Muslime und Schwule als Schützenkönige?
10. März 2017Schnappschuss beim Gemeinschaftsball: Wie ein strahlender Regent sieht der frisch gebackene Schützenkönig von St. Wilhelmi-Kinderhaus dabei nicht gerade aus - zumindest auf den ersten Blick. Dirk Winter (vierter von links mit seinem Partner) hat 2011 in seinem Schützenverein bei Münster zwar den Vogel abgeschossen. Wie es die Tradition vorsieht, trägt er um den Hals die silberne Königskette. Beim Festzug aber darf sein Lebenspartner nicht wie eine wahre "Schützenkönigin" neben ihm schreiten, sondern nur hinter ihm hergehen. So hatte es der konservative katholische "Bund der Historischen Deutschen Schützenbruderschaften" (BHDS) damals verlangt.
Doch jetzt will der Dachverband der katholischen Schützen seine Regeln lockern: Homosexuelle, Nicht-Christen und Katholiken, die aus der Kirche ausgetreten sind, sollen künftig auch Schützenkönige und Königspaare werden dürfen. Über eine entsprechende Änderung der Statuten soll am Sonntag in Leverkusen abgestimmt werden.
Übung in Sachen Toleranz
Es klingt ein bisschen nach Revolution. Denn bislang war klar: Nicht jeder darf mitmachen. In der traditionsbewussten Welt der katholischen Schützen darf ein Muslim kein Schützenkönig werden. Und auch das Königspaar muss aus Mann und Frau bestehen. Weil man das als Diskriminierung sehen kann, entschied die Unesco, die historischen Schützen Europas nicht ins immaterielle Kulturerbe aufzunehmen.
Nun scheint ein Gesinnungswandel diese Grundfesten aufzulösen. "Wir wollen es den einzelnen Schützenvereinen frei stellen, wen sie aufnehmen", sagt BHDS-Pressesprecher Rolf Nieborg im DW-Gespräch. Es gehe um Toleranz. Man wolle sich schließlich nicht der Lebenswirklichkeit verschließen und attraktiv für neue Mitglieder bleiben.
Hinter den Kulissen aber, vor allem bei den Schützenbrüdern auf dem Land, raune so mancher: "Muss das sein?" Ein Homosexueller auf dem Thron, ein muslimischer Schützenkönig - für manche sei das immer noch nur schwer vorstellbar, sagt Nieborg: "Sie haben Angst vor dem Unbekannten."
Dabei ist die Diversität auch bei den traditionsbewussten Schützen längst angekommen. Dirk Winter war nicht der erste schwule katholische Schützenkönig. Aber er wollte es nicht länger hinnehmen, sich auf dem Festumzug im Dorf mit einer "ausgeliehenen" Partnerin zu präsentieren.
Schützenvereine sind in Deutschland eine Art Institution. Gerade auf dem Land sind sie aus dem Dorfleben kaum wegzudenken - seit Jahrhunderten bereits. Dort wird geschossen, gefeiert, getratscht. So auch bei den katholischen Schützenbrüdern. Doch der Verband versteht sich auch als Glaubensgemeinschaft. Neben Brauchtum und Traditionspflege sind die Schützen dazu angehalten, sich für wohltätige Zwecke einzusetzen. Wichtigster Termin im Jahr ist - wie bei allen Schützen - das Schützenfest, wenn der König feierlich den Holzvogel abschießt.
"Wenn ein Mensch mitmachen will und ein geradliniger Kerl ist, dann wird erstmal nicht nach der Religionszugehörigkeit gefragt", erklärt BHDS-Sprecher Rolf Nieborg.
"Lasst die Kirche im Dorf"
So war es wohl auch bei Mithat Gedik, einem muslimischen Schützen aus Westfalen. Der Deutsche mit türkischen Wurzeln ist hier geboren und aufgewachsen. Im Abitur ließ er sich in katholischer Religion prüfen. Mit seiner katholischen Frau und den vier Kindern lebt er seit vielen Jahren in Werl-Sönnern, einem Dorf in Westfalen. 2014 wurde er dort Schützenkönig. Der Verband wollte aber, dass er abdankt. "Da hab ich gedacht: Leute, lasst mal die Kirche im Dorf. Mein Gott, dann gibt es eben einen muslimischen König", sagt Gedik der Deutschen Presseagentur. "Ausnahmsweise" durfte er Schützenkönig bleiben, hieß es vom Dachverband dann streng.
Der Muslim Gedik hätte gar nicht erst aufgenommen werden dürfen, bestätigt Rolf Nieborg: "Aber da war das Kind schon in den Brunnen gefallen." Rechtlich war die Entscheidung völlig legitim. Intern aber brach daraufhin eine Debatte aus. Eine Art Identitätskrise. Denn katholisch und konservativ - eigentlich ist das der Markenkern der katholischen Schützen. Der Verband orientiert sich an der Deutschen Bischofskonferenz. Dennoch wolle man "nicht päpstlicher als der Papst" sein, heißt es nun.
Aber vielleicht muss man auch die Kirche im Dorf lassen: Unter den insgesamt rund 400.000 Mitgliedern in den 1200 christlichen Schützenbruderschaften sind etwa zwei Dutzend Muslime, schätzt Rolf Nieborg. Die Öffnung des Vereins für Nicht-Katholiken und Homosexuelle sei auch ein politisches Signal.
Übrigens, wer in seiner Freizeit gerne mit Gewehren schießt, muss das nicht bei den Katholiken tun. Im Vereinsland Deutschland können Interessierte auch zahlreichen anderen Schützenvereinen beitreten. Seit 2012 sogar der schwul-lesbischen Schützenbruderschaft "St. Sebastianus und Afra". Sie wurde als Reaktion auf Dirk Winters unglückliche Zeit als Schützenkönig gegründet.