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Everest-Klettersaison mit neuen Regeln und Fragezeichen

23. April 2024

Auch in diesem Jahr werden mehrere hundert Bergsteigerinnen und Bergsteiger versuchen, den höchsten Berg der Erde zu besteigen. Der Klimawandel sorgt auch am Mount Everest für mehr Risiko - und neue Probleme.

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Ein Sherpa am Südsattel des Mount Everest mit Atemmaske und Sauerstoffflasche auf knapp 8000 Metern, im Hintergrund die Zelte von Lager 4.
Ein Sherpa am Südsattel des Mount Everest auf knapp 8000 MeternBild: Phurba Tenjing Sherpa/epa/picture alliance/dpa

Nicht umsonst nennen die Bergsteigerinnen und Bergsteiger am Mount Everest die heikle Passage "Ballsaal des Todes". Einem Damoklesschwert gleich bedroht von der westlichen Flanke ein mächtiger Hängegletscher die Route durch den Khumbu-Eisbruch. Vor zehn Jahren, am 18. April 2014, löste sich von dort eine Eislawine. 16 nepalesische Bergsteiger, die Material für die kommerziellen Expeditionen in die Hochlager tragen sollten, kamen bei dem Unglück ums Leben. Seitdem versuchen die "Icefall Doctors" - eine Gruppe von Sherpas, die auf den Eisbruch spezialisiert sind -, die Aufstiegsroute so weit wie möglich von der Westflanke entfernt zu legen. In diesem Frühjahr zwang sie jedoch der Klimawandel in den Ballsaal des Todes.

Es gab einfach keine Alternative. Zwei Versuche, einen weniger risikoreichen Weg zu finden, waren gescheitert. Der schneearme Winter in Nepal hatte in dem Eislabyrinth zu instabilen Eistürmen und Schneebrücken geführt. Außerdem hatten sich so breite Gletscherspalten gebildet, dass sie nicht mit Leitern überquert werden konnten. 

Jahr für Jahr richten die Icefall Doctors die Route durch den gefährlichen Eisbruch ein, sichern sie mit Seilen und halten sie während der Klettersaison bis Ende Mai instand. Erst wenn die Route bis hinauf nach Lager 2 auf 6400 Metern fertiggestellt ist, können die kommerziellen Teams aufsteigen. Die Zeit drängte. Rund zehn Tage später als ursprünglich geplant meldeten die acht Sherpas endlich Vollzug. Die Icefall Doctors warnten jedoch davor, dass es mindestens fünf gefährliche Stellen gebe, die man möglichst schnell passieren sollte. Das erinnert an Russisch Roulette.  

"Berg gewinnt an Dynamik"

Im vergangenen Winter waren sogar zwei über 5800 Meter hohe Pässe im Everest-Gebiet komplett schneefrei. Das sei "besorgniserregend", sagt der nepalesische Glaziologe Tenzing Chogyal Sherpa. "Die Daten zeigen, dass die Zahl der Schneetage, die Schneemenge und die Schneebedeckung abnehmen. Es gibt einen negativen Trend. Diese 'nackten‘ Pässe und Berge veranschaulichen, was gerade passiert." Die Gletscher schmelzen immer schneller, werden dünner und kürzer. Es bilden sich immer größere Gletscherseen, deren natürliche Dämme zu bersten drohen. Das geschah in dieser Woche am Achttausender Manaslu. Die anschließende Flutwelle richtete nur Sachschäden an. Glück gehabt.

Infografik Karte die 14 Achttausender.

Auch im Tal zu Füßen des Everest bilden sich immer mehr Tümpel aus Schmelzwasser. Bis hinauf zum Gipfel auf 8849 Metern sind Schnee und Eis auf dem Rückzug. Die Folge: erhöhte Steinschlaggefahr. Auch das Lawinenrisiko steigt, weil es immer wärmer wird. "Viele Menschen verlieren ihr Leben durch Lawinenabgänge. Der Berg gewinnt immer mehr an Dynamik", warnt Glaziologe Sherpa.

