Musik aus der Steinzeit
20. Mai 2019Solange du lebst, tritt auch in Erscheinung./ Traure über nichts zu viel. /Eine kurze Frist bleibt zum Leben./Das Ende bringt die Zeit von selbst.
Diese Zeilen scheinen auch heute noch aktuell - und das obwohl sie vor Tausenden von Jahren zu einer der weltweit ältesten vollständigen Melodien geschrieben worden sind.
Archäologen entdeckten das Gedicht, das während der hellenistischen Zeit des antiken Griechenland (323 - 31 v. Chr.) entstanden sein soll, auf einer Grabsäule in der heutigen Türkei. Ein Mann namens Seikilos ritzte es einst dort ein.
Eine Nachbildung jener Säule sowie eine Choraufnahme des Liedes waren während der Veranstaltung zum 190-jährigen Bestehen des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) am vergangenen Freitag in Berlin zu sehen und zu hören. Forscher aus aller Welt kamen hier zusammen, um ihre neuesten Funde zu präsentieren.
Knochenpfeifen und Goldtrompeten
Vergangenes Jahr war die Seikilos-Stele auch Gegenstand der Ausstellung "Archaeomusica: The Sounds and Music of Ancient Europe" in Brandenburg, die die Forschungsergebnisse von Archäologen, Instrumentenbauer, Musikethnologen, Musikern und anderen Spezialisten bündelte. Auch nachgebaute, spielbare Instrumente präsentierte die Schau. Zurzeit befindet sich die Stele in der Sammlung des DAI.
Zu dessen Feierlichkeiten in Berlin wurde eine umfangreiche Auswahl an alten Instrumenten gezeigt: von Knochenpfeifen bis hin zu goldenen Trompeten - Repliken einiger der ersten Musikinstrumente, die in Europa gespielt wurden - von der Altsteinzeit um 40.000 v. Chr. bis zur Spätantike.
Die ersten Instrumente überhaupt?
Die frühesten Klangwerkzeuge, die Archäologen heute kennen, stammen aus der Altsteinzeit, als der Homo sapiens, der anatomisch moderne Mensch, nach Europa gekommen sein soll. Seine Instrumente wurden in Höhlen in Süddeutschland gefunden.
Das bedeute aber nicht, dass die Menschen vorher keine Musik gemacht hätten, betont Musikarchäologe und Kurator der Schau "Archaeomusica" Arnd Adje Both. "Aber wir können sagen, dass sie zum damaligen Zeitpunkt auf Pfeifen und Flöten aus Knochen und später mit Schwirrgeräten, kleinen Objekten, die durch die Luft gewirbelt werden und ein summendes Geräusch erzeugen, gespielt haben." Später wurden Knochenraspeln und Mammutknochen, die in der heutigen Ukraine gefunden wurden, wahrscheinlich als Schlagzeug verwendet.
Das alles sei nur eine kleine Auswahl aller möglichen Klanginstrumente, die die Menschen damals gespielt haben könnten, erklärt Adje Both. Auch Instrumente wie Holztrommeln mit Tierhaut könnte es gegeben haben.
Der Musik auf der Spur
"Tausende von Musikinstrumenten sind in Museen auf der ganzen Welt gelagert. In vielen Fällen sind die Objekte in Vitrinen eingeschlossen und außer Reichweite", so Adje Both weiter. Das Besondere an der "Archaeomusica"-Sammlung ist, dass jedes nachgebildete Instrument von ausgebildeten Musikern ausgeliehen und gespielt werden kann.
Die Materialien, die für die Repliken verwendet wurden, sind denen des Originals außerdem so ähnlich wie möglich. So kann herausgefunden werden, wie auf den Instrumenten musiziert worden sein könnte. Denn: "In den meisten Fällen haben wir keine Ahnung, welche Musik tatsächlich gespielt wurde", so Adje Both. Die nachgebauten Instrumente böten zahlreiche Interpretationsmöglichkeiten.
Ein Barockmusiker etwa würde sein technische Können auf einer altgriechischen Doppelflöte anders einsetzen als Ureinwohner aus Papua-Neuguinea, erläutert der Musikarchäologe. "Es ist einfach fantastisch, diese Objekte zu erforschen und sich anzusehen, welche verschiedenen Klänge sie erzeugen."
Archäologie immer breiter aufgestellt
Auch wenn die meisten Archäologien mit Ausgrabungen von Tempeln und Gräbern in Verbindung bringen dürften, ist das Feld inzwischen viel größer. Die Musikarchäologie gewinnt an Bedeutung, indem sie sich mit dem beschäftigt, was Adje Both die "weichen Aspekte der Vergangenheit" nennt.
"Wir versuchen, die Materialreste zu verstehen, um mehr darüber zu erfahren, was die Leute dachten oder fühlten, und das ist wirklich interessant an dieser Forschung: Sie ist sehr offen und experimentell."
Es gibt aus dieser Zeit eben keine schriftlichen Zeugnisse und nur wenige Malereien, so dass man nur spekulieren kann, wie die Menschen damals am liebsten musizierten. War es Musik, wie wir sie heute kennen, oder fiele es in unseren Ohren in die Kategorie wohl Krach, fragt sich Adje Both. Ein Geheimnis, dass vielleicht zu weiteren Experimenten auf den alten Instumenten einlädt.