil seiner Eigenpromotion.

Als Meister der Selbstinszenierung wurden viele Anekdoten über ihn verbreitet. Haben Sie eine, die Sie ganz besonders mögen?

Eine liebste Anekdote zu haben ist schwierig: Dies führt zu kunsthistorischen Diskussionen. Er hat die Verleumdungen von Kollegen oftmals selber in Umlauf gebracht. Deswegen müssen Aussagen über Michelangelo, auch die seiner Biografen, denen er teilweise in die Feder diktierte, genauestens überprüft werden. Es gibt darüber natürlich Untersuchungen. Ein Beispiel dafür ist die Behauptung, Julius II. hätte ihm den Auftrag gegeben, die gesamte Kapelle auszumalen und die Quattrocento-Fresken runterzuschlagen. Dies konnte Micheal Hirst (britischer Kunsthistoriker und Experte der italienischen Renaissance, Anm. d. Red.) widerlegen.

War er auf der einen Seite Genie, auf der anderen Seite genialer Selbstvermarkter?

Er war, aus meiner Sicht, relativ neurotisch und dementsprechend auch ein schwieriger Zeitgenosse. Leo X., der Rafael bevorzugte, hat natürlich auch gesehen, dass Michelangelo ein großer Künstler ist, aber auch, dass es in Rom zusammen mit Rafael nicht läuft. Deswegen hat er ihm Aufträge in Florenz verschafft, damit er ein bisschen weiter weg ist und trotzdem seine Dienste in Anspruch nehmen kann. Leider ist die Fassade von San Lorenzo nicht ausgeführt worden. Aber Leo X. hat mit diesem schwierigen Menschen irgendwie umgehen können.

Michelangelo scheint uns cholerisch und arrogant. Würden wir ihn heutzutage als sympathisch empfinden?

Das kommt immer auf die Person an, die ihm begegnet. Mir wäre er, denke ich, nicht sehr angenehm. Vielen Zeitgenossen ist es wohl ähnlich ergangen. Doch wie gesagt: Das ist abhängig von der Person, auf die er trifft. Vielen wird er wahrscheinlich auch Leid getan haben, denn an sich ist es eine bedauernswerte Hypothek, die er mit sich herumgetragen hat.

Prof. Dr. Arnold Nesselrath Porträt
Arnold NesselrathBild: Musei Vaticani

Der große Künstler hat ja auch tatsächlich gelitten, sei es wegen der Familie oder innerer Zerrissenheit. Ab welchem Punkt empfinden wir Mitleid für ihn?

Er möchte es uns jedenfalls glauben machen, dass er wirklich gelitten hat. Er war einfach nicht in der Lage, sich an den Dingen, seinen Nachlässen, an denen wir uns heute erfreuen, selbst zu erfreuen und seinen Erfolg auszuleben. Das kann einem natürlich Leid tun. Ob er jedoch tatsächlich wirklich so sehr darunter gelitten hat, oder ob es nicht vielmehr ein weiteres Element seiner Selbstinszenierung war - das sei dahingestellt. Das ein oder andere wird ihm sicherlich nicht leicht gefallen sein. Der rote Faden, der sich durch sein Leben zieht, ist seine Eigendarstellung einer gequälten Kreatur.

Wie viel Mythos steckt in den Erzählungen des vegetarischen und asketischen Michelangelo?

Wir haben eine kleine Einkaufsliste von ihm. Dadurch können wir stellenweise nachempfinden, was er sich hat bringen lassen oder gekauft hat. Hier und da kann man schon den Eindruck gewinnen, dass der Mythos mehr als nur das war. Aber wir müssen uns klar machen: Michelangelo ist heutzutage eine überlastete Konstruktion von Hypothesen. Somit wird es natürlich ziemlich schwierig, ein Bild von diesem Menschen zu machen. Das, was bei uns ankommt, mag keinen sonderlich sympathischen Eindruck erwecken - doch wer weiß schon, wodurch dieses Bild gefärbt ist?

Was war sein großer Durchbruch?

Bereits im Garten von Florenz und bei den Medici ist er aufgefallen. Dass das ein genialer Künstler war, wurde Leuten, die etwas von der Kunst verstanden, relativ schnell klar. In diese Zeit fällt auch der Bacchus, die große Statue, die heute im Nationalmuseum von Bargello steht. Wenn man sich die Pietà mal in Ruhe und lange aus der Nähe angeguckt hat, ist das ein wahnsinnig bewegendes und eindrucksvolles Werk. Es ist völlig klar, dass sich niemand dem entziehen konnte, der sich darauf einlässt. Im Laufe seines Lebens hat er dann bewiesen, dass diese Arbeit sein Standard ist.

Michelangelo Pieta
Bild: picture alliance/Thomas Muncke

Mit welchem Begriff könnte man Michelangelo und sein Werk betiteln?

Man kann ganz altmodisch von Kunst reden. Michelangelo ist einer der größten Künstler, die die Weltgeschichte hervorgebracht hat. Das ist ein Begriff, den man nicht geringschätzen sollte.

Michelangelo war Maler, Architekt und Bildhauer. Dabei war er vor allem in Florenz und Rom aktiv. Welches Werk ist aus Ihrer Sicht das Schlüsselwerk?

Ich habe eine Vorliebe für den Ricetto der Biblioteca Laurenziana, den Eingang neben der großen Bibliothek in San Lorenzo. Von der Architektur her ist dies ein genialer Wurf. Es stimmt einfach alles: das absolute Verständnis von architektonischen Ordnungen, von Materialien, von antiken Rezeptionen, gepaart mit einer Erfindung. Das sind einfach einzigartige Werke. Jedoch heißt dies nicht, dass die Capella Sforza, die wir vor einigen Jahren restauriert haben, zurücksteht. Sie ist ein klassischeres Werk. Die gesamte Raumkonstruktion ist unmerklich, aber stimmig. Auch die Petersgruppe ist letztendlich von ihm realisiert worden. Auch die bereits erwähnte Pietà zählt zu den großartigen Werken.

Halten Sie die alarmierenden Nachrichten des Verfalls der Fresken für zutreffend?

Vatikan Papstwahl Sixtinische Kapelle 2013
Bild: Reuters

Man muss mit diesen Werken, die uns anvertraut sind, die unserer Generation auch als Ganzes anvertraut sind, verantwortungsvoll umgehen. Aber man muss sie auch aus ihrer Natur verstehen. Wir haben insgesamt ein Umweltproblem, welches sich auch in den Fresken niederschlägt. Jedoch sind sie in einer konventionellen Technik gemacht - Michelangelo war ein Meister der Konvention. Insofern gibt es Werke, die schwieriger zu konservieren sind. Dazu zählen beispielsweise die Fresken der Vorgängergeneration. Die Werke sind mittlerweile 500 Jahre alt, und sie werden sicherlich noch eine ganze Zeit lang da sein.

Arnold Nesselrath ist seit 1995 Direktor der Abteilung für byzantinische, mittelalterliche und moderne Kunst an den Vatikanischen Museen. Er ist seit 1996 Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin und hat den Lehrstuhl für Mittlere und Neuere Kunstgeschichte.

Das Gespräch führte Birgit Görtz.