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Migration und Asyl: Berlin unter Druck - nicht überfordert

12. Oktober 2023

Immer mehr Menschen fliehen nach Deutschland. Viele Kommunen fühlen sich überlastet. Wie groß ist der Handlungsbedarf? Ein Besuch im Ankunftszentrum in Berlin.

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In einer Unterkunft für Geflüchtete blicken drei lachende Kinder aus der Ukraine durch eine geöffnete Tür. Hinter den Kindern ist eine erwachsene Frau zu sehen
Geflüchtete aus der Ukraine in einer Unterkunft nahe MünchenBild: Peter Kneffel/dpa/picture alliance

In der Asyl - und Migrationspolitik in Deutschland besteht Handlungsbedarf, darüber sind sich fast alle politischen Entscheidungsträger einig. Viele Kommunen, die für die Unterbringung und Versorgung der geflüchteten Menschen zuständig sind, sehen sich an der Grenze der Belastbarkeit. Sie klagen über zu wenig Platz für die Unterbringung, über zu wenig Geld für die Versorgung. 

Zuletzt hatte die Bundesregierung den Kommunen für das kommende Jahr 1,7 Milliarden Euro für Unterbringung, Versorgung und Integration angeboten, weniger als in diesem Jahr. Viel zu wenig, kritisierte der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg. Im Magazin "Handelsblatt" plädierte er für "mehr Ordnung, mehr Begrenzung, eine gerechte Verteilung in Europa und endlich eine ausreichende Finanzierung der umfänglichen Aufgaben der Kommunen".

Berlin: "Enormer Druck, aber noch keine Überlastung."

Der Berliner Staatssekretär für Soziales, Aziz Bozkurt (SPD), ist einer derjenigen, der die Aufnahme in den Kommunen organisiert. Er präsentierte Mitte der Woche die aktuellen Zahlen für die deutsche Hauptstadt: In Berlin hat die Zahl der Asylsuchenden gegenüber dem Vorjahr um fast 32 Prozent zugenommen.

Blick auf die Container des Erstaufnahmezentrums in Berlin-Tegel, im Vordergrund die Haltestelle für den Bus-Shuttle.
Platz für momentan 4000, bald für 6000 Menschen: Das Ankunftszentrum für Geflüchtete in Berlin-TegelBild: Jens Thurau/DW

Der Druck sei enorm, sagt Bozkurt im Ankunftszentrum für Geflüchtete am ehemaligen Flughafen Tegel, aber als überfordert könne er die Behörden nicht bezeichnen, noch nicht. Bis Ende September wurden in Berlin fast 12.000 neue Asylsuchende registriert, im gesamten vergangenen Jahr waren es rund 9000.

Der Druck steigt also, aber 2015, als sehr viele Menschen vor allem aus Syrien und Afghanistan nach Deutschland kamen, war die Lage weit dramatischer: Allein in Berlin wurden damals nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge 33.300 Asylsuchende registriert.

Ein Mann in Hemd und Jackett steht im Aufnahmezentrum für Geflüchtete und gibt Interviews. Im Hintergrund stehen einige Männer
Berlins Sozialsenator Aziz Bozkurt (SPD): "Das ist hier wie in einer kleinen Stadt" Bild: Jens Thurau/DW

Bozkurt ist auch kommissarischer Leiter des Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) in der deutschen Hauptstadt. Einige Beschäftigte hatten sich zuletzt anonym in Brandbriefen an ihn gewandt und von "katastrophalen Bedingungen" gesprochen.

Bozkurt sagte der DW: "Dass mein Amt belastet ist, verstecke ich nicht. Es ist eine schwierige Situation." Aber wenn die Bundesregierung sage, sie habe nicht mehr Geld, dann müsse man eben über die Schuldenbremse nachdenken, dann müsste der Staat sich eben erneut verschulden.

Hitzige Debatten in der Bundespolitik

Ob es dazu kommen wird? Bundeskanzler Olaf Scholz hat jedenfalls den Oppositionschef, den CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz zu einem Gespräch eingeladen. Es solle dabei, so heißt es, um die vielen Vorschläge gehen, die zuletzt die politische Debatte in Deutschland bestimmten. Um eine Obergrenze für die Zahl der Flüchtenden etwa, um Gutscheine statt Geldleistungen, um eine mögliche Arbeitspflicht für Asylsuchende.

Die Regierung verkündete am Mittwoch, dass sie Verschärfungen für Asylsuchende plane. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) will Rückführungen von Menschen ohne Bleiberecht in Deutschland erleichtern und beschleunigen.

