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Mit dem Joystick gegen Alkoholabhängigkeit

Hannah Lesch
25. Dezember 2016

Frisch aus dem Entzug entlassen, sitzen Alkoholabhängige vor einem Bildschirm und lernen Abstinenz. Mit einem Joystick schieben sie Bilder mit Alkohol von sich weg. Das soll die Rückfallquote mindern - mit Erfolg.

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Kombobild Bier und Kola
Bild: Miriam Sebold

Er habe an der Studie vor allem deswegen teilgenommen, weil er damit zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen konnte, witzelt Freddy. Er habe gehört, dass eine MRT-Untersuchung teil der Studie sei - und wollte so sichergehen, dass sein Unfall vor zehn Jahren keine größeren Schäden am Kopf hinterlassen hat.

Und dann wird Freddy doch ernst: Nein, eigentlich habe er teilgenommen, um seine Alkoholabhängigkeit zu überwinden.

Angefangen habe es 2004 mit seiner Scheidung. "Danach habe ich regelmäßig getrunken", erzählt er. "Mindestens zwei Liter Bier und zwei Schnäpse jeden Tag."

Der 64-Jährige versuchte zu pausieren, aber spätestens nach drei Tagen trank er wieder Alkohol. Freddy erkannte seine Sucht, machte einen Entzug - und wurde rückfällig.

Extrem hohe Rückfallquoten

Zwischen Sucht und Genuss Alkohol
Die hohe Rückfallquote ist ein generelles Problem bei der Therapie von AlkoholabhängigenBild: picture-alliance/dpa

"Rund 85 Prozent der Alkoholabhängigen haben nach dem Entzug einen Rückfall", erklärt Miriam Sebold, Psychologin an der Charité Berlin.

Sie führt eine Studie zur Therapie von Alkoholabhängigen durch. Die basiert auf Forschungen aus den Niederlanden: "Alcohol Approach Avoidance Task" heißt das Training mit einem Joystick, das dort entwickelt wurde. Es geht darum, die Annäherung an Alkohol zu unterbinden und deshalb den Alkohol virtuell von sich wegzuschieben.

Zu Beginn der Studie war Freddy skeptisch. "Was soll das hier?", meinte er damals. "Es wirkte wie eine Spielerei. Das war Quatsch für mich."

Da saß er zum ersten Mal in dem knapp zehn Quadratmeter großen Raum vor dem Bildschirm, den Joystick in der Hand. Vor ihm auf dem Bildschirm erschienen abwechselnd Bilder von Alkohol oder alkoholfreien Getränken in unterschiedlichen Formen und Farben. 

In der Anleitung des Trainings kommt das Wort Alkohol nicht einmal vor. Die Probanden sollen lediglich folgendes beachten: Nach rechts geneigte Bilder mit dem Joystick von sich wegschieben, nach links geneigte Bilder zu sich heranziehen. Und das so schnell wie möglich.

Kann dieses Training die Rückfallquote von Alkoholabhängigen senken?

Wirklich eine Frage des Wollens?

Freddy hat über Jahre versucht, vom Alkohol wegzukommen. Er machte eine Langzeittherapie. "In dieser Zeit war das Verlangen nicht mehr da", erzählt er. "Es war wie unter einer Käseglocke." Doch zurück Zuhause - als er wieder in dieselbe Imbissbude wie damals ging - da war der Wunsch nach Alkohol plötzlich zurück.

Süchtige gelten oft als willensschwach, nach dem Motto: "Wenn sie das nur wirklich wollen würden, könnten sie auch aufhören." Bei der Arbeit mit Abhängigen erlebt Miriam Sebold aber das Gegenteil: "Der Großteil der Patienten möchte aufhören, die wollen abstinent leben. Die haben ihre Frau und ihren Job verloren und ihre Gesundheit. Und sie schaffen es trotzdem nicht. Es ist keine Krankheit des schwachen Willens."

"Bei Untersuchungen konnte festgestellt werden, dass Alkoholabhängige automatische Tendenzen haben, sich Alkohol anzunähern", so die Forscherin weiter. Die Abhängigen haben mit der Zeit Mechanismen entwickelt, unbewusst alkoholische Getränke mit etwas Positivem und Begehrenswerten zu verknüpfen. "Wir gehen nicht davon aus, dass Alkoholabhängige so geboren wurden. Sie haben über die Zeit gewisse Mechanismen erlernt, und die können sie auch wieder verlernen. Das ist unser Ansatz", stellt Sebold klar.

Vorher-Nachher-Vergleich

Dass diese Mechanismen bei den Probanden überhaupt vorhanden sind, wurde zu Beginn der Studie nachgewiesen.

