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Minister will Kauf von Arztpraxen durch Investoren stoppen

Ben Knight
23. Juli 2023

In Deutschland kaufen internationale Investoren Arztpraxen und Kliniken auf. Kritiker warnen vor kostspieligen und unnötigen Behandlungen.

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Behandlung beim Zahnarzt
Gesundheitsminister Karl Lauterbach will "mehr Gesundheit, weniger Profit"Bild: Jens Krick/Flashpic/picture alliance

Mit der Gesundheit ließen sich schon immer gute und weitgehend krisensichere Geschäfte machen. Seit Jahren kaufen deshalb internationale Investoren auch in Deutschland immer mehr Arztpraxen als Renditeobjekte auf. Ein Trend, den Gesundheitsexperten und Patienten mit Sorge beobachten.

Sie befürchten, dass die Konzerne aus Gründen der Profitmaximierung die Ärzte dazu anhalten, unnötige medizinische Behandlungen anzubieten. Insbesondere solche, die teure Zusatzleistungen beinhalten, die nicht von den Versicherungen übernommen, sondern privat abgerechnet werden. 

Eine im Mai veröffentlichte Studie der Nichtregierungsorganisation Finanzwende Recherche - ein 2018 gegründeter Verein, der sich für eine Reform der Finanzmärkte einsetzt - ergab, dass Private-Equity-Firmen im Jahr 2022 174 deutsche Arztpraxen gekauft haben, 34 mehr als im Jahr zuvor. Im Jahr 2010 waren es dagegen nur zwei.

Mehr als 500 Kliniken im Besitz von Investoren

Nach Recherchen des Norddeutschen Rundfunks besitzen solche Unternehmen inzwischen Hunderte von Praxen in ganz Deutschland, sodass einzelne Ketten in bestimmten Regionen und Städten eine Monopolstellung besitzen. Der NDR ermittelte insgesamt 500 Krankenhäuser, die sich im Besitz von Investoren befinden. Die tatsächliche Zahl ist jedoch unbekannt, weil es keine Verpflichtung gibt, die Eigentumsverhältnisse öffentlich bekannt zu geben - ein Umstand, den viele Gesundheitsexperten ändern wollen.  

Das Thema nahm die Bundesregierung im vergangenen Jahr in den Blick. "Ich mache Schluss damit, dass Investoren in absoluter Profitgier Arztpraxen aufkaufen", sagte der sozialdemokratische Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Er kündigte an, einen Gesetzentwurf einzubringen, "damit diese Heuschrecken nicht mehr in die Praxen kommen".

Gewinne oder medizinische Versorgung?

Bei seiner Kampfansage an die Investoren bekommt Lauterbach Rückendeckung von Horst Helbig. Für den Sprecher der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft, der wissenschaftlichen Fachgesellschaft für Augenheilkunde, und Leiter einer Augenklinik in Regensburg, sind Investorenkliniken rein auf Gewinn ausgerichtet.

"Der Zweck einer Investmentgruppe besteht zu 100 Prozent darin, Gewinne zu erwirtschaften. Sie wollen nichts anderes und dürfen am Ende des Tages auch nichts anderes tun", sagt Helbig. "Natürlich muss auch eine einzelne Klinik, die im Besitz der Ärzteschaft ist, Geld verdienen. Ihr Hauptzweck ist aber die medizinische Versorgung."

Krankenschwester vor Computer in Behandlungszimmer
Intensivtherapie-Station in LeipzigBild: Waltraud Grubitzsch/dpa-Zentralbild/picture alliance

Eine Studie des unabhängigen Forschungs- und Beratungsinstituts für Infrastruktur- und Gesundheitsfragen aus dem Jahr 2022 scheint dies zu bestätigen. Sie kam zu dem Ergebnis, dass Kliniken im Besitz von Investoren mindestens zehn Prozent mehr Gebühren einnahmen als solche, die im Besitz einzelner Ärzte sind. 

Zementierung der Zwei-Klassen-Medizin?

In Deutschland gibt es ein zweistufiges Gesundheitssystem, das durch Beitragszahlungen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern an die Krankenkassen finanziert wird. Die Krankenversicherung ist für die gesamte Bevölkerung obligatorisch. Die gesetzlichen Versicherer, die rund 90 Prozent der Bevölkerung abdecken, dürfen niemandem ihre Unterstützung verweigern. Die anderen zehn Prozent genießen mit einer privaten Krankenversicherung oft mehr Schutz. Insgesamt kostet das deutsche Gesundheitssystem jährlich mehrere Hundert Milliarden Euro.