20 Prozent weniger Permits

"Die momentanen Schwierigkeiten am Khumbu-Eisbruch, um zu den höheren Camps zu gelangen, könnten einen Einfluss auf die gesamte Saison haben und womöglich Vorboten eines großen Unheils am Everest sein", fürchtet Norrdine Nouar. Der deutsche Bergsteiger aus dem Allgäu hat gerade - ohne Flaschensauerstoff - die 8091 Meter hohen Annapurna im Westen Nepals bestiegen, seinen zweiten Achttausender. Jetzt will er sich am höchsten Berg der Erde ohne Atemmaske versuchen. "Ich hoffe sehr, dass wir den letztjährigen traurigen Rekord an Toten am Everest nicht erneut brechen", sagt der 36-Jährige gegenüber dem Blog "Abenteuer Berg". Im Frühjahr 2023 waren am Mount Everest 18 Menschen - sechs Nepalesen und zwölf Kunden kommerzieller Teams - ums Leben gekommen, so viele wie noch nie zuvor in einer Saison. Die nepalesische Regierung hatte jedoch auch noch niemals so viele "Permits", Besteigungsgenehmigungen, für den Everest ausgestellt: 478. In diesem Jahr liegt die Zahl der Permits im Vergleich zum gleichen Zeitpunkt 2023 gut 20 Prozent niedriger.

Basislager auf der tibetischen Nordseite des Mount Everest.
Basislager auf der tibetischen Nordseite des Mount EverestBild: Xiao Mi/dpa/picture alliance

Das kann, muss aber nicht auf ein nachlassendes Interesse am Everest hindeuten. Zum einen könnte es daran liegen, dass sich viele Everest-Kandidatinnen und Kandidaten inzwischen daheim in Hypoxie-Zelten vorakklimatisieren und deshalb später anreisen. Zum anderen dürfte auch eine Rolle spielen, dass der höchste Berg der Erde erstmals seit vier Jahren auch wieder von der tibetischen Nordseite aus bestiegen werden kann. Wegen der Corona-Pandemie hatten die chinesischen Behörden die Berge Tibets für ausländische Expeditionen gesperrt. Noch warten die Teams, die in diesem Frühjahr von Norden aus den Everest besteigen wollen, auf ihre Einreisegenehmigungen nach Tibet. Dem Vernehmen nach soll die Grenze erst am 7. Mai geöffnet werden. Die Everest-Saison auf der Nordseite endet am 1. Juni. Die chinesischen Behörden haben die Zahl der Permits auf 300 gedeckelt. Aufstiege ohne Flaschensauerstoff sind ab einer Höhe von 7000 Metern untersagt.

Tracking-Chips und Kotbeutel

Auch auf der nepalesischen Südseite gibt es neue Vorschriften. So müssen alle Bergsteigerinnen und Bergsteiger elektronische Tracking-Chips in ihren Daunenjacken eingenäht haben. Sie sollen die Suche erleichtern, sollte jemand am Berg vermisst werden. Das System hat sich bei Lawinensuchen in den Alpen bewährt. Experten bezweifeln allerdings, dass damit auch im Gipfelbereich des Mount Everest die Sicherheit erhöht werden kann. Bei Eislawinen, so Lukas Furtenbach, Chef des österreichischen Expeditionsanbieters Furtenbach Adventures, reduziere sich die Reichweite des Systems erheblich. "Besser wäre, die Guides [Bergführer - Anm. d. Red.] würden ihre Kunden nicht alleine lassen", sagt Furtenbach. "Dann wäre das Problem gelöst."

Pflicht ist in diesem Jahr erstmals auch, "Poo bags" auf den Berg mitzunehmen, zu benutzen und wieder herunterzubringen. Die speziell für den Outdoor-Bereich entwickelten Kotbeutel sind dicht verschließbar. Ihre Innenseite ist mit einer Mischung aus Geliermitteln, Enzymen und geruchsneutralisierenden Substanzen beschichtet. Diese sorgen dafür, dass die Fäkalien gebunden und der Gestank reduziert wird. Die nepalesische Umweltschutzorganisation Sagarmatha Pollution Control Committee (SPCC), die für das Management des Everest-Basislagers zuständig ist und auch die Icefall Doctors beschäftigt, soll dafür sorgen, dass die Regel eingehalten wird. Das SPCC schätzt, dass zwischen Lager 1 auf 6100 Metern und Lager 4 am Südsattel auf knapp 8000 Metern insgesamt rund drei Tonnen Exkremente liegen - die Hälfte davon am Südsattel, dem letzten Lager vor dem Gipfel des Mount Everest. Da die Schneeauflage zunehmend schwindet, stinkt es dort buchstäblich zum Himmel. Der Südsattel läuft Gefahr, zum "Ballsaal des Kots" zu werden.

DW Kommentarbild Stefan Nestler
Stefan Nestler Redakteur und Reporter