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Mindestlohn auch für EU-Ausländer?

Jennifer Stange 23. Februar 2014

Schlechte Zustände in Schlachtbetrieben sorgen oft für Schlagzeilen. Nun haben sich Arbeitgeber und Gewerkschaft auf einen Mindestlohn geeinigt. Verbessert das auch die Lage der Fachkräfte aus anderen EU-Staaten?

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Abtransport von Schweinehälften auf einem deutschen Schlachthof - Foto: Bildagentur Kunz
Bild: picture alliance / Fotoagentur Kunz

16.000 Schweine werden täglich im Schlachtbetrieb der Firma Tönnies in Weißenfels in Sachsen-Anhalt zerlegt und verpackt. Obwohl die Arbeitslosenquote in dieser Gegend deutlich über dem Bundesdurchschnitt liegt, seien die mobilen Beschäftigten - also Staatsangehörige aus anderen EU-Ländern - bei Tönnies seit Jahren nicht mehr wegzudenken, sagt Betriebsleiter Stefan Caspar.

Er schwärmt regelrecht von den Arbeiterinnen und Arbeitern aus Polen, Ungarn und Rumänien. Die rumänische Firma Ninbog übernimmt in Weißenfels rund um die Uhr die Zerlegung der Schweine. "Die haben wirklich vom ersten Tag an einen Superjob hingelegt", lobt Caspar. "Hochqualifiziertes Personal - was wir schon bald gar nicht mehr kannten."

Ausländische Subunternehmen in deutschen Firmen

Sechzig Prozent der 2000 Tönnies-Mitarbeiter sind mittlerweile nicht mehr direkt bei dem Schlachtbetrieb unter Vertrag. Sie werden von Subunternehmen aus Osteuropa gestellt. Diese schließen einen Werkvertrag über eine bestimmte Leistung mit dem Generalunternehmen Tönnies und bringen ihre eigenen Schlachter und Zerleger mit. Betriebsleiter Caspar kontrolliert nur das Endprodukt. Um alles andere kümmern sich Werkvertragsnehmer: um die Aufsicht bei der Arbeit, die Festlegung der Normen, die Löhne und die Einhaltung der Arbeitszeiten. Deshalb kann der Betriebsleiter auch keine Auskunft darüber geben, wie viel die ungarischen, polnischen und rumänischen Arbeiter bei Tönnies verdienen.

Mario Predescu aus Rumänien ist 27 Jahre alt und arbeitet seit sieben Jahren bei Tönnies, steht aber auf der Gehaltsliste der rumänischen Firma Ninbog. "Hier in Deutschland: gute Arbeit, gute Bezahlung, alles schön", sagt er in gebrochenem Deutsch.

Alles schön? Im Vergleich zu Rumänien, wo er im Monat mit rund 250 Euro nach Hause gehen würde, vielleicht. Doch immer wieder sorgen die Zustände in deutschen Schlachtbetrieben für Schlagzeilen. Osteuropäische Arbeiter würden häufig mit drei bis fünf Euro die Stunde abgespeist, kritisiert die Gewerkschaft "Nahrung Genuss Gaststätten". Die rumänische Firma Ninbog hat darüber keine Auskunft gegeben. Auch Vorarbeiter Predescu sagt dazu nichts und andere Arbeiterinnen und Arbeiter, die an diesem Tag durch das Drehkreuz am Werktor bei Tönnies gehen, scheinen die Frage nicht zu verstehen oder winken ab.

