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Politik

Militär macht Druck auf die Presse

9. März 2021

Druck auf Journalisten, verschärfte Gesetze, Internet-Blockaden: Myanmars Armee will den Informationsfluss kontrollieren. Aber noch fließen die Daten.

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Weltspiegel 02.03.2021 | Myanmar Yangon nach Militärputsch | Soldaten
Einsatz der Armee in Yangon (Rangun) Bild: REUTERS

Das erste Opfer eines Putsches ist die Wahrheit. Am 3. März wurde die 19-jährige Demonstrantin Kyal Sin ("Angel") durch einen Kopfschuss getötet. Sie trug ein T-Shirt mit dem Schriftzug "Everything will be OK". Augenzeugen gaben an, dass ein Scharfschütze der Sicherheitskräfte auf sie geschossen hatte.

Das Staatsfernsehen berichtete später, dass die Polizei den Demonstranten von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand und die Wunde am Hinterkopf war, folglich nicht von den Sicherheitskräften verursacht worden sein konnte. Doch ein Foto der Nachrichtenagentur Reuters zeigt deutlich, dass Kyal Sin kurz vor ihrem Tod den Kopf nach hinten gedreht hatte. Alle Indizien deuten darauf hin, dass Kyal Sin von den Sicherheitskräften getötet wurde. Ein Schicksal, das bislang nach UN-Angaben mindestens 55 Demonstranten ereilte.

Myanmar Protest gegen Militärputsch Mandalay Mord Kyal Sin
Die Demonstrantin Kyal Sin sucht Deckung kurz bevor ihr in den Kopf geschossen wirdBild: REUTERS

Hunger nach Informationen

Seit Myanmars Militär am 1. Februar die Macht im Land übernommen hat, machen Gerüchte und Falschmeldungen die Runde. Insbesondere auf Facebook, der wichtigsten und am meisten genutzten Plattform des Landes, und in anderen sozialen Medien verbreiten sich unbestätigte Meldungen und mit politischen Absichten gepostete Beiträge wie Lauffeuer, auch wenn FB und andere soziale Medien seit dem 5. Februar 2021 geblockt sind.

Der Hunger der Menschen nach Informationen ist groß, mit Hilfe von Umgehungssoftware (VPN) finden sie Wege, um zu erfahren, was im Land vor sich geht. Umso wichtiger ist die professionelle Berichterstattung und Einordnung durch Journalisten.

Der Journalist Kyaw Myint, der viele Jahre dem Presserat Myanmars angehörte, bevor er aus Protest gegen aktuelle Anordnungen der Militärregierung zurückgetreten ist, sagte gegenüber der Deutschen Welle: "Viele Journalisten sind wütend, wie man auf ihren privaten Social Media Accounts sehen kann, aber die Berichterstattung ist im Großen und Ganzen professionell. Innerhalb des Landes sind die Nachrichten und die Liveberichterstattung sehr effizient organisiert."

Was Kyaw Myint allerdings vermisst, sind Hintergründe und Analysen. "Die Nachrichtenberichterstattung ist sehr gut, aber es fehlen Berichte über die größeren Zusammenhänge und den Kontext." Das hat zum einen mit dem auch schon vor dem Putsch fehlenden Budget der Zeitungen zu tun, zum anderen aber auch mit dem wachsenden Druck, dem die Medienhäuser und die Journalisten durch den Putsch ausgesetzt sind. Die Ereignisse überschlagen sich und der Großteil der Ressourcen fließt in die aktuelle Berichterstattung.

Alle Register der Einschüchterung

Die Arbeit von Journalisten, die auch vor dem Putsch schon alles andere als einfach war, ist noch mal schwieriger geworden. Die Militärregierung wirft den Medien vor, die Proteste zu befeuern und erschwert die Arbeit auf jede erdenkliche Weise. Journalisten, die von den Protesten berichten, würden von den Sicherheitskräften gezielt angegriffen, berichten mehrere Journalisten, mit denen die DW gesprochen hat, die aber aus Sicherheitsgründen nicht genannt werden möchten. Die meisten verzichten deshalb darauf, sich als Pressevertreter kenntlich zu machen, wie man das von anderen Demonstrationen kennt.

Das Militär verhaftet auch immer mehr Journalisten. Nach aktueller Zählung der NGO "Assistance Association for Political Prisoners" (AAPP) waren am Montag knapp 1800 Personen im Zusammenhang mit dem Putsch verhaftet worden, davon 34 Reporter und Journalisten. Einige von ihnen sind inzwischen zwar wieder gegen Kaution draußen, aber es drohen hohe Haftstrafen.

 

Myanmars Journalistenvereinigung (Myanmar Journalists Network) unterstützt die verhafteten oder mit Klagen bedrohten Kollegen. Kyaw Myint bestätigt gegenüber der DW den Kontakt mit Anwälten und die Organisation von Netzwerken, die den Familien helfen sollen, wenn die Angehörigen für Monate oder womöglich Jahre inhaftiert werden.

Viele Journalisten, die noch auf freiem Fuß sind, werden beobachtet, wie Kyaw Myint aus eigener Erfahrung weiß. Polizisten in Zivil beschatten ihn und seine Frau, die für den birmanischen Dienst der BBC arbeitet, regelmäßig. Die Sicherheitskräfte waren auch schon bei ihm zu Hause, trafen dort aber nur die Tochter an.

Direktiven und  Lizenzentzug

Die Militärregierung, die sich Staatsverwaltungsrat (SAC) nennt, gab zwei Direktiven an die Medien heraus. Die erste besagte, dass in den Medien nicht von einem Putsch gesprochen, die zweite, dass der SAC nicht als Junta