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Politik

Myanmars Militär – Der Staat im Staat

11. Februar 2021

Myanmars Militär hat zum dritten Mal seit der Unabhängigkeit 1948 geputscht. Es wollte seinen über Jahrzehnte gewachsenen Einfluss sichern.

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Soldaten bei einer Militärparade in Naypiydaw 2019
Soldaten bei einer Militärparade in Naypiydaw 2019Bild: Ann Wang/REUTERS

Bei den landesweiten Protesten in Myanmar schlägt dem gefürchteten Militär viel Wut entgegen. Am Mittwoch veranstalteten junge Protestteilnehmer im Stadtzentrum von Yangon eine Scheinbeerdigung für den Oberbefehlshaber der Streitkräfte Min Aung Hlaing. Auf Plakaten forderten die Demonstranten das Ende der Militärdiktatur, sowie die Freilassung von De-Facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi und anderer politischer Gefangener.

Die Tatmadaw, wie das Militär in Myanmar genannt wird, ist zugleich allgegenwärtig und ungreifbar. Es ist allgegenwärtig, weil es nicht nur die Politik, sondern auch die Wirtschaft des Landes dominiert. Es ist ungreifbar, weil das Militär als "Staat im Staat" wie eine Blackbox funktioniert, so der Politologe und Myanmarkenner Marco Bünte von der Universität Erlangen-Nürnberg im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Auch der Politologe Yoshihiro Nakanishi, der 2013 ein Buch über die Tatmadaw veröffentlicht hat, schreibt: "Informationen über die Beziehungen zwischen Militär und Zivilgesellschaft sind begrenzt. Zu einem Großteil sind wir bei der Analyse auf Hörensagen und Vermutungen angewiesen." Nicht ohne Grund haben die Generäle entschieden, die Hauptstadt Naypiydaw auf dem Reißbrett neu zu entwerfen und sie isoliert ins Kernland Myanmars zu verlegen. Ein großes Gebiet der 2005 eröffneten Hauptstadt ist militärisches Sperrgebiet.

Junge Demonstranten fordern vor der japanischen Botschaft in Yangon die Freilassung von Aung San Suu Kyi
Die landesweiten Proteste in Myanmar dauern an. Die Demonstranten fordern die Freilassung von Aung San Suu KyiBild: Kyodo News/imago images

Selbstwahrnehmung des Militärs

Nach Angaben des "International Institute for Strategic Studies" waren 2019 gut 406.000 Soldaten im aktiven Dienst. Das Land verfügt damit in absoluten Zahlen über die elftgrößte Armee der Welt. Die Tatmadaw ist seit der Unabhängigkeit 1948 der entscheidende politische Machtfaktor im Land, wobei ihr Einfluss über die Jahre immer weiter zugenommen hat. Sie ist die einzige Institution, die kontinuierlich Bestand hatte. Bis heute konnten weder Proteste noch die demokratische Opposition die Macht des Militärs brechen. Auch massive internationale Sanktionen in den 1990er und frühen 2000er Jahren beeindruckten die Generäle wenig.

Das Selbstverständnis und Selbstbewusstsein der Militärs erklärt sich aus der Geschichte des Landes. "Man darf nicht vergessen", sagt Bünte im Gespräch mit der Deutschen Welle, "dass die Armee älter ist als der Staat." Gegründet wurde sie nämlich 1941 in Thailand als "Burma Independence Army", und zwar von dem bis heute verehrten Unabhängigkeitshelden Aung San. Geld und logistische Unterstützung stammten aus dem kaiserlichen Japan. Aung San bewunderte den japanischen Militarismus, zumindest bis er kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs zu den bald darauf siegreichen Alliierten überlief.

Infografik: Militärische Konflikte in Myanmar 2020
Von einem Frieden ist Myanmar auch 2020 weit entfernt

"Paranoider Sicherheitskomplex"

Bis zu seiner Ermordung 1948 hielt Aung San eine starke Armee für unabdingbar, da nur sie die Unabhängigkeit und Einheit des Landes garantieren könne. Das bis heute gültige Motto der Armee stammt aus Japan. Es lautet: "Ein Blut, eine Stimme, ein Befehl".

In den Jahren nach der Unabhängigkeit sah das Militär die Hauptaufgabe darin, kommunistische und ethnische Aufstandsbewegungen zu bekämpfen und die Einheit des vom Zerfall bedrohten Landes zu wahren. Das Militär, so Bünte, habe immer den Sicherheitsaspekt über alles andere gestellt und dabei einen "paranoiden Sicherheitskomplex" entwickelt, der bis heute besteht. "Der Eindruck, dass man umringt ist von Feinden, hat sich seit der Staatsgründung nicht verändert."

Putsch und Staatsumbildung 1962

Das Militär putschte erstmals 1962. General Ne Win leitete damals den "Birmanischen Weg zum Sozialismus" ein. Während die sozialistische Revolution scheiterte, war Ne Win sehr erfolgreich darin, das politische System ganz auf das Militär zuzuschneiden, so der japanische Politologe Yoshihiro Nakanishi in seinem Buch über die Tatmadaw. Dazu erfolgte eine starke Verknüpfung zwischen Militär und Staat. Ein zentraler Mechanismus dabei: Aus dem Militärdienst ausscheidende Offiziere erhielten Posten in der zivilen Verwaltung, und zwar je nach Rang. Generäle wurden in der Regel mit Ministerposten versorgt.

