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Debatte: Demente Angehörige zuhause pflegen oder im Heim unterbringen?

Thomas Klatt2. Januar 2013

Autorin Martina Rosenberg hat ihre demente Mutter zuhause gepflegt und wäre daran beinah zerbrochen. Ihr Buch "Mutter, wann stirbst du endlich?" hat eine Debatte ausgelöst - auch unter Pflegeexperten.

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ARCHIV - Eine Krankenschwester hält am 27.10.2005 einer Seniorin die Hand. Es ist eines der Lieblingsprojekte der FDP. Nun haben sich die Liberalen nach langem Koalitionsstreit mit der privaten, kapitalgedeckten Zusatzversicherung für die Pflege durchgesetzt. Foto: Patrick Seeger dpa (zu dpa "Pro und Kontra zur privaten Pflege-Zusatzvorsorge" vom 05.06.2012) +++(c) dpa - Bildfunk+++
Bild: picture-alliance/dpa

Peter Bartmann ist Pflegeexperte beim Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland. Er weiß, wie belastend es sein kann, die kranken oder dementen Eltern in den eigenen vier Wänden zu versorgen. Das Buch von Martina Rosenberg "Mutter, wann stirbst du endlich?" hält er deshalb für nachvollziehbar. Es zeichne ein realistisches Bild von der Lage pflegender Angehöriger, ihrem Spagat zwischen beruflichem und gesellschaftlichem Leben einerseits und der aufopfernden Pflege, die Abschottung und Alleinsein mit sich bringen kann.

„Pflegende Angehörige tragen in Deutschland einen wesentlichen Anteil der Pflegelast", konstatiert Bartmann. Überlastung sei keine Ausnahme, sondern ganz alltäglich. "Dass man da raus will und sich bisweilen wünscht, dass der oder die zu Pflegende bald stirbt, ist verständlich“, so Bartmann.

Neues Gesetz bringt Verbesserungen

Allerdings sei zu fragen, was man daraus ableitet. Denn die Familien stünden mit ihrer Situation nicht allein da. Pflegende Töchter und Söhne könnten gerade in Deutschland auf ein Netz ambulanter und stationärer Hilfen zurückgreifen: Diakoniestationen, ambulante Pflegedienste oder Pflegekassen beraten individuell. Und vom neuen Pflege-Neuausrichtungsgesetz (PNG), das seit Oktober 2012 gilt, erwartet der Diakonie-Experte spürbare Verbesserungen für die häusliche Pflege: Ambulante Pflegedienste könnten leichter in Privathaushalte kommen und Menschen mit Demenz unterstützen, selbst wenn diese noch in keiner der drei regulären Pflegestufen sind. Dann gibt es das Angebot der so genannten Verhinderungspflege. Das heißt, wenn Angehörige tage- oder gar wochenweise ausspannen und Urlaub von der Pflege machen möchten, so kann der Pflegebedürftige in eine Kurzzeitpflegeeinrichtung gebracht werden, wo er versorgt wird.

Autorin Martina Rosenberg. Sie ist die Autorin des Buchs "Mutter, wann stirbst du?" Wir dürfen die Bilder im Zusammenhang mit der Berichterstattung zu dem Buch kostenfrei nutzen. Copyright: Verlagsgruppe Random House GmbH
Martina Rosenberg: "Mutter, wann stirbst Du endlich? - Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird", erschienen im Verlag BlanvaletBild: Verlagsgruppe Random House GmbH

Man sollte den ambulanten Pflegedienst vor Ort einfach mal ausprobieren, empfiehlt Bartmann. Als Angehöriger gehe man keine lange Vertragsbeziehung ein. "Funktioniert die Betreuung aus irgendeinem Grund nicht, kann sie jederzeit abgebrochen werden", so Bartmann. Pflegedienste werden von den Pflegekassen bzw. dem Medizinischen Dienst der Pflegekassen zudem engmaschig kontrolliert.

Keine Angst vor dem Heim

Auch nach dem neuen PNG werden pflegende Angehörige nur die Hälfte der Pflegesätze wie professionelle Kräfte erhalten. Der Diakonie-Fachmann hält das für gerechtfertigt: "Familien sollen schließlich die externe Hilfe für ein Mehr an Geld in Anspruch nehmen können", fordert er. Was Bartmann nicht gut findet - wenn man, wie in Martina Rosenbergs Buch geschildert, die Pflege zu Hause zum "absoluten Muss" erhebt. "Als wäre ein Leben im Heim das Schlimmste, was man seinen Angehörigen antun kann", so Bartmann.

29.09.2012 deutschland heute Pflege
Steigender Pflegebedarf

„Die Angst vor dem Pflegeheim ist leider weit verbreitet", so Bartmann. Es gebe fast niemanden, der sich in gesunden Tagen vornimmt, sein Leben dort zu beenden. Dann werde in der Familie verabredet: "Mutter kommt nicht ins Heim!", selbst wenn es für die pflegebedürftigen Menschen später gar nicht so gut sei. "Was ist besser?", fragt Bartmann: "eine überforderte pflegende Tochter oder ein Pflegeheim mit Fachkräften, die speziell auf dementiell erkrankten Menschen eingestellt sind?“

Gesellschaftliche Debatte über Pflege notwendig

Der Pflegeexperte fordert einen Bewusstseinswandel in der Gesellschaft. Ein Heim sei eben nicht ein absolut zu vermeidender Ort, betont Bartmann. Andernfalls werde die Pflege zu Hause räumlich, physisch und psychisch zur Hölle. "Alle Seiten sind überfordert - da wundert es nicht, wenn es zu Gewaltausbrüchen kommt!"

Es zeigt Peter Bartmann. Experte beim Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland für den Bereich Pflege. Autor Thomas Klatt am 20.12.12 gemacht.
Peter BartmannBild: Thomas Klatt

Bartmann drängt auf eine sachgerechte Debatte beim Thema Pflege. Trotzdem hält er es für richtig, wenn Bücher mit einem warnenden, skandalisierenden und sehr emotionalen Tonfall, wie das von Martina Rosenberg, geschrieben und veröffentlicht werden. "Das trägt vielleicht dazu bei, dass sich die Menschen verstärkt mit der eigenen Gebrechlichkeit und Pflege auseinandersetzen", so Peter Bartmann vom Diakonischen Werk in Deutschland.