Sucht Therapie Alkoholismus  Charité Berlin
Miriam Sebold, Psychologin an der Charité Berlin, erklärt einer Kollegin die besonderen Reaktionen im Gehirn von Abhängigen, wenn sie Alkohol sehen. Bild: DW/MSebold

In einem ersten Test muss der Proband Bilder von Alkohol und alkoholfreien Getränken zu sich heranziehen und von sich wegschieben. Bei Alkoholabhängigen zeigte sich: Die Reaktionszeit beim Alkohol heranziehen war kürzer als die Reaktionszeit beim Alkohol wegschieben. Dieser Prozess dauerte länger als bei anderen, nicht-alkoholischen Getränken.

Die MRT-Untersuchung - die für Freddy ein wichtiger Grund für die Teilnahme war - wird einmal ganz zu Beginn der Studie durchgeführt und dann noch mal nach sechs Trainingseinheiten. Hier werden Lernexperimente durchgeführt und Versuche, bei denen es darum geht, Entscheidungen zu treffen. Dann wird überprüft, ob dieses Training die Entscheidungsfindung beeinflusst. In dieser Form wurde die Effizienz noch nie untersucht.

Freddy hat seine letzte MRT-Untersuchung schon hinter sich. Was danach folgt, sind regelmäßige Anrufe der Forscher. Sie wollen feststellen, wie viele ihrer Patienten rückfällig werden. "Das Training wirkt, aber genau wie bei einer medikamentösen Therapie sind die Ergebnisse unterschiedlich stark." Dabei bezieht sich Sebold auf die Ergebnisse vorangegangener Studien. Diese zeigten, dass die Rückfallquote durch das Training um circa zehn Prozent zurückgeht. Das entspricht der Wirkung der besten Medikamente.

Weißer Schnapps
Alle Bilder, die im Training verwendet werden, wurden vorher Gesunden und Alkohlabhängigen gezeigt. Sie sollten einstufen, wie sehr ein Foto Verlangen nach Alkohol auslöst. Bild: Miriam Sebold

Therapie für unterwegs

Das Hauptziel der aktuellen Studie an der Charité ist es, herauszufinden, welche Mechanismen durch das Training verändert werden können. "Genau an diese Prozesse könnte man zum Beispiel auch gezielte pharmakologische Behandlungen anknüpfen", meint Sebold. Die Forscher wollen auch herausfinden, welche Patienten von dieser Art von Therapie profitieren und bei wem sie keine Wirkung zeigt. "Langfristig wollen wir durch unsere Forschung individualisierte Therapien schaffen", erklärt die Forscherin.

Freddy hatte letztendlich eine Menge Spaß am Training. Er würde sich das Programm auch für Zuhause kaufen, meint er. "Aber dann würde ich meine eigenen Bilder reinsetzen", lacht er.

Generell ist die Überlegung gar nicht so abwegig. Mit einem Belohnungssystem ausgestattet, könnte das Training durchaus auch als App funktionieren, die man dann mobil und von Zuhause aus spielen könnte. "An etwas ähnlichem arbeiten die Wissenschaftler gerade", verrät Sebold. Geforscht wird außerdem daran, ob mit dieser Technik auch andere Formen von Sucht therapiert werden könnten, Rauchen zum Beispiel.

Übertragung auf den Alltag

Im Rückblick auf das Training stellt Freddy überzeugt fest: "Dieses Spiel hat mir gut getan. Ich musste mich wieder richtig konzentrieren, und das ist gut so. Man muss die Konzentration wieder finden, die viele Menschen durch Alkohol verloren haben."

Belgisches Bier im Supermarktregal
Solche Regale im Supermarkt versucht Freddy zu meiden. Er will vom Alkohol loskommenBild: picture-alliance/D. Kalker

Ihm sei es immer darum gegangen, möglichst schnell zu sein und das Training so gut wie möglich zu absolvieren. Dass sich dabei aber auch sein Verhältnis zu Alkohol verändert hat, bemerkte er erst im Rückblick. Als er im Supermarkt war und eine Flasche Alkohol von einem Bild im Training wiedererkannte, hat er einfach den Kopf weggedreht.

Doch so gut gelingt die Übertragung der Therapie auf den Alltag nicht immer. Alle Teilnehmer der Studie haben den eigentlichen Entzug schon hinter sich, und viele von ihnen werden während des Trainings wieder rückfällig.

Die Studie wird in Zusammenarbeit mit der Uni Dresden durchgeführt. Rund 70 Probanden haben bisher daran teilgenommen. Weniger als die Hälfte waren bis zum Schluss dabei. 

Bei Freddy aber läuft gerade alles gut. Seit dem Entzug und dem Training hat er keinen Tropfen Alkohol mehr getrunken. Er meidet die alten Kneipen, trinkt mit seinen Kumpels nur noch Tee und hat seine Wohnung umgestellt. Besonders stolz und glücklich ist er, dass er mit seinen 64 Jahren wieder einen Job gefunden hat. All das und das Training habe sehr geholfen, meint er.

Beim Rausgehen verspricht Freddy noch - mehr zu sich selber als zu Miriam Sebold: "Weihnachten wird dieses Jahr ohne Alkohol gefeiert."