Das alles findet statt in einem gesellschaftlichen Klima, in dem immer mehr Bürger den Fluchtbewegungen nach Deutschland kritisch gegenüberstehen. Zwar will eine Mehrheit der Menschen laut mehrerer Umfragen das Grundrecht auf Asyl beibehalten, aber in einer Befragung des Meinungsforschungsinstitutes Civey im Auftrag des Magazins Focus meinten 74 Prozent der Befragten, das Land habe seit 2015 zu viele Menschen aufgenommen. 89 Prozent forderten konsequente Abschiebungen, etwa von Straftätern. Das ist in der Praxis oft nicht leicht, weil viele Herkunftsländer sich weigern, Menschen zurückzunehmen.

Eine kleine Stadt von Geflüchteten

Im Ankunftszentrum in Tegel führt Staatssekretär Bozkurt über das Gelände mit seinen Container-Unterkünften. 4000 Menschen leben schon jetzt hier, allein 3000 von ihnen aus der Ukraine. Für Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine gilt das Asylverfahren nicht. Die Asylsuchenden hier kommen aus Syrien, aus Afghanistan oder aus Georgien.

Ein Mann sitzt in einem großen Zelt mit einfachen Tischen und Bänken. Er blickt in die Kamera und spricht in ein Mikrofon der Deutschen Welle
Alex aus Afghanistan: "Wenn ich zurückgehe, bringen mich die Taliban um"Bild: Jens Thurau/DW

Noch im Oktober sollen weitere Unterkünfte für noch einmal 2000 Menschen geschaffen werden, die Arbeiten haben bereits begonnen. Von einer kleinen Stadt spricht Bozkurt, von einer Situation, wie auch er sie noch nicht erlebt habe.

Tanja aus der Ukraine, Alex aus Afghanistan

Zwei der Geflüchteten sind Tanja aus der Ukraine und Alex aus Afghanistan. Beide möchten ihre Nachnamen nicht sagen. Sie sind noch nicht lange hier im Ankunftszentrum. Alles in allem fühlen sie sich gut aufgehoben, sagen sie. Alex betont, dass er auf keinen Fall zurückgehen will in sein Heimatland: "Ich war dort Soldat, die Taliban würden mich umbringen", sagt Alex der DW.

Die aus der Ukraine geflüchtete Tanja sitzt im Essensraum des Erstaufnahmezentrums in Berlin-Tegel, blickt in die Kamera und wird von der DW interviewt.
Tanja stammt aus der Ukraine und ist erst seit einigen Tagen in BerlinBild: Jens Thurau/DW

Tanja spricht von Problemen bei Behördengängen, wirkt aber gelassen. Es gibt auch besorgtere Stimmen. Julia aus der Ukraine ist mit ihrem Sohn hier. Sie wirkt verzweifelt und sagt, niemand könne ihr wirklich helfen, seit Wochen schon sei sie hier, die Behördengänge überforderten sie total.

"Es ändert sich nichts!"

Einige Kilometer weiter südlich in Berlin befinden sich die Räume der "Unabhängigen Beschwerdestelle" für geflüchtete Menschen in Berlin. Seit 2021 gibt es die vom Senat finanzierte Mini-Behörde. 3500 Beschwerden von Geflüchteten hat sie seitdem bearbeitet, knapp die Hälfte davon allein in diesem Jahr.

Behördenleiterin Maike Caiulo-Prahm sagt der DW: "Durch die hohe Zahl von Geflüchteten steigen die Spannungen in den Unterkünften. Auch das gesellschaftliche und politische Klima ist sehr angespannt. Dazu kommt, dass 95 Prozent unserer Mitarbeiter selbst einen Migrationshintergrund haben und von der Lage sehr betroffen sind."

Ein Mann mit dunklem Haar und Bart sitzt vor seinem Schreibtisch und blickt nach rechts an der Kamera vorbei
Oguz B. berät Geflüchtete bei Schwierigkeiten etwa mit BehördenBild: Jens Thurau/DW

Berater Oguz B. ergänzt: "Die Menschen haben jetzt weniger Platz, das ist mir aufgefallen. Auch die Mitarbeiter in den Unterkünften und in der Flüchtlingshilfe klagen über eine starke Überforderung. Und jeden Tag hört und liest man in den Medien, dass sich endlich etwas ändern muss. Aber es ändert sich nichts."

Die hitzige Debatte über mögliche Verschärfungen bei der Abschiebung trägt nicht zur Beruhigung bei. Bozkurt kommentierte die Pläne der Bundesinnenministerin jedenfalls so: "Das ist eine Symbolpolitik, die niemandem hilft." Bozkurt ist wie Faeser Mitglied der SPD, der Partei von Bundeskanzler Olaf Scholz.