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Berichte über Massaker in Zentralafrika

Dirke Köpp11. Februar 2014

In der Zentralafrikanischen Republik gerät die Gewalt außer Kontrolle. Amnesty International spricht von "ethnischen Säuberungen". Polnische Missionare berichten der DW von einem Massaker im Westen.

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Verwüstetes Haus in Nzakoun, Zentralafrikanische Republik (Foto: DW)
Bild: DW

Einem Impuls folgend waren der polnische Franziskaner-Pater und sein zentralafrikanischer Kollege mit dem Motorrad gemeinsam nach Nzakoun gefahren. Was sie bei ihrer Ankunft in dem Dorf an der Grenze zu Kamerun und Tschad sahen, war grauenhaft: In mehreren Häusern lagen Leichen. Töpfe, Teller und Kleidung lagen in den Straßen verstreut. Manche Häuser waren bis auf die Grundmauern abgebrannt. Immer wieder fanden sie leere Patronenhülsen. Verwesungsgeruch lag in der Luft, an Wänden klebte Blut, überall waren Fliegen.

"Wir haben viele schlimme Dinge gesehen", berichtet der Franziskaner-Pater der Deutschen Welle. Seinen Namen will er nicht nennen, zu groß ist die Angst vor den Rebellen. "Zuerst die 22 Toten, dann die 25 Häuser, die angezündet wurden. Verbrannte Motorräder, Fahrräder, die Dorf-Apotheke. Die Leute dort haben Schlimmes durchgemacht." Dem Geistlichen ist der Schock über das Gesehene noch immer anzuhören. Alles Brauchbare hätten die Täter mitgenommen: Mobiltelefone, Essen und den einzigen Generator des Dorfes.

"Wer nicht geflohen ist, wurde getötet"

Den Berichten der Dorfbewohner zufolge fielen in der Nacht vom 3. auf den 4. Februar Rebellen in das Dorf ein. Sie hätten wahllos Menschen erschossen. Unter den Toten, die die beiden Geistlichen sahen, waren mindestens drei Männer, zehn Frauen, fünf Jungen und vier Mädchen. Während ihres Besuchs in Nzakoun, wo rund 3500 Menschen wohnten, wurden die beiden Männer auch zu provisorischen Gräbern geführt. Auffällig waren die Töpfe, die darauf standen. Auf Nachfrage erklärten die Dorfbewohner, dass die Zahl der Töpfe anzeige, wie viele Menschen darunter notdürftig mit Erde bedeckt seien.

Blutspuren im Dorf Nzakoun (Foto: DW)
Blutspuren im Dorf Nzakoun: Hier soll ein Massaker stattgefunden habenBild: DW

"Wer nicht aus seinem Haus geflohen ist, wurde getötet", berichtet der Franziskaner-Pater. Zwei Tage lang seien die Eindringlinge geblieben, bevor sie mit dem gestohlenen Hab und Gut wieder abfuhren. Doch es herrsche weiter ein Klima der Angst. Bei jedem Motorengeräusch brächten sich die Menschen in Sicherheit, berichtet der Missionar.

Keine Unterstützung durch Militär

Der Franziskaner-Pater ist davon überzeugt, dass es sich bei den Tätern um Séléka handelt, mehrheitlich muslimische Rebellen, die im März 2013 Ex-Präsident Bozizé aus dem Amt geputscht hatten. Ihr Anführer, Michel Djotodia, erklärte sich daraufhin zum Staatschef und löste die Séléka offiziell auf. Sie wüten weiter unkontrolliert im Land - auch nach dem Rückritt Djotodias im Januar.

Der Geistliche meint, die Autos und Motorräder der Rebellen wiedererkannt zu haben. Zudem hätten die Séléka einen Brief an die vornehmlich christlichen Anti-Balaka-Milizen seiner Stadt geschickt und eine friedliche Durchfahrt angekündigt. "Der General hat jemanden mit einem Brief vorbeigeschickt, in dem stand, dass sie friedlich durch die Stadt Ngaoundaye fahren wollten. Und die Anti-Balaka haben geantwortet, dass sie durchfahren könnten, aber nicht anhalten sollten", so der Franziskaner. "Sie haben dann zwar nicht geschossen, aber sechs Häuser verbrannt."

Soldaten der französischen Militäroperation "Sangaris" oder der panafrikanischen MISCA gebe es in der Gegend nicht, so der Pater. "Ich habe mehrfach bei der Regierung in der Hauptstadt Bangui und beim französischen Militär darum gebeten - aber ohne Erfolg. Ich verstehe das nicht, denn wir sind hier direkt an der Grenze zu Kamerun, an der Grenze zum Tschad. Es ist schwierig hier. Denn die Séléka, die die Zentralafrikanische Republik verlassen, fahren zwingend durch Ngaoundaye."

Chaos im Dorf Nzakoun in der zentralafrikanischen Republik nach einem Rebellen-Angriff (Foto: DW)
Die Missionare haben die Zerstörung dokumentiert: das Dorf Nzakoun nach dem AngriffBild: DW

Das Angebot der polnischen Regierung, sie außer Landes zu bringen, haben die Missionare bislang abgelehnt. "Nein, wir bleiben", sagt der Franziskaner-Pater entschieden. "Die Bevölkerung hier braucht uns." Vielleicht, meint er, habe die Anwesenheit der Missionare dazu beigetragen, dass so lange nichts passiert sei. "Aber wir werden sehr gut aufpassen, und wenn es zu gefährlich wird, dann fliehen wir."

Appell an Internationalen Strafgerichtshof

Der Mönch versucht nun, auch auf diplomatischem Weg etwas zu erreichen. So sagte etwa der für Menschenrechte zuständige Vize-Außenminister Polens, Artur Nowak-Far, der Deutschen Welle, dass er die Berichte und Fotos des Massakers in Nzakoun an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag weiterleiten werde. Dessen Chefanklägerin Fatou Bensouda hatte in der vergangenen Woche (07.02.2014) angekündigt, Vorermittlungen wegen möglicher Kriegsverbrechen in der Zentralafrikanischen Republik zu beginnen.

In Bangui und anderen Teilen des Landes reißt die Gewalt nicht ab. Inzwischen sollen rund 2000 Menschen - Christen und Muslime - ums Leben gekommen sein. Da die Situation außerhalb Banguis aber schlecht dokumentiert ist, könnte die Zahl sogar noch höher liegen. Die Organisation Amnesty International beschuldigt die internationalen Friedenstruppen, sie hätten die "ethnische Säuberung" in dem Land nicht verhindert. "Das Ergebnis ist eine Massenflucht der Muslime von historischen Ausmaßen", hieß es in einem am Mittwoch (12.02.2014) veröffentlichten Bericht der Organisation.

Patronenhülsen in Nzakoun, Zentralafrikanische Republik (Foto: DW)
Wie viele Menschen genau in Nzakoun getötet wurden, ist noch unklarBild: DW

In der Hauptstadt nehmen die Soldaten der französischen Mission Sangaris derzeit vor allem die Anti-Balaka ins Visier. Anfang der Woche hatte Sangaris-Oberbefehlshaber General Francisco Soriano die mehrheitlich christlichen Milizen als Kriminelle und Banditen bezeichnet. Und der Chefkommandant der panafrikanischen MISCA-Mission, General Martin Tumenta Chomua, sagte der DW: "Wir werden, wo nötig, häufiger zu den Waffen greifen, denn wir haben ja ein Mandat. Wer sich nicht entwaffnen lässt, wird als Krimineller betrachtet und auch so behandelt. Das heißt, dass wir - wenn sie auf uns schießen - auch mit Gewalt darauf reagieren werden."