Musicals in Deutschland
5. November 2013Ein Besuch des Hamburger Musicals "Der König der Löwen" ist eine Reise in eine andere Welt. Und die beginnt bei Hamburgs Erfolgsmusical schon weit vor dem großen Showzelt: Mit einem Schiff setzt man zu dem ehemaligen Werftgelände im Hamburger Hafen über. Musicalfan Axel Wolter gerät dabei ins Schwärmen: "Ein einzigartiges Erlebnis, auf die andere Hafenseite zu fahren, wo man nur das beleuchtete Zelt sieht, wo aber keiner wohnt oder lebt."
Stadtbesuch und Bühnenshowerlebnis in einem
Das farbenprächtige Stück rund um den kleinen Löwen Simba besuchen gerne Familien. Aber auch das typische Musicalpublikum reist hierher: "Stärkste Gruppe beim Musicalbesuch sind allgemein die 50- bis 64-Jährigen.", sagt Prof. Dr. Ulrich Reinhardt, Leiter der Stiftung für Zukunftsfragen in Hamburg, die sich mit Fragen zu Freizeitforschung und Tourismus beschäftigt.
Musicaltourismus ist für die Forscher ein interessantes Feld - hat er sich doch im deutschsprachigen Raum in den vergangenen Jahrzehnten zu einem einzigartigen Phänomen entwickelt, das so weder in den USA noch in Großbritannien, den Heimatländern des Musicals, zu finden ist. Es ist die Verbindung von Stadtbesuch und Bühnenshowerlebnis, das die Touristen begeistert.
Doch nicht nur in Hamburg, in vielen deutschen Großstädten wie Stuttgart, Berlin, Köln oder Düsseldorf haben die musikalischen Großproduktionen Einzug gehalten. Auch kleinere Städte wie Hameln mit seinem Sommermusical "Rats" bieten den Musicaltouristen die besondere Verbindung aus Stadtbesuch und musikalischem Erlebnis.
Wie alles begann
Die Wiege des Musicalbooms steht in Hamburg, der deutschen Musicalhauptstadt, in der im Jahr 1986 mit "Cats" alles begann. Diese Erfolgsproduktion mit der Musik des Briten Andrew Lloyd Webber lief 14 Jahre lang im Operettenhaus. Heute sind in Hamburg gleich drei Musicalhäuser fest etabliert: die Operette, die Neue Flora und das Zelt im Hamburger Hafen, ein viertes Musicaltheater gleich daneben ist im Bau.
Immer schneller dreht sich das Geschäft, eine neue Musikproduktion jagt die andere: Nach "Tarzan" und "Sister Act" kam 2013 "Rocky" auf die Bühne. Im März 2014 wird die Liebesgeschichte eines Boxers als erster deutscher Musicalexport Premiere am New Yorker Broadway feiern.
Stephan Jaekel, der Unternehmenssprecher des Veranstalters Stage Entertainment Hamburg, sieht dieses Genre als wichtigen Wettbewerbsfaktor: "Die touristische Relevanz für den Bereich Musical ist sehr hoch, wir haben knapp zwei Millionen Übernachtungen in Hamburg, die allein auf einen Musicalbesuch zurückgehen." Und ergänzt, dass jede Show so perfekt wie am ersten Tag sein müsse. Das verlangen die Zuschauer, die für eine Karte mindestens 50 Euro ausgeben.
Ohrwürmer zum Mitsingen
Auch in anderen deutschen Städten wächst das Musical-Programm stetig: Da sind Musicalproduktionen, die Geschichten um legendäre Musiker oder Bands erzählen wie in Stuttgart "Mamma Mia" mit der Musik der schwedischen Popgruppe Abba. Auch Deutschrock kann zum Publikumsmagneten werden: Udo Lindenbergs Musical "Hinterm Horizont", die Geschichte einer Liebe zwischen Ost und West zur Zeit der deutsch-deutschen Teilung, steht knapp drei Jahre nach der Uraufführung kurz davor, seinen millionsten Besucher zu begrüßen.
Viele der Interessenten kaufen die Musical-Karten über das Internet oder über Call-Center. So hat zum Beispiel Stage Entertainment als größter Musical-Anbieter in Deutschland ein eigenes Call-Center eingerichtet. Doch auch Reisebüros und Busfernreiseunternehmen bieten komplette Erlebnispakete an, die Musicalbesuch und Städtereise miteinander verbinden.
Wer für 2013 eine Musicalreise nach Deutschland plante, kam an einem Ereignis kaum vorbei: "Starlight Express" feierte in Bochum das 25jährige Bestehen der Show. Vier Jahre nach seiner Uraufführung in London hatte das Rollschuh-Musical 1988 Deutschlandpremiere in Bochum - in der eigens dafür gebauten "Starlighthalle". Es war das erste, extra für ein Musical errichtete Theater in Deutschland.
St. Pauli und die "Heiße Ecke"
Es gibt aber nicht nur die großen Produktionen, die ihren Ursprung zumeist im angloamerikanischen Raum haben - auch regionale Musicals mit Pfiff finden ihr Publikum, verrät der Hamburger Szenekenner Axel Wolter. Für einen Luxus-Musicalabend in Hamburg empfielt er den "König der Löwen". Wer einen richtig unterhaltsamen Abend für normales Geld erleben wolle, dem empfiehlt Wolter das Musical "Heiße Ecke" in Schmidts Tivoli an der Hamburger Reeperbahn: "Da war ich bestimmt schon über 400 Mal drin: tolle Schauspieler, super Bühnenbild und lockere Stimmung."
Immer mehr Produktionen an immer mehr Orten, das Interesse am Musical scheint ungebrochen. The show must go on.