Mr. Energie
28. September 2007Es ist ruhiger geworden um das russische Öl. Und das ist gut so. Es fließt zurzeit ungehindert nach Europa. Aber die Ölstreit zwischen Russland und Weißrussland im Januar 2007 hat Spuren hinterlassen. Auch wenn in Europa keine Ausfälle verzeichnet wurden, war das Entsetzen über die eigene Ohnmacht groß. Die Debatte um die europäische Energieversorgung bekam neuen Schwung.
Spätestens seit dem EU-Gipfel im März 2007 hat sich gezeigt, das die EU in Energiefragen koordiniert vorgeht. Angesichts der zunehmenden Abhängigkeit Europas von Energielieferungen aus dem Ausland ziehen Kommission und Rat an einem Strang. Die Sorge einiger Mitgliedstaaten um einen nationalen Souveränitätsverlust scheint verschwunden. Und auch im Europäischen Parlament ist der Sinneswandel offenkundig: Das EU-Parlament hat am Mittwoch (26.9.2007) in einer Resolution einen Sonderbeauftragten für Verhandlungen mit Staaten wie Russland gefordert.
EU-Politik mit einer Stimme
Ein "Mr. Energie" soll mit einer Stimme die gebündelten Interessen der Europäer vertreten und ihnen ein Gesicht geben. Außerdem soll er künftig Krisen wie beispielsweise die Einschränkung russischer Gas- und Öllieferungen nach Europa verhindern. Falls dennoch ein Versorgungsengpass auftrete, solle ein EU-interner Solidaritätsmechanismus greifen.
Der Vater der Resolution ist der polnische Christdemokrat Jacek Saryzsu-Wolski, zurzeit Vorsitzender im Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten. Nicht ohne Stolz berichtet er von der überwältigenden Mehrheit, mit der die Resolution angenommen wurde. 553 Abgeordnete stimmten für den Bericht, 103 dagegen und 27 enthielten sich.
"Das ist ein neuer Ausgangspunkt für eine gemeinsame Außenpolitik der Union", sagt Saryzsu-Wolski.
Raus aus den Kinderschuhen
"Die Europäische Energiepolitik steckt nicht mehr in den Kinderschuhen", bestätigt auch Kristina Notz, Expertin für Energiepolitik am Centrum für Angewandte Politikforschung in München. "Wir sind längst in der Implementierungsphase angekommen. Das Grundsätzliche ist geklärt, jetzt geht es um Detailfragen."
Details vermisst allerdings Ferran Tarradellas Espuny, der Sprecher des Energiekommissars Andris Piebalgs, an der Resolution des Parlaments. Ein genauer Umriss der Tätigkeiten eines "Mr. Energie" fehlte noch. "Soll er sich um Gaspreise kümmern oder um Öl? Um die Diversifizierung von Energiequellen? Was kann er konkret im Krisenfall tun?" Tarradellas Espuny verweist in diesem Zusammenhang auf die Maßnahmen, die bereits in der Umsetzung sind: Die Kommission ist dabei, ein Netz von Sicherheitskorrespondenten einzurichten. Jeweils ein Vertreter der Mitgliedstaaten ist für die Kommunikation energiepolitisch relevanter Informationen zuständig. Auf mögliche Versorgungsengpässe soll dadurch frühzeitig reagiert werden können. Es habe schon Treffen gegeben. Diese Kommunikatoren sollen in Zukunft bei den Außenministerien angesiedelt sein.
Polens Wunsch nach Energie-Solidarität
Polen drängt bei der Energiepolitik lautstark auf eine Solidaritätsklausel, die rechtsverbindlich verankert werden soll. Das Land beruft sich dabei auf seine extreme Abhängigkeit von russischen Gas- und Öllieferungen. Etwa 90 Prozent der dortigen Energieimporte kommen aus Russland. Wenn die Solidaritätsklausel kommt, könnte sich Polen im Falles eines Versorgungsengpasses einer Kompensation durch die EU-Mitgliedstaaten sicher sein. Bei diesem Pochen erntet das Land aber auch Kritik. Wenig in der Sache selbst, als ganz grundsätzlich.
Der deutsche CDU-Abgeordnete im EU-Parlament Elmar Brok meldete sich am Mittwoch zu Wort und forderte Polen auf, nicht nur im eigenen Interesse solidarisch zu denken. Brok wies darauf hin, dass eine gemeinsame Energie-Außenpolitik erst nach der geplanten Reform der EU möglich sei. Er spielte dabei auf die eigensinnige Blockadehaltung der polnischen Regierung beim letzten EU-Gipfel an.
Ein gemeinsames Auftreten der EU in Energiefragen ist insbesondere gegenüber Russland vorgesehen. In das neue Assoziierungsabkommen sollen entsprechende Klauseln eingebracht werden. Die Verhandlungen zwischen Brüssel und Moskau liegen aber derzeit auf Eis, weil Polen durch ein Veto die Verhandlungen behindert.
Zauberwort: Diversifizierung
Auch dieses Beispiel bestätigt die Notwendigkeit des Diversifizierungskurses der EU. Einerseits sollen verstärkt alternative Energien eingesetzt werden, um einen neuen Energiemix zu erreichen. Andererseits werden auch neue Bezugsquellen gesucht: Norwegen und Algerien steigen als Erdgaslieferanten in der Gunst der EU.
Norwegen, deckt derzeit 15 Prozent des gesamten EU-Bedarfs. Es hat angekündigt, seine Exportmenge von derzeit 85 Milliarden Kubikmetern in Kürze auf bis zu 140 Milliarden Kubikmeter steigern. Das kommt dem Streben der Europäer nach mehr Unabhängigkeit von russischen Gaslieferungen entgegen.
Auch Algerien will seine Exporte in die Europäische Union deutlich erhöhen: von gegenwärtig 55 Milliarden auf 78 Milliarden Kubikmeter im Jahre 2010. Auch Marokko ist Teil der europäischen Diversifizierungsstrategie: Von einem umfassenden Energieprogramm mit Marokko, berichtete die EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner vor wenigen Tagen bei einer Energiekonferenz in Köln.
Der Aktionsplan ist im vollen Gange. Im Dezember 2007 will die Kommission die Rahmenrichtlinien zu erneuerbaren Energien und einen strategischer Plan für Energietechnologien veröffentlichen. Bis Frühjahr 2008 soll ein neuer Bericht herausgegeben werden. Er soll die EU-Energiestrategie überprüfen und voranbringen.