Ein Hausarzt hört mit einem Stethoskop den Herzschlag eines Patienten ab
Einige Patienten befürchten, dass sie zum Anlage-Objekt für Finanzinvestoren werden könntenBild: Benjamin Nolte/dpa/picture alliance

Helbig sagt, er habe den Trend bemerkt, dass neue Arztpraxen im Besitz von Investoren gesetzlich versicherte Patienten abwiesen und sich auf diejenigen konzentrierten, die Gewinn bringen. "Einige Patienten sind lukrativ, andere kosten Geld. Wir haben festgestellt, dass viele Patienten, die nicht gewinnbringend behandelt werden können, in öffentliche Krankenhäuser verlegt werden", sagt der Gesundheitsexperte der DW.

Riskantes Geschäftsmodell

Dies sei besonders in Augenkliniken spürbar, wo es große Preisunterschiede zwischen den Behandlungen gebe, die teilweise nicht von der Versicherung übernommen würden. "Gut bezahlt werden Kataraktoperationen, wohingegen Notfalleingriffe jeglicher Art schlecht bezahlt werden", erläutert Helbig. Darüber hinaus würden auch aufwändigere Kataraktoperationen, möglicherweise weil der Graue Star bereits weit fortgeschritten ist, in die öffentlichen Krankenhäuser verlegt.

Kinderärzte im Krisenmodus

Finanzwende Recherche hat errechnet, dass Investoren mit bis zu zwanzig Prozent Gewinn aus ihren Anlagen rechnen können - allerdings nur, wenn sie genügend Praxen kaufen. Das Geschäftsmodell der Private-Equity-Fonds bestehe darin, mehrere Praxen zu bündeln und sie - zum Teil mit Hilfe von Krediten - riskant zu sanieren, um sie später mit Gewinn zu verkaufen, sagt Finanzwende-Forscherin Aurora Li.

Fokus auf Gewinnmaximierung

"Der Fokus liegt nicht auf dem operativen Gewinn, sondern auf dem stetigen Zufluss von Kapital", so Li gegenüber der DW. "Wenn Unternehmen Druck auf die Ärzte ausüben, profitable Behandlungen zu verkaufen und einen stetigen Cashflow zu ermöglichen, dann kann das für andere Finanzinvestoren profitabel werden. Und einen hohen Cashflow kann man nur erzielen, wenn man im Besitz vieler Arztpraxen ist."

Symbolbild Gruppe diverser weiblicher und männlicher Chirurginnen während einer Operation.
Einige Operationen sind teuer - viele medizinische Einrichtungen müssen deshalb finanziell gut planenBild: Channel Partners/Zoonar/picture alliance

Es sei sehr bedenklich, wenn Patienten unsicher seien, ob ihre Behandlung nicht von Gewinnerwartungen beeinflusst werden. "Eine weitere Gefahr besteht darin, dass das Geschäftsmodell, das diesen Arztpraxen auferlegt wird, sehr riskant ist und sie schnell in Konkurs gehen können. Besonders, wenn höhere Zinssätze für die Kredite zu höheren Kosten führen." Dann, so Li, könnten die Investoren die Praxis schließen lassen.

Ärzteverbände relativieren Lauterbach-Kritik

Der von Karl Lauterbach angekündigte Gesetzentwurf steht noch aus, doch einige Ärzteverbände beurteilen die Thematik anders als der Gesundheitsminister. So verwies der Bundesverband der Betreiber medizinischer Versorgungszentren auf Regierungsdaten, wonach es keine statistischen Beweise dafür gebe, dass die medizinische Behandlung von Kliniken im Besitz von Investmentfonds schlechter sei.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach während einer Rede
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach will den Einfluss von Investoren auf das Gesundheitswesen reduzierenBild: Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Dort beschäftigte Mediziner veröffentlichten im Mai außerdem einen Brief, in dem sie die Behauptung Lauterbachs, ihre Unabhängigkeit könne in Frage gestellt werden, verärgert zurückwiesen. "Als angestellte Ärzte üben wir unseren Beruf mit der gleichen Leidenschaft und dem gleichen Engagement für den Patienten aus wie unsere Kollegen aus Einzelpraxen oder in Krankenhäusern." 

Auch Horst Helbig ist wegen der wirtschaftlichen Belastungen nicht grundsätzlich gegen die Bündelung von Praxen. Nur wenigen jungen Ärzten sei es zum Beispiel möglich, die nötigen Investitionen zu tätigen. Und nur wenige seien bereit, eine 60-Stunden-Woche auf sich zu nehmen, die für die Gründung einer eigenen Praxis erforderlich sei. "Man kann natürlich fordern, dass die Bürokratie, die einen in der Praxis wirklich überfordert, abgebaut wird. Ich weiß aber auch, dass es ein wenig naiv ist, zu erwarten, dass dies in Deutschland tatsächlich passiert."

Der Artikel erschien im Original auf Englisch und wurde adaptiert.