Moskau will von Iran-Lösung profitieren
9. März 2022Die Verhandlungen, die seit fast einem Jahr zur Wiederbelebung der internationalen Atomvereinbarung (JCPOA) mit dem Iran in Wien geführt werden, sollten eigentlich noch diese Woche abgeschlossen werden. Insbesondere die als "E3" an den Verhandlungen beteiligten EU-Länder Deutschland, Frankreich und Großbritannien drücken aufs Tempo. Es werde weder weitere Runden auf "Experten-Ebene" geben, noch weitere "formelle Gespräche", teilte der EU-Koordinator der Verhandlungen Enrique Mora per Twitter mit.
Am Samstag davor hatten sich der Iran und die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA) über einen Fahrplan zur Klärung geheim gehaltener iranischer Atomaktivitäten aus der Vergangenheit geeinigt. Damit war eine wichtige Hürde genommen. Allerdings nicht die letzte, es seien noch "Kernfragen" zwischen Teheran und Washington ungelöst, zitierte Reuters aus Diplomatenkreisen. Etwa in welchem Umfang US-Sanktionen gegen den Iran aufgehoben werden sollen.
Moskau will vom Ende der Iran-Sanktionen profitieren
Jetzt kam eine neue Hürde hinzu: Moskau, ebenso wie Peking Teilnehmer der Atomvereinbarung, stellte letztere plötzlich in Frage. Russland dürfe nicht benachteiligt werden, wenn Washington seine international geltenden Iran-Sanktionen aufhebt, sagte Außenminister Sergei Lawrow. Er forderte "schriftliche Garantien" der USA, dass die "aggressiven Sanktionen gegen Russland", die der Westen "wegen des Ukraine-Konflikts" in Kraft gesetzt habe, russische Rechte im Rahmen des Atomabkommens nicht beeinträchtigen würden. Mit anderen Worten: Russland fordert ungehinderte Zusammenarbeit mit dem Iran bei Handel, Investitionen und Militärtechnologie.
Die USA lehnten das prompt ab. Lawrows Forderung seien irrelevant, weil die US-Sanktionen gegen den Iran etwas völlig anderes seien als die gegen Russland, antwortete US-Außenminister Antony Blinken darauf. Was genau Russland verlangt, ist auch für den Iran noch nicht geklärt. "Wir warten noch auf weitere Details (aus Moskau)", sagte Außenamtssprecher Saeed Khatibzadeh am Montag der Presse. Am selben Tag hatte der iranische Delegationsleiter Ali Bagheri Kani kurzfristig die Gespräche in Wien für Konsultationen in Teheran verlassen. Am Mittwoch erklärten die "E3" gegenüber dem Gouverneursrat der IAEA: "Das Fenster schließt sich. Wir fordern alle Seiten auf, jetzt die notwendigen Entscheidungen für einen Abschluss zu treffen, und Russland, keine irrelevanten Bedingungen für einen solchen Abschluss zu stellen."
"Seit dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine gab es Sorgen (auf westlicher Seite), dass sich die Konfrontation zwischen Russland und dem Westen negativ auf die Verhandlungen zur Wiederbelebung der Atomvereinbarung mit dem Iran auswirken könnte", schreibt Hamidreza Azizi, Iran-Expert bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) auf Nachfrage der DW. "Moskau könnte versuchen, so die Befürchtung, die Wiener Gespräche bzw. seine weitere Kooperation als Druckmittel zu benutzen, um mit dem Westen einen 'Deal' in der Ukraine-Frage zu erzielen. Andererseits hatte man die Hoffnung, dass Moskau, als Atommacht und ständiges UN-Sicherheitsratsmitglied, im eigenen Interesse eine iranische Atomwaffe verhindern will und dass deshalb Moskau die Themen Ukraine und Iran getrennt behandeln würde."
Neue Lage durch massiven westlichen Druck auf Moskau
Vor allem wegen des unerwartet starken und zunehmenden internationalen Drucks sei eine solche "Einteilung in getrennte Abteilungen" für Moskau aber keine Option mehr, sagt Azizi. Moskau verfolge jetzt eine "Nullsummenspiel mit dem Westen." Im günstigsten Fall sei die russische Forderung nach Garantien für ungestörte Geschäfte und Beziehungen mit dem Iran nur ein "politisches Manöver", mit dem die USA und die EU daran erinnert werden sollen, dass sie bei der Lösung einiger dringender Probleme immer noch auf die Zusammenarbeit mit Moskau angewiesen sind.
Iran-Experte Azizi vermutet, dass Teheran von dem russischen Vorstoß nicht vorab informiert war und davon ebenso überrascht wurde wie die westlichen Verhandlungspartner. "Teheran befindet sich derzeit in einer sehr komplizierten Situation", meint Azizi weiter. "Die Islamische Republik hat jahrzehntelang versucht, Russland als Verbündeten oder zumindest als strategischen Partner darzustellen. Es würde einen gewaltigen öffentlichen Rückschlag bedeuten, wenn sie jetzt öffentlich zugeben würden, dass sie von den Russen ausgetrickst wurden. Gleichzeitig scheint Teheran das Abkommen jetzt noch mehr zu wollen als zuvor, da die steigenden Ölpreise einen großen Beitrag zur Erholung der von den Sanktionen betroffenen iranischen Wirtschaft leisten könnten."
Seit der Invasion Russlands in die Ukraine ist der Ölpreis auf den höchsten Stand seit 2008 geklettert. Unter den US-Sanktionen ist derweil Irans Ölexport massiv gefallen. Offiziell werden zwar keine Daten dazu veröffentlicht, aber Schätzungen zufolge ist das Exportvolumen von etwa 2,8 Millionen Barrel pro Tag im Jahr 2018 auf bis zu 700.000 gefallen.
Der Energie-Experte Dalga Khatin Oglu geht davon aus, dass der Iran im Fall der Aufhebung der Sanktionen nicht sofort seinen Platz auf den Ölmärkten zurückerobern kann. "Seine Hauptkunden in Asien, wie Südkorea, Japan oder Indien, haben sich andere Lieferländer gesucht. 2015, als die Atomvereinbarung geschlossen wurde, brauchte der Iran einige Monate, um sein Exportvolumen auf das alte Niveau hochfahren zu können."
Achse Teheran - Washington gegen Moskau?
"Wir wollen ein gutes Abkommen schließen und werden wir nicht zulassen, dass ein ausländischer Faktor die nationalen Interessen Irans bei den Wiener Gesprächen beeinflusst", sagte der iranische Außenminister Hossein Amir-Abdollahian am Montag nach einem Telefonat mit seinem russischen Kollegen Lawrow iranischen Medien. Über den Inhalt seines Gesprächs gab er allerdings nichts preis. Iran-Experte Azizi vermutet, der Iran könne versucht haben, Russland davon zu überzeugen, die Atomvereinbarung nicht an die Ukraine-Frage zu knüpfen.
"Doch je verzweifelter die Russen in der Ukraine werden, desto unwahrscheinlicher ist es, dass sie der Bitte Irans nachkommen werden. Die einzige realistische Option für den Iran wäre daher die Aufnahme bilateraler Gespräche mit den USA, was Teheran bisher abgelehnt hat. Letztlich sind es die US-Sanktionen, über deren Aufhebung der Iran verhandelt. Daher könnten bilaterale Gespräche mit Washington die Sabotageakte Moskaus in der derzeitigen Situation weitgehend neutralisieren", meint Azizi. Direkte Gespräche mit den USA haben die Hardliner unter Präsident Ebrahim Raisi bis jetzt allerdings abgelehnt.