Gülen-Beteiligung an Hrant-Dink-Mord?
19. Januar 2017Der armenisch-türkische Journalist Hrant Dink wurde am 19. Januar 2007 auf offener Straße erschossen. Dink war Herausgeber und Chefredakteur der türkisch-armenischen Zeitung "Agos". Die Tat ging auf das Konto des damals minderjährigen Rechtsextremisten Ogün Samast. 2011 wurde er zu 22 Jahren Haft verurteilt. Der Mann, der als sein Anstifter galt, Yasin Hayal, ein Ultranationalist aus der Stadt Trabzon, kam lebenslänglich hinter Gitter.
Danach begannen Prozesse gegen Staatsbeamte, die beschuldigt werden, die Tat mit angestiftet zu haben, beziehungsweise nichts getan zu haben, um sie zu verhindern. Die Oberstaatsanwaltschaft von Istanbul vermutete am Anfang der Ermittlungen die Organisation Ergenekon hinter dem Mord, eine Untergrundgruppe, die die türkische Generalstaatsanwaltschaft als ultranationalistisch und terroristisch einstuft. Mittlerweile jedoch geht die Behörde davon aus, dass die Hintermänner zur Gülen-Bewegung gehören.
Unter Verdacht: Erst Nationalisten, jetzt Islamisten
Die türkische Regierung wirft der Gülen-Bewegung vor, sich in der Polizei, Justiz und Armee jahrelang illegal organisiert zu haben und hält sie auch für verantwortlich für den Putschversuch am 15. Juli 2016. Die Regierung geht mit aller Härte gegen mutmaßliche Mitglieder vor. Zur Zeit des Mordes an Hrant Dink allerdings waren die Gülen-Bewegung und die türkische Regierungspartei AKP noch enge Verbündete.
So sind nach zehn Jahren wieder alle Augen auf die neuen Prozesse zum Dink-Mord gerichtet. Insgesamt sind 35 Personen angeklagt, darunter der damalige Polizeipräsident von Istanbul sowie Geheimdienstbeamte. Hakan Bakırcıoğlu, einer der Anwälte von Hrant Dink, ist optimistisch. Er sagt, dass die Ermittlungen gegen die Staatsbeamten wichtige Befunde zutage gefördert hätten. Ogün Samast habe die Tat zwar allein begangen, sei aber von anderen unterstützt worden - und einige dieser Personen stünden in Verbindung mit der Gendarmerie von Istanbul. "Für uns ist wichtig, dass die ganze Wahrheit zum Vorschein kommt. Dafür gehen wir bis zur letzten Instanz, wenn nötig", so Bakırcıoğlu.
"Dinks Erbe fortführen"
Währenddessen versuchen die Mitarbeiter der von Dink gegründeten Wochenzeitung "Agos", trotz finanzieller Nöte das Blatt weiterzuführen. Yetvart Danzikyan, Redakteur der Zeitung, sagte über die vergangenen zehn Jahre zur DW: "Seit dem ersten Tag versuchen wir, das Erbe von Hrant Dink, der für Frieden und Dialog kämpfte, fortzuführen."
Trotz der schwierigen Umstände will "Agos" der Gesellschaft die undurchsichtige Machtstruktur im Staat zeigen - die letztlich auch zu Hrant Dinks Tod führte, so Danzikyan. "Es ist die armenische Gemeinschaft, die uns ermöglicht, weiter zu existieren. Etwa durch kleine Inserate oder Abonnements. Die Armenier in Armenien und auch die in der Diaspora lesen uns. Wir werden trotz allem weiterhin die Stimme der armenischen Gemeinschaft sein."
"Armenier-Frage wird ausgenutzt"
Die Armenier-Frage habe in der Türkei noch immer eine zerstörerische Kraft, betont Danzikyan. So wurde zum Beispiel Garo Paylan, ein Abgeordneter der Kurdenpartei HDP, von drei Sitzungen des Parlaments ausgeschlossen, weil er dort den Ausdruck "Genozid" verwendet hatte. Diese Strafmaßnahme hatten die islamisch-konservative AKP, die nationalistische MHP und die säkulare CHP gemeinsam beschlossen. "Garo Paylan hatte auf dem Rednerpult nicht das erste Mal den Ausdruck 'Genozid' verwendet. Er hatte ihn auch schon vorher benutzt. Aber die Stimmung ist momentan angespannt. Außerdem ist es schwer zu glauben, dass die AKP in der Armenier-Frage aufrichtig ist. Beim Kurdenkonflikt war sie es nicht."
Die Regierung von Recep Tayyip Erdoğan hatte sich um Verständigung mit den Kurden bemüht, so lange es ihr genützt hatte - mittlerweile führt sie in den kurdischen Gebieten Krieg. Der "Agos"-Chefredakteur: "Die Armenier-Frage wird genauso wie die Kurden-Frage von der AKP instrumentalisiert - je nach Stimmung."