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Ganz schnelle Truppe

Christian F. Trippe5. Februar 2015

Die NATO stellt eine schnelle Eingreiftruppe auf, um sich gegen mögliche Bedrohungen aus Russland zu wappnen. Die Details zu dieser "Speerspitze" wollen die Verteidigungsminister bei ihrem Treffen in Brüssel festlegen.

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NATO bekommt Truppe für schnellen Einsatz
Bild: picture-alliance/dpa/Jens Wolf

In der nordatlantischen Militärallianz bekommt alles eine Abkürzung: Truppenteile, Einsätze, Funktionen - alles wird in mehr oder minder sperrige Buchstabenfolgen aufgelöst. "VJTF" heißt das jüngste NATO-Akronym, dahinter verbirgt sich die "Very High Readiness Joint Task Force". Doch auch wenn diese Truppe vorerst nur auf dem Papier steht, gibt es für sie bereits einen umgangssprachlichen Namen: "Speerspitze".

Ein General hat diese Truppe auch schon mal den "Porsche" unter den NATO-Verbänden genannt. Die Sprachspiele gehen auf einen Beschluss der Chefs der 28 NATO-Länder vom letzten Herbst zurück: Im Spannungsfall sollen bis zu 5000 Soldaten so schnell wie möglich an die Außengrenzen des Bündnisses verlegt werden. Mit diesem Konzept reagiert die NATO auf Russlands aggressive Außenpolitik. Ziel ist die Rückversicherung der osteuropäischen 'Frontstaaten': Sobald an ihren Grenzen russische Truppen aufmarschieren, kommt die Speerspitze zum Einsatz.

Alarmbereitschaft auf dem Prüfstand

Nach und nach nimmt der Verband nun Kontur an. Deutschland, die Niederlande und Norwegen haben sich bereit erklärt, die erste - noch vorläufige - Speerspitze zu bilden. Die Militärs erwarten nun, dass von den Verteidigungsministern "Vorgaben zur Größe und zum Konzept der VJTF erarbeitet werden." So formuliert es Oberstleutnant Jürgen Mertins, Sprecher des deutsch-niederländischen Korps in Münster. Seine Truppe stellt das mobile Hauptquartier für die Heeresverbände der Speerspitze.

Oberstleutnant Hans Jürgen Mertins 2010
Oberstleutnant Hans Jürgen MertinsBild: Bundeswehr/PIZ Kunduz/PIZ Kunduz

Ende Januar begannen die Trockenübungen. NATO-Stabsoffiziere und Planer führten eine sogenannte "Table-Top-Exercise" durch. Eine Simulation mit Landkarten und Tabellen im Laptop. Ende April gehen die Sandkastenspiele weiter, dann wird eine Alarmübung simuliert. Wie schnell ist die Truppe abmarschbereit, wie lange dauert es, das Gerät zu verpacken? Die NATO-Dokumente treffen (noch) keine eindeutige Festlegung - binnen 48 oder 72 Stunden, oder doch erst innerhalb von fünf Tagen? Jedenfalls so schnell wie möglich.

Putins Außenpolitik als Weckruf

Die Speerspitze ist nicht die erste schnelle Eingreiftruppe der NATO. Doch die Vorläufer krankten bisher daran, dass so manches NATO-Mitglied nicht bereit war, geeignete Truppen in ausreichender Zahl zur Verfügung zu stellen. Das hat sich grundlegend geändert. Die Ukraine-Krise hallt wie ein lauter Weckruf durchs NATO-Land.

Deutschland spielt beim Aufbau und im Testbetrieb der Speerspitze eine herausgehobene Rolle. Neben dem Münsteraner Hauptquartier bildet das Panzergrenadierbataillon 371 aus dem sächsischen Marienberg den Kern. Allerdings wird an der deutschen Bündnissolidarität und -Fähigkeit immer wieder gezweifelt – in Brüssel hinter vorgehaltener Hand, in der Publizistik offen. Die Entscheidung der deutschen Bundesregierung, den NATO-Einsatz gegen Libyens Diktator Gaddafi 2011 nicht zu unterstützen, belastet den Ruf Deutschlands innerhalb des Bündnisses bis heute. Außerdem muss jeder Bundeswehreinsatz vom deutschen Parlament gebilligt werden.

Verunsicherung der russischen Militärplaner

Bündnispflichten und Parlamentsrechte in ein neues politisches Gleichgewicht zu bringen - das ist die Aufgabe einer Kommission des deutschen Bundestages, der Volker Rühe vorsitzt. Der ehemalige Verteidigungsminister glaubt, dass die geplante Speerspitze auch bei der derzeitigen Rechtslage eingesetzt werden könnte: "Das Parlament entscheidet, notfalls in einem Eilverfahren - das ist alles geregelt." Dagegen erkennt Karl-Heinz Kamp von der Bundesakademie für Sicherheit (BAKS) ein mögliches Problem, wenn "wir eine Rapid Reaction Force für eine Slow Reaction Politik haben". Doch entscheidend sei, dass die Militärplaner in Russland eine derartige militärpolitische Gemengelage auch nicht einschätzen könnten.

Karl-Heinz Kamp BAKS
Karl-Heinz Kamp: "Es ist alles geregelt"Bild: BAKS

Die Verunsicherung möglicher Aggressoren ist das Hauptziel der Speerspitze. Die relative Unschärfe der NATO-Beschlüsse zu diesem Thema hat somit auch ihr Gutes. BAKS-Stratege Kamp weist darauf hin, dass die USA zusätzlich einige hundert Soldaten aufgrund bilateraler Vereinbarungen in Ost-Europa stationieren. Und auch Großbritannien habe ja angekündigt, eine eigene schnelle Eingreifkapazität aufstellen zu wollen.

Depots und Waffenlager im Einsatzgebiet

Im Sommer soll die Interims-Speerspitze unter Realbedingungen üben, "dass die Truppe dann auch tatsächlich die Standorte verlässt", erläutert Oberstleutnant Mertins. Kopfzerbrechen - das können die NATO-Planer im militärischen Stab im belgischen Mons schon jetzt erkennen - bereitet vor allem der Transport: Flugzeuge sind bei den Verbündeten knapp, und die Eisenbahnen verfügen nicht mehr, wie etwa zu Zeiten des kalten Krieges, über ausreichend Tieflader.

Wenn die Speerspitze in ihr Einsatzgebiet kommt, erwarten sie dort Depots für Munition, Versorgungsgüter und schweres Gerät und etwa 40 Offiziere, vor allem Spezialisten für Nachschub und Kommunikation. In sechs Ländern sollen derartige Stützpunkte eingerichtet werden - in den drei baltischen Republiken Polen, Rumänien und Bulgarien. Die Kosten für die neue schnelle Abschreckungstruppe sind noch nicht bilanziert. Fest steht nur der Verteilschlüssel: Anlaufstellen und Depots im Einsatzgebiet dürften rund zehn Prozent ausmachen und sollen aus der Gemeinschaftskasse beglichen werden; den Rest bezahlen die Nationen, die Truppen für die Speerspitze stellen. Getreu dem NATO-Grundsatz: 'Wer schießt, bezahlt'. Und wer abschreckt, um nicht schießen zu müssen, auch.