Kirchen in der DDR
8. November 2014Der Dom St. Nikolai in Greifswald am Reformationstag 2014: Ein Künstler schmiedet ein Schwert zu einer Pflugschar um. Die Aktion soll an ein Ereignis erinnern, das weit über 30 Jahre zurück liegt. Damals, im Jahr 1980, suchten der sächsische Landesjugendpfarrer Harald Bretschneider und der Erfurter Propst Heino Falcke ein Symbol für die Friedensdekade. Fündig wurden sie im Alten Testament der Bibel. Beim Propheten Micha ist die Rede davon, dass "Schwerter zu Pflugscharen" werden sollen. Kurz zuvor hatte die DDR den Wehrkundeunterricht in den Schulen eingeführt. Eltern wehrten sich auch gegen Kriegsspielzeug in Kindergärten. Ein Schmied, der mit weit ausholendem Hammerschlag ein Schwert umformt, wurde zum Markenzeichen der christlichen Friedensbewegung.
Entlehnt ist das Motiv einer Skulptur des prominenten sowjetischen Bildhauers Jewgeni Wutschetitsch. Einst ein Geschenk des Atheisten Nikita Chrustschow, Partei- und Regierungschef der UdSSR an die UNO in New York. "Es ist wunderbar gewesen, wie diese herrliche Idee von den Schwertern zu Pflugscharen sich dann vervielfältigt und große Wirkungen nach sich gezogen hat" erinnert sich Harald Bretschneider. Er hat das Emblem auch auf Stoff drucken lassen - zum großen Ärger der Staatsmacht, die es dennoch nicht verbieten konnte, weil sie damit die Sowjetunion beleidigt hätte. Vor allem Jugendliche trugen den runden Aufnäher. Und manchmal wurde er ihnen von verärgerten Genossen einfach vom Ärmel gerissen.
Überwiegend junge Leute waren es auch, die 1982 zur Ruine der Dresdner Frauenkirche zogen, um still gegen Krieg, Gewalt und schleichende Militarisierung zu protestieren. Annemarie Müller, damals Krankenschwester, heute Leiterin des Ökumenischen Informationszentrums Dresden, erinnert sich: "Es gab einen Aufruf an Frauen, die in medizinischen Berufen tätig waren. Die sollten einen Wehrpass bekommen. Einige meiner Freundinnen und ich haben uns dem verwehrt. Das war der Ausgangspunkt, Friedensarbeit zu machen. Und diese Friedensarbeit haben wir kontinuierlich betrieben - und uns damit auch vorbereitet auf das, was dann im Herbst 1989 explodierte."
Frieden schaffen ohne Waffen
Drei Jahre nach der ersten Aktion, bei einem regionalen Kirchentag im Jahr 1983, war es der Wittenberger Pfarrer Friedrich Schorlemmer, der im Hof des Lutherhauses ein Schwert umschmieden ließ. Mit dabei ein Fernsehteam des ZDF und viele jubelnde Zuschauer. Es war eine konspirative Meisterleistung, denn auch die Kirchentagsleitung hätte eine solch spektakuläre Aktion niemals erlaubt. "Mielke tobte, dass seine Mannen das hier nicht verhindert hatten", erinnert sich Initiator Schorlemmer. "Dass uns das gelang, obwohl so viel Stasi auf dem Hof war, gehört zu den Vorauswundern des Herbstes 89."
Leitfaden für die Aktion war der "Konziliare Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung", eine internationale ökumenische Bewegung, die ab 1983 zur Umkehr aufrief – auch hinsichtlich der Stationierung von Massenvernichtungswaffen. Die friedensbewegten Christen in der DDR, so Schorlemmer, wollten eine christlich motivierte Umkehr mit der Macht der Gewaltlosigkeit. Sie wollten antreten "gegen eine Gewalt, die dabei war, alles zu zerstören. Man darf nicht vergessen, hier in Deutschland waren die gefährlichsten Raketen so dicht gegeneinander gestellt, dass es keine Vorwarnzeiten mehr gegeben hätte."
Erste Friedensgebete
Gleichzeitig setzten sich Christen in Leipzig und etlichen anderen Orten im Rahmen von Friedensgebeten für Reformen in der DDR ein, auch als Reaktion auf die zahlreichen Ausreiseanträge jener, die dort keine Perspektive mehr sahen. Pfarrern wie Christian Führer von der Leipziger Nikolaikirche ging es nicht darum, dem Sozialismus das Wasser abzugraben. Das Land sollte einfach freier, umweltfreundlicher und demokratischer werden.
Schließlich konnte die DDR-Staatsmacht die christliche Friedensbewegung nicht mehr ignorieren. 1987 erlaubte sie sogar den Olof-Palme-Friedensmarsch quer durch das Land. Die rund 1000 Menschen machten mit all ihren Transparenten auch in Dresden Station.
Inzwischen bestärkten nicht nur die Worte des Propheten Micha die christliche Friedensbewegung. Auch die Bergpredigt Jesu aus dem Neuen Testament hatte einen weitreichenden Einfluss. Der ehemalige sächsische Jugendpfarrer Harald Bretschneider ist noch heute erstaunt darüber, welche Kraft die biblischen Heilserwartungen in dieser Zeit entfaltet haben. "Selig sind die Pazifisten, die Friedensmacher, denn sie werden Gottes Kinder heißen. Das bedeutet also: Im Glauben geht es tatsächlich um eine vorrangige Option der Gewaltlosigkeit, sodass man wirklich sagen kann, es ging von der biblischen Vision zur friedlichen Revolution."
Von evangelisch zu ökumenisch
War die christliche Friedensbewegung in der DDR lange Zeit vor allem evangelisch geprägt, so gelang es der Ökumenischen Versammlung in den Jahren 1988 bis 1989 alle Kirchen einzubinden. Die drei Sitzungsperioden in Dresden, Magdeburg und wieder in Dresden gelten als geistliche und geistige Vorbereitung des Wende-Herbstes.
Erfolgreicher Dialog mit der Staatsmacht
„Wir bleiben hier - Wir sind das Volk – Gorbi, Gorbi“. Die Sprechchöre im Oktober 1989 auf den Straßen von Plauen, Dresden, Leipzig oder Berlin hatten dieselben Slogans. Am wichtigsten aber war der Ruf: "Keine Gewalt". Viele Bürgerrechtler befürchteten, der Staat würde mit Waffengewalt durchgreifen und dabei vor Blutvergießen nicht zurückschrecken – erst recht, nachdem am 7. Oktober in Berlin und Dresden Hunderte friedliche Demonstranten verhaftet wurden. Christoph Ziemer, damals Superintendent von Dresden Mitte und Sekretär der Ökumenischen Versammlung, resümiert, es sei wichtig gewesen, "dass diese Gewaltlosigkeit über Jahre eingeübt wurde. Wenn es darum geht, Veränderungen herbei zu führen, muss man sich fragen, mit welchen Mitteln macht man das. Uns war immer klar: Alle Mittel sind recht - nur nicht die Gewalt."
Zusammen mit Sachsens evangelischem Landesbischof Johannes Hempel hatte Ziemer am 8. Oktober 1989 erfolgreich bei Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer für einen friedlichen Dialog geworben, um die angespannte Situation in der Elbmetropole zu entschärfen. Gleichzeitig gelang es zwei katholischen Geistlichen, mit der Polizei ins Gespräch zu kommen. Einer der beiden Kapläne war Frank Richter, heute Leiter der Landeszentrale für politische Bildung in Sachsen. Er hatte den Mut, auf die Polizei zuzugehen, fand einen Ansprechpartner, der auf seinen Vorschlag einging. "Innerhalb von zwei Zeitstunden verwandelte sich die Konfrontation in den Dialog, einen neuen Weg zu suchen", erinnert er sich.
Die von Frank Richter gegründete "Gruppe der 20" trug ihre Themen im Dresdner Rathaus vor. Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Reisefreiheit, Freilassung der Verhafteten, Zulassung des neuen Forums, ziviler Wehrersatzdienst - Punkte, die spätestens seit der großen Demonstration von 70.000 Menschen am 9. Oktober in Leipzig überall im Land eingefordert wurden. Die Kirchen hätten in dieser historischen Situation eine einmalige Vermittlerrolle gespielt, sagt der katholische Theologe: "Sie haben in dem Vorgang, den wir heute die friedliche Revolution nennen, Raum und Zeit zur Verfügung gestellt, um gesellschaftliche Diskussionen in freier Rede auszutragen."
Diese Rolle haben die Kirchen jedoch nach dem Fall der Mauer schnell wieder verloren. Von da an gab nicht mehr die kleine Minderheit friedensbewegter Christen die Richtung vor, sondern die übergroße nichtkirchliche Mehrheit von DDR-Bürgern. Und deren Themen hießen Wiedervereinigung und D-Mark.