Mobine: Ein E-Auto für das Dorf
2. April 2022Auf dem Land, besonders in kleineren Dörfern, sind die Wege meist weit. Die Kinder müssen zur Schule ins Nachbardorf, der Arzt hat seine Praxis in der nächstgrößeren Gemeinde. Arbeitsplätze, Supermärkte, Sportvereine, Seniorenclubs, kulturelle Veranstaltungen - oft müssen dafür kilometerweite Wege überwunden werden. Problematisch ist das Ganze, weil es häufig keine guten Bus- oder Bahnverbindungen gibt.
Neuenwalde in der Nähe der Nordseeküste ist so ein Ort. Hier werden Busse vor allem für Schüler eingesetzt. Daneben gibt es noch Anruf-Sammeltaxis. Diese Taxis fahren aber nur nach vorheriger Anmeldung, nur auf bestimmten Strecken und zu bestimmten Zeiten. So sind viele Haushalte gezwungen, ein oder mehrere Pkw zu haben. Ein Mobilitätskonzept, dass nicht recht zum Thema Klimaschutz passt.
Zu viele Autos: dann wird ein Neues angeschafft…
Was also tun? In Neuenwalde war die Lösung, noch ein weiteres Auto anzuschaffen. Was zuerst erstaunt, kann auf dem zweiten Blick durchaus Sinn machen. Das neue Auto, dass seit 2019 das Dorfleben bereichern soll, ist nämlich ein reines E-Auto und es steht allen zur Verfügung. Carsharing sei in Städten schon lange üblich, sagt Jasmin Weißbrodt. Sie ist im Landkreis Cuxhaven für den Öffentlichen Nahverkehr zuständig. Kommerzielles Carsharing lohne sich aber auf dem Land meist nicht, so die Verkehrsexpertin. "Wir möchten aber den Menschen hier zeigen, dass man auch auf dem Land Fahrzeuge teilen kann."
Seit drei Jahren steht das Dorf-E-Auto mit dem freundlichen Namen Mobine nun in der Mitte des Dorfes; so richtig gut angenommen haben die Neuenwalder es aber immer noch nicht. Nur etwa zehn der 1800 Einwohner nutzen den Wagen, erzählt Dieter Oldenbüttel. Er engagiert sich im Verkehrsverein Neuenwalde, kümmert sich ehrenamtlich um die Mobine und steht bei Bedarf auch als Fahrer bereit. Zum Teil läge das an der Pandemie, weil viele Einwohner ihre Kontakte eingeschränkt hatten und dadurch auch der Bedarf nach Mobilität gesunken war. Aber das sei nicht der einzige Grund.
Viele Familien in Neuenwalde besäßen bereits zwei Autos, so Oldenbüttel. Sie seien es einfach gewohnt, sich in den eigenen Pkw zu setzen, wenn sie irgendwohin müssen. "Von diesem Gedanken bekommt man die Menschen schwierig weg. Und dann sich ein Auto zu teilen - dieser Wandel im Kopf ist schwierig."
Für den Klimaschutz auf Wirtschaftlichkeit verzichten?
Bezahlt wurde das Dorfauto-Projekt aus verschiedene öffentlichen Fördertöpfen. Die Nutzer tragen dagegen kaum zur Kostendeckung bei. Pro Fahrt werden nur drei Euro pro Stunde fällig - egal wie lange die Fahrt dauert und wie viele Menschen mitfahren.
"Das trägt sich nicht", sagt Oldenbüttel. "Selbst wenn wir auf 200 oder 300 Euro Einnahmen im Monat kommen, können damit nicht mal die Leasingraten finanziert werden." Das sich das Projekt nicht finanzieren würde, sei von Anfang an klar gewesen, so Oldenbüttel. Ein bisschen enttäuscht sei er trotzdem. "Ich hatte mir schon einen größeren Effekt versprochen."
Wer sich die tatsächlichen Kosten der Mobine anschauen möchte, müsste eigentlich die Kosten abrechnen, die entstehen, wenn die Neuwaldener mit ihren eigenen konventionellen Fahrzeugen fahren, anstatt mit dem E-Auto. Also die Umwelt- und Klimakosten. Verkehrsexperte Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung sagt: "Der Verkehr wird nie wirtschaftlich betrieben." Vergleicht man die Kosten des Öffentlichen Nahverkehrs (ÖPNV) mit den wahren Kosten des Autoverkehrs, dann schneidet der ÖPNV besser ab.
Rund 110 Milliarden verursacht der Autoverkehr jedes Jahr, wenn Kosten für Infrastruktur, Gesundheits- und Klimaschäden mit berücksichtigt werden. An Steuern kommen von den Autofahrern dagegen nur 60 Milliarden an Einnahmen rein - das deckt etwa die Hälfte der Kosten. Die Differenz zahle die Gemeinschaft. "Dagegen ist der ÖPNV mit einer Kostendeckung von rund zwei Drittel deutlich effektiver", so Knie.
Vielen Autobesitzer sei zudem gar nicht klar, wieviel Geld sie wirklich für ihr Auto bezahlen würden, meint Verkehrsexperte Jürgen Gies vom Deutschen Institut für Urbanistik. Sein Vorschlag daher: Es könnte eine neue Abgabe eingeführt werden. Die kann sich an den Ausgaben orientieren, die wegfallen, wenn Menschen auf den zweiten oder dritten Wagen verzichten. "Ein Teil dieser privaten Einsparungen könnte dann für die Kofinanzierung solcher öffentlich zugänglichen Mobilitäts-Angebote genutzt werden."
Nachbargemeinde plant ebenfalls E-Fahrzeuge
So weit ist es in Neuenwalde aber noch nicht. Allerdings hat die Mobine bereits die Nachbargemeinde inspiriert. Dort wurde der Verein Wurtenhopper gegründet, erzählt Weißbrodt. "Der will in der Gemeinde Wurster Nordseeküste ein Pendant zur Mobine schaffen. Auch dort haben wir ganz viele kleine ländliche Orte, die so hoffentlich zukünftig über elektronische Fahrzeuge verfügen." Neben E-Autos soll es dort künftig auch E-Lastenfahrräder geben.
Während die Nachbargemeinde ganz am Anfang steht, läuft die dreijährige Pilotphase der Mobine in diesem Jahr aus. "Ich bin im Moment nicht sicher, wie das mit der Mobine weitergeht", sagt Oldenbüttel. "Ich fände es schade, wenn sie wegkommt." Bei ihm hat die Mobine zumindest etwas bewegt. Zwar hat auch er immer noch ein eigenes Auto - aber er fährt inzwischen einen Hybrid-Wagen und keinen konventionellen Verbrenner mehr.