Dieses System ist bis heute weitgehend intakt. Nach allem, was über den jüngsten Militärputsch bekannt ist, war ein wichtiger Faktor, dass Oberbefehlshaber Min Aung Hlaing 2021 das Militär hätte verlassen müssen und für ihn kein Anschlussposten in der zivilen Regierung zu finden war. Unter anderem deshalb, weil die Stellvertreterpartei der Militärs, die Solidaritäts- and Entwicklungsvereinigung der Union (USPD), bei den Wahlen im November 2020 so schlecht abgeschnitten hatte.

Im August 1988 geht die Tatmadaw gewaltsam gegen Demonstranten in Yangon vor
Nach dem letzten Putsch von 1988 schlug das Militär die Demonstrationen mit Gewalt niederBild: ullstein bild-Heritage Images/Alain Evrard

Das Volk als neue Bedrohung

Das sozialistische Experiment endete mit den Protesten von 1988, die das Militär mit einem weiteren Putsch niederschlug. Nach Schätzungen kamen dabei etwa 3000 Menschen ums Leben. Saw Maung, der damalige Führer der Putschisten, erklärte, wie vor wenigen Tagen Min Aung Hlaing, dass die neue Militärregierung ganz anders sei und sich von der vorherigen Regierung grundsätzlich unterscheide.

1988 bedeutete einen tiefen Einschnitt, da das Militär nicht mehr nur äußere Feinde und ethnische Gruppen als ihre Gegner sah, sondern zum ersten Mal auch die eigenen Bürger, wie Nakanishi und Bünte betonen. Der "paranoide Sicherheitskomplex" wurde nach innen erweitert. Nakanishi beobachtet einen wachsenden Paternalismus, da aus Sicht des Militärs nur das Militär wusste, was gut für das Land und seine Bürger ist. Als Motto definierte die Militärregierung drei nationale Aufgaben: Kein Zerfall der Union! Keine Auflösung der nationalen Solidarität! Vertiefung der nationalen Souveränität!

Das System der Versorgung von ausscheidenden Militärs mit Posten in der Regierung wurde beibehalten, hinzu kam aber eine wirtschaftliche Öffnung. Es entstanden große staatseigene Unternehmen wie zum Beispiel die "Union of Myanmar Economic Holding" (UMEHL), was weitere Möglichkeiten bot, um Offiziere mit Posten zu versorgen. In der Folge vertiefte sich das Geflecht zwischen Militär, Staat und Wirtschaft.

Wie groß der Einfluss des Militärs war, lässt sich auch daran ablesen, dass alle Gründungsmitglieder der 1988 gegründeten Nationalen Liga für Demokratie außer Aung San Suu Kyi Ex-Militärs waren. Bünte sagt dazu: "Myanmar war ein stark militarisierter Agrarstaat." Zugespitzt konnte man damals nur Bauer, Mönch oder Soldat werden. Eine Militärlaufbahn war damals für viele noch am attraktivsten. So ist es nicht verwunderlich, dass selbst die Oppositionspolitiker aus den Reihen des Militärs stammten.

"Disziplinierte Demokratie"

In den folgenden Jahren entwickelte die Militärregierung die sogenannte Sieben-Schritte-Roadmap zu einer "disziplinierten Demokratie", die in die bis heute gültige Verfassung von 2008 mündete. Ziel der neuen Verfassung war es unter anderem, der Tatmadaw per Verfassung eine politische Rolle zuzuweisen, um das System der Versorgung ausscheidender Offiziere aufrechtzuerhalten. Zugleich wurde eine "Entwicklungsdiktatur" implementiert, wie Nakanishi es nennt. Die Zusammenarbeit mit der NLD führte zur Aufhebung der Sanktionen, zum Zustrom ausländischer Investitionen und gab dem Land einen großen Entwicklungsschub.

Doch die Zeit nach dem Wahlsieg von Aung San Suu Kyi 2015 hat das Modell der "disziplinierten Demokratie" aus Sicht des Militärs in mehrerlei Hinsicht gefährdet. Zum Ersten war es der NLD mit der "Civil Service Reform" 2017 gelungen, die Besetzung von Regierungsposten mit Militärs zu durchbrechen. Zum Zweiten machte die NLD keinen Hehl daraus, dass sie die Verfassung von 2008 nicht akzeptieren würde. "Im Grunde", sagt Bünte, "hat Aung San Suu Kyi die Militärs nie anerkannt. Sie war Teil des politischen Systems geworden, um es zu ändern, aber nicht, um es umzusetzen." Mit dem Putsch vom 1. Februar hat das Militär der Erosion seiner Macht vorläufig ein Ende gesetzt.

Spaltung des Militärs?

Die entscheidende Frage angesichts der landesweiten Proteste ist, wie das Militär nun reagiert. Wird es wie 1988 die Proteste mit Gewalt ersticken oder ist es tatsächlich ein "neues Militär", wie Min Aung Hlaing gesagt hat? Der Blick in andere Länder der Region zeigt, dass Demokratiebewegungen wie etwa in Indonesien nur dann erfolgreich waren, wenn das Militär seinen Zusammenhalt nicht aufrechterhalten konnte. Mit Blick auf Myanmar stellt Bünte fest: "Abweichungen oder Vielstimmigkeit werden als Schwäche gesehen. Es gibt einen ausgesprochen starken Corpsgeist und eine kulturelle Neigung, ranghöheren oder älteren Mitgliedern der (Militär)-Gemeinschaft nicht zu widersprechen." Allerdings ist das Militär eben auch eine Blackbox und von außen ist kaum zu beurteilen, ob es nicht doch Kräfte gibt, die den Putsch rückgängig machen wollen.

Auf den Punkt: Putsch in Myanmar: Todesstoß für die Demokratie?

Rodion Ebbinghausen DW Mitarbeiterfoto
Rodion Ebbighausen Redakteur der Programs for Asia