Ausländische Beschäftigte warten auf den Fluren der Beratungsstelle für mobile Beschäftigte auf ihren Beratungstermin - Foto: Jennifer Stange (DW)
Osteuropäer warten auf ihren Termin bei der Beratungsstelle für mobile BeschäftigteBild: Jennifer Stange

Nach Skandalen kommt jetzt der Mindestlohn

Ab Juli sollen alle Arbeitnehmer auf Schlachthöfen und in verarbeitenden Betrieben 7,75 Euro pro Stunde bekommen. So steht es im neuen Mindestlohntarifvertrag. Der gilt aber nicht unbedingt für alle Beschäftigten auf deutschen Schlachthöfen, sagt die Arbeitssoziologin Bettina Wagner. Verbindlich für ausländische Arbeiter wäre der Mindestlohn nur dann, wenn die Fleischbranche auch ins sogenannte Arbeitnehmerentsendegesetz aufgenommen wird: ein Gesetz, auf dessen Grundlage in bestimmten Branchen Mindeststandards für Arbeitsbedingungen festgelegt werden können. Am Freitag (21.02.2014) erklärten Karl Schiewerling und Wilfried Oellers, Arbeitsmarktexperten der Unionsfraktion im Bundestag, dass die Bundesregierung in der kommenden Woche die Aufnahme der Fleischbranche in das Arbeitnehmerentsendegesetz auf den Weg bringen werde, melden deutsche Nachrichtenagenturen.

Vorerst sind EU-Bürger, die über ausländische Subunternehmen in der deutschen Fleischindustrie arbeiten, rechtlich noch an die Gesetze ihres Herkunftslandes gebunden. Ein Umstand, der die ausländischen Fachkräfte benachteilige und Missbrauch fördere, kritisiert Bettina Wagner. Sie arbeitet im Beratungsbüro für mobile Beschäftigte des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Berlin - der einzigen Anlaufstelle dieser Art im östlichen Teil Deutschlands für ausländische Arbeitskräfte.

Arbeitssoziologin Bettina Wagner - Foto: Jennifer Stange (DW)
Setzt sich gegen Lohndumping ein: Arbeitssoziologin Bettina WagnerBild: Jennifer Stange

Lohnbetrug und falsche Papiere

Lohndumping und Lohnbetrug sind in Wagners Sprechstunde ein Dauerthema. Vor allem in Branchen, die finanziell wenig einbringen und gesellschaftlich kaum Anerkennung finden, werde die Arbeit zunehmend von Osteuropäern übernommen, sagt die Arbeitssoziologin. In der Fleischbranche gibt es außerdem noch ein ganz spezielles Problem. Zwar müssen die ausländischen Subunternehmen eine Krankenversicherung für ihre Angestellten nachweisen. Doch stellt sich bei den häufigen Verletzungen in der Branche nicht selten heraus, dass die Betroffenen nicht versichert sind und auf den Arztkosten sitzen bleiben. “Wir haben häufiger das Problem, dass diese Formulare eben nicht echt sind", sagt Wagner. Deshalb würden erkrankte Werkvertragsarbeiter einfach verschwinden - schnell ins Auto gesetzt und in die Heimat gebracht.

Auch die Unterbringung der ausländischen Schlachter ist kritikwürdig: Oft müssen sie ihren Arbeitgebern auch noch extrem hohe Mieten für spartanische Unterkünfte zahlen. "Ich hatte einen Fall in der Fleischverarbeitung, wo sechs Leute in einem Zimmer untergebracht waren und jeder bezahlte 260 Euro Miete im Monat", berichtet Bettina Wagner. Die Bedienung aus der Kneipe in der Nähe des Schlachthofs in Weißenfels erzählt, dass die Tönnies-Arbeiter zu zehnt in einer Zweizimmer-Wohnung nebenan wohnen würden. Auf ein Bier komme keiner der osteuropäischen Männer vorbei. Nur wenn ihre Ehefrauen sie besuchten, würden sie sich hin und wieder in der Pension nebenan ein Zimmer leisten, erzählt die Kellnerin.

"Gleiches Geld für gleiche Arbeit": Dieses Prinzip findet auch der Tönnies-Betriebsleiter Stefan Caspar fair. Noch gibt es aber in seinem Unternehmen ein massives Lohngefälle zwischen der Stammbelegschaft und den osteuropäischen Mitarbeitern.