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Ein Manöver und seine Kollateralschäden

Vitalie Calugareanu / Robert Schwartz 6. Mai 2016

In der Republik Moldau sorgt ein gemeinsames Manöver mit US-amerikanischen Soldaten für Unruhe. Die pro-russische Opposition im Land spricht von einer Invasion. Die Regierung kontert in Richtung Moskau.

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US-Soldaten in der Moldau im Rahmen des gemeinsamen Manövers Dragon Pioneer 2016 (Foto: Sorin Bucataru)
Das gemeinsame amerikanisch-moldauische Manöver "Dragon Pioneer 2016" dauert bis zum 20. MaiBild: Sorin Bucataru

Es ist nicht das erste Mal, dass die US-Army an Militärübungen der ehemaligen Sowjetrepublik Moldau teilnimmt. Doch als diesmal rund 200 amerikanische Soldaten in Dutzenden Panzerfahrzeugen die rumänisch-moldauische Grenze überqueren und das schwere Gerät Dörfer und Städte passiert, kochen die Emotionen hoch. "Ich bin beeindruckt, diese Fahrzeuge hier zu sehen", sagt Veaceslav aus Negresti, der zusammen mit Gleichgesinnten am Straßenrand steht und den US-Soldaten zuwinkt. "Ich fühle, als wären endlich die Befreier zu uns gekommen", sagt er.

"Was haben die Amerikaner hier zu suchen? Wir sind doch ein neutraler Staat", sagt dagegen Gennadij, ein Arbeiter aus der Stadt Balti. "Warum provozieren sie Russland? Sehen sie nicht, was in der Ukraine passiert?" Die Rentnerin Evdochia sieht es ähnlich: "Die NATO ist jetzt hier und bringt Krieg", sagt sie. Als der Stacheldraht an der Grenze zu Rumänien noch stand, sei kein einziger Panzer von drüben in ihr Land gekommen.

Gespaltenes Land

Geteilte Meinungen in der Bevölkerung, geteilte Positionen in der Politik. Vor allem seit der Annexion der Krim durch Russland und dem Krieg im Osten der Ukraine versucht die pro-europäische Regierung in Chisinau, das Land stärker an den Westen heranzuführen - gemeinsame Militärübungen mit Amerikanern sind ein weiterer Schritt in diese Richtung. Die pro-russische Opposition versucht mit allen Mitteln, diesen Kurs zu torpedieren und spürt gerade Rückenwind. In diesem Jahr sind Präsidentschaftswahlen und ihr Kandidat, Igor Dodon, liegt derzeit in allen Umfragen an erster Stelle. Das aktuelle Manöver ist für den Chef der pro-russischen Sozialdemokraten und seine Partei eine gute Gelegenheit, sich kämpferisch zu zeigen: Sie sprechen von einer "amerikanischen Invasion" und behaupten, die Präsenz des US-Militärs verstoße gegen die Neutralität der Moldau.

Abgeordnete der pro-russischen Sozialdemokraten "kontrollieren" die Papiere von US-Soldaten (Foto: Igor Dodon)
Auf der Facebook-Seite von Dodon: Abgeordnete der pro-russischen Sozialdemokraten "kontrollieren" die Papiere von US-SoldatenBild: Facebook/Igor Dodon

Symbolische Aktionen

Das machten die pro-russischen Sozialdemokraten auch Anfang Mai an der Grenze deutlich, als sie eine Protestaktion "gegen den Einmarsch" der Amerikaner organisierten. Als die ersten US-Panzer am moldauischen Grenzübergang in Sculeni ankamen, erwarteten sie einerseits junge Leute mit Transparenten, auf denen Sätze standen wie: "NATO und Europa retten Moldova". Gleichzeitig musste der US-Militärkonvoi erst einmal warten. Abgeordnete der Sozialisten blockierten eine Stunde lang die Einfahrt. An ihrer Brust trugen sie das Sankt-Georgs-Band - ein altes Symbol der russischen und später sowjetischen Armee. So geschmückt verlangten sie von den amerikanischen Soldaten ihre Dokumente. Dodon postete Fotos von dieser sogenannten "Kontrolle" medienwirksam auf seiner Facebook-Seite.

Die pro-europäische Regierung in Chisinau ist unter Druck. Der Verteidigungsminister Anatol Salaru erklärt, gemeinsame Militärübungen seien Teil der normalen bilateralen Kooperation und würden die Neutralität der Moldau keineswegs untergraben. Ein einziger Staat bedrohe die Neutralität, kontert er, ohne ihn namentlich zu nennen. "Dieser Staat hat seine Besatzungstruppen in Transnistrien stationiert" - eine direkte Anspielung auf die Präsenz der rund 2.000 russischen Soldaten in der separatistischen Region Transnistrien, die de jure zur Republik Moldau gehört, sich aber für unabhängig erklärt hat. Moskau hatte sich bereits 1999 vertraglich dazu verpflichtet, seine Soldaten aus der Region abzuziehen, doch die Truppen sind immer noch dort und wurden jetzt wegen des Manövers in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt.

Vergessene Geschichte

Die Alarmglocken dürften derzeit auch bei der moldauischen Polizei läuten. Am 9. Mai werden in Chisinau sowohl der Europa-Tag als auch der Tag des Sieges der sowjetischen Armee über den Faschismus gefeiert. Geplant ist auch eine Militär-Ausstellung, bei der sich neben der moldauischen Armee auch die US-Army mit dem gerade ins Land gebrachten Schwergerät präsentiert.

Sozialistenführer Dodon hat deshalb zu Protestaktionen in Chisinau gegen die Präsenz der Amerikaner in der moldauischen Hauptstadt am Tag des Sieges aufgerufen. Sehr zum Ärger des US-Botschafters in der Moldau, James Pettit, der gleich an die Verdienste und die vielen Opfer der Alliierten - also auch der Amerikaner - im Krieg gegen Hitler erinnerte und damit die Geschichte etwas zurecht rückte.

Doch in Wahlkämpfen geht die historische Wahrheit manchmal unter. Für Gennadij jedenfalls, den Arbeiter aus Balti, hat Dodon völlig Recht. Der junge Mann zitiert gerne einen Politologen aus dem russischen Fernsehen, der kürzlich vor einer "Besatzung der Moldau durch die US-Armee" warnte. Amerikanische Soldaten hätten am Tag des Sieges der Sowjets über Nazideutschland nichts in Chisinau zu suchen, sagt Gennadij und scheint damit nicht allein zu sein. Wie viele das so ähnlich sehen und wie viele für den pro-westlichen Kurs sind, wird man am symbolträchtigen 9. Mai in Chisinau sehen.