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Moskau verschärft Internetkontrolle

Sarah Steffen / ch5. September 2015

Nach einem neuen Gesetz müssen Unternehmen personenbezogene Daten russischer Bürger auf lokalen Servern speichern. Kritiker befürchten, das gebe dem Staat ein wirkungsvolles Druckmittel in die Hand.

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Mann mit "Facebook"-Fahne auf Rotem Platz in Moskau Foto: picture-alliance/dpa/M. Shipenkov
Bild: picture-alliance/dpa/M. Shipenkov

Seit der Wiederwahl von Präsident Wladimir Putin 2012 ist das neue Gesetz nur die jüngste einer ganzen Reihe von staatlichen Überwachungsmaßnahmen. Nach den Enthüllungen von Edward Snowden über verbreitete Spionage amerikanischer Geheimdienste soll das Gesetz nach Darstellung der russischen Behörden dazu beitragen, die Daten russischer Bürger besser zu schützen.

Doch Kritiker sagen, das Gesetz erleichtere dem russischen Staat vor allem das Ausspionieren seiner eigenen Bürger. "Niemand hat den Staat aufgefordert, die Daten russischer Bürger zu schützen, die Initiative ging von der Regierung aus", sagt der Enthüllungsjournalist Andrej Soldatow, der viel über die russischen Nachrichtendienste geschrieben hat.

Datenzugang durch die Hintertür?

"Wir haben ein landesweites Internet-Überwachungssystem, und wir haben jetzt eine gesonderte Gesetzgebung dazu. Sie verlangt von allen russischen Providern, den russischen Geheimdiensten einen direkten und unbeschränkten Zugang zu verschaffen, und zwar durch die Hintertür", sagte Soldatow der Deutschen Welle. "Das bedeutet, wenn internationale Anbieter ihre Dienste nach Russland verlagern, würden russische Nachrichtendienste unmittelbaren Zugang zu den Daten dieser weltweiten Plattformen bekommen."

Das sieht Laura Reed von der internationalen nichtstaatlichen Organisation "Freedom House" genauso. "Freedom House" mit Sitz in Washington verfolgt das Ziel, liberale Demokratien weltweit zu fördern. "Es gibt Hinweise, dass die russische Regierung ihre Überwachungsmöglichkeiten gegen Menschenrechtsaktivisten und Oppositionelle einsetzt", sagte Reed der DW.

Schaltschrank mit vielen Kabeln Foto: picture-alliance/dpa
Russland will, dass personenbezogene Daten auf Servern in Russland gespeichert werdenBild: picture-alliance/dpa

Bisher ist unklar, ob sich Unternehmen einverstanden erklärt haben, Daten russischer Staatsbürger auf Server in Russland zu übertragen. Die russische Kommunikationsaufsichtsbehörde Roskomnadsor hat angekündigt, sie werde im Laufe dieses Jahres rund 300 Unternehmen überprüfen, erklärte aber in einer E-mail an die DW, die Suchmaschine Google und das soziale Netzwerk Facebook befänden sich nicht darunter.

System Einschüchterung

"Zweck dieses Gesetzes ist nicht die sofortige Umsetzung, sondern der Sinn besteht darin, ein Druckmittel im Bereich des Internets und besonders der sozialen Medien in der Hand zu haben", glaubt Soldatow. "Das russische System der Internetkontrolle besteht in der Einschüchterung."

Der Kreml habe die Unternehmen zum Gespräch eingeladen, so Soldatow. "Und der Kreml hatte ziemlichen Erfolg. Im Laufe der vergangenen zwei Jahre haben alle drei großen Unternehmen - Twitter, Facebook und Google - jeweils hohe Vertreter zu Geheimgesprächen nach Moskau entsandt."

Facebook hat angeblich inzwischen den russischen Behörden gegenüber erklärt, man werde sich nicht an das neue Gesetz halten, während Google einige Server nach Russland verlegt haben soll. Facebook lehnte auf unsere Nachfrage eine Stellungnahme ab, während Google gar nicht reagierte. Ein Sprecher von Twitter schickte einen link zu einer Roskomnadsor-Erklärung mit der Mitteilung, die Aufsichtsbehörde betrachte die Benutzerdaten von Twitter nicht als persönliche Informationen im Sinne des Gesetzes.

Das sei wirklich überraschend, meint Laura Reed von "Freedom House", "denn Twitter ist ein Unternehmen, auf das die Regierung früher Druck ausgeübt hat". Erst im vergangenen Jahr habe die russische Regierung bestimmt, dass jeder, der mehr als 3000 Follower auf Twitter hat, sich mit seinem wirklichen Namen bei der Regierung registrieren lassen müsse. "Die Sorge besteht darin", so Reed, "dass die Regierung ein solches Gesetz selektiv anwendet".

"Konstruktiver Dialog" mit Facebook

In einem Interview mit der russischen Online-Zeitung "Lenta" hat Roskomnadsor-Chef Alexander Scharow kürzlich bestätigt, es habe ein Gespräch mit den Vertretern von Twitter und Facebook gegeben. Er bestritt jedoch, Facebook habe einen Transfer persönlicher Daten nach Russland abgelehnt.

Andrej Soldatow Foto: DW/N. Jolkver
Soldatow: Die Behörden würden Zugang zu Datenbanken von Facebook und Google bekommen.Bild: DW/N. Jolkver

"Das Gespräch fand in einer konstruktiven Atmosphäre statt, und wir erwarten, dass Facebook sehr bald seine Zusage wahrmachen wird, eine formale Position zum Transfer der Datenbanken russischer Kunden auf Server in Russland zu verkünden", so Roskomnadsor gestelzt in einer E-mail.

Soldatow zufolge ist das Gesetz eher vage. Außerdem sei unklar, wie die Unternehmen Daten über russische Staatsbürger von solchen von Nicht-Russen unterscheiden sollten. Wie zum Beispiel sollten soziale Netzwerke wissen, ob jemand mit einem russisch klingenden Namen, der in Deutschland lebt, ein russischer Staatsbürger sei?

Freifahrtschein für Politiker?

Nach Protesten im Zuge von Putins Rückkehr ins Präsidentenamt führte Russland im November 2012 seine umstrittene Internet-Zensur ein, die es dem Staat erlaubt, ohne Gerichtsurteil Webseiten zu schließen. Erst in der vergangenen Woche blockierte Russland für kurze Zeit den Zugang zur russischsprachigen Version von Wikipedia, weil es das Unternehmen abgelehnt hatte, einen Eintrag über eine Droge aus dem Netz zu nehmen. Russland hat auch den Zugang zu Webseiten der Opposition und zu Blogs des Oppositionspolitikers Alexej Nawalny gesperrt.

Und es dürfte noch schlimmer kommen: 2016 soll ein neues "Recht auf Vergessenwerden" in Kraft treten. Es soll weit über die entsprechende europäische Gesetzgebung hinausgehen, weil die russische Fassung Personen des öffentlichen Lebens nicht ausschließt. "Es besteht die Sorge, dass Politiker das als Freifahrtschein benutzen werden, um Informationen über sich aus Suchergebnissen löschen zu lassen", sagt Laura Reed.

Unklar ist, ob und wann die Regierung das Gesetz über die Verlegung der Datenserver vollständig umsetzt. Doch es scheint, als wirke bereits der Einschüchterungsversuch. "Es ist viel einfacher, Unternehmen einzuschüchtern als Tausende von Nutzern", glaubt Soldatow. "Denn wenn man es mit Nutzern zu tun hat, muss man technisch versiert sein. Bei Unternehmen muss man nur ihre Schwachstellen finden."