Warum die "Micky Maus" so erfolgreich ist
29. August 20211951 steht Deutschland ganz im Zeichen des Wiederaufbaus, doch die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs sind weiterhin noch zu spüren: Zerstörte Häuser prägen das Bild deutscher Städte, vielerorts herrscht Mangel. Unter Aufsicht der Alliierten wächst in Westdeutschland eine parlamentarische Demokratie mit CDU-Politiker Konrad Adenauer an der Spitze heran. In Ostdeutschland ebnet die Sowjetunion dem Sozialismus den Weg. Es ist der Beginn des Kalten Kriegs.
Mitten in diese politisch brisante Zeit hinein bringt der Ehapa-Verlag (heute Egmont-Verlag) das erste Micky-Maus-Heft auf den deutschen Markt: "So kurz nach dem Zweiten Weltkrieg brauchten die Kinder und Jugendlichen einfach Spaß und Ablenkung", meint Marko Andric, Chefredakteur des Magazins. "Und dazu eignen sich die tollen Geschichte von Micky, Donald und Goofy natürlich super."
Von der "Schmuddellektüre" zur eigenen Kunstform
Allerdings stößt die erste Ausgabe nicht auf viel Gegenliebe. Während die Amerikaner und die Franzosen Comics während des Krieges zur Erbauung ihrer Truppen genutzt haben, schaffen es die Bildergeschichten erst nach dem Krieg mit den Siegermächten nach Deutschland. Sie werden von der älteren Generation auch mit deren Kultur in Verbindung gebracht - und abgelehnt: Sie sollen verdummen, seien Teufelszeug oder allenfalls etwas für den leichten Intellekt, so die gängige Meinung in den frühen 1950er-Jahren. Kein Wunder also, dass das erste deutsche Micky-Maus-Magazin zum Ladenhüter wird: Von den rund 300.000 Exemplaren wird nicht einmal die Hälfte verkauft, der Rest geht als kostenlose Werbeexemplare an Schulen oder in den Reißwolf.
Doch so leicht lässt sich das Team des damals extra für das Heft gegründeten Verlags nicht unterkriegen: Schon 1954 steigern sie die Auflage auf 400.000, 1956 wird der Erscheinungsrhythmus von zwei- auf einwöchig umgestellt. Heute ist die deutschsprachige Ausgabe des Micky-Maus-Hefts das erfolgreichste Kinder-Magazin Europas: Mit bisher über 3.300 erschienenen Ausgaben und mehr als 1,3 Milliarden verkauften Heften.
Dass "Micky Maus" schließlich auch von den kritischsten Sprachwächtern akzeptiert wird, ist vor allem dem Sprachwitz und der Wortgewandtheit von Erika Fuchs, Übersetzerin und erster Chefredakteurin des Magazins, verdanken.
"Grübel", "Seufz" und "Schnief"
Bis 1988 ist die studierte Kunsthistorikerin verantwortlich für das Magazin und sorgt dafür, dass "Entenhausen" nicht einfach nur die deutsche Version von "Duckburg" wird - so hatte Disneys Comicautor Carl Barks das Zuhause von Donald und seinen Freunden getauft. Erika Fuchs schafft sogar eine neue Verbform: Der "Inflektiv", ihr zu Ehren auch "Erikativ" genannt, bezeichnet lautmalerische Kreationen wie "Krächz" oder "Seufz", die mittlerweile fest im deutschen Sprachgebrauch verankert sind. Fuchs arbeitet akribisch und übersetzt nie wortwörtlich, sondern lässt sich von der englischen Vorlage inspirieren.
Mitunter streut sie klassische Zitate großer Dichter wie Johann Wolfgang von Goethe ein, wenn etwa Donald Duck schwärmt: "Wie herrlich leuchtet mir die Natur". Und sie sorgt dafür, dass die Figuren im Deutschen ebenso einprägsame Namen erhalten wie im Original: Tick, Trick und Track alias Huey, Dewey und Louie oder Daniel Düsentrieb alias Gyro Gearloose kennt bald jedes Kind.
"Die 'Micky Maus' ist ein Generationen-Heft: Der Papa oder die Mama haben es gelesen und geben es dann natürlich gerne an die Tochter oder an den Sohn weiter und die geben es dann natürlich auch wieder weiter", beschreibt Marko Andric das Erfolgsrezept des Magazins. Rund 80 Prozent der Leser seien zwischen sechs und 13 Jahre alt, der Rest "ältere und treue Micky-Maus-Leser, die uns seit Jahren abonniert haben."
Zensur in Entenhausen?
Micky Maus, Donald Duck und Co. sind somit längst eine Institution geworden. Umso befremdlicher ist es für viele Leser, als der Verlag im April dieses Jahres entscheidet, insgesamt 109 Panels eines Donald-Duck-Sammelbandes dem Zeitgeist anzupassen und sprachliche Veränderungen vorzunehmen: Die Nebenfigur "Fridolin Freudenfett" etwa heißt in den überarbeiteten Ausgaben nun "Fridolin Freundlich". In Carl Barks' Zivilisationssatire "Im Lande der Zwergindianer" von 1956 werden Worte wie "Bleichgesichter" oder "Indianer" gestrichen und stattdessen mit "Fremdlingen", "Stamm" oder "Volk" übersetzt bzw. umschrieben.
In den Medien ist daraufhin schnell die Rede von "Zensur". Fans richten eine Protestnote an den Verlag, der sich sogar Elfriede Jelinek anschließt: Ihre Unterstützung des Protests "gegen die Schändung der göttlichen Erika Fuchs" sei eine "heilige Pflicht", so die Literaturnobelpreisträgerin. In Duck-Fan-Foren wird Egmont "Etikettenschwindel" vorgeworfen: Man hätte eine kommentierte Fassung auf den Markt bringen sollen, statt den Rotstift anzusetzen.
"Die Geschichten von Barks aus den 1960er-Jahren, das war einfach eine andere Zeit", so Marko Andric. "Aber das bedeutet nicht, dass das heute auch noch so sein muss; dass wir mit Scheuklappen durch die Welt gehen." Für die Micky-Maus-Hefte seien bislang keine Nachdrucke alter Ausgaben geplant, weder im Original noch in abgeänderter Form, aber Andric begrüßt den Schritt des Verlags im Hinblick auf die Duck-Sammelbände: "Die Geschichten in Entenhausen waren immer am Puls der Zeit und haben sich inhaltlich und sprachlich weiterentwickelt", meint der Chefredakteur. Warum also nicht ältere Fassungen dem Zeitgeist anpassen? "Im Vordergrund der Comics steht weiterhin der Spaß. Ohne irgendwelche Beschränkungen. Aber eben Spaß für alle und nicht auf Kosten von anderen", schließt Andric ab.
Erfolgsgeschichte in 29 Ländern und 27 Sprachen
Das Micky-Maus-Heft genießt dabei einen großen Vorteil: Es erscheint alle zwei Wochen neu und versammelt die schönsten und aktuellsten Geschichten aus Entenhausen. So telefoniert Donald beispielsweise mit dem "Duckfon", Daisy surft im "Entnet" und die drei Neffen schauen Videos auf DuTube.
Die populärsten weiblichen Figuren sind selbständig und emanzipiert. Minnie Maus ist eine Karrierefrau, Daisy Duck engagiert sich mal im Buchclub, mal im Tierschutzverein.
Das Erfolgsrezept der Micky Maus war und ist, dass die Macher des Magazins stets wussten, wie sie ihr Publikum erreichen - und zwar nicht nur in Deutschland, sondern insgesamt in 29 Ländern und 27 Sprachen: Sie schneiden aktuelle Themen an, entwickeln ihre Geschichten weiter und vertrauen auf die Popularität ihrer ohnehin schon modernen Figuren. Mit diesem Konzept stehen weiteren 70 Jahren Comic-Erfolgsgeschichten also nichts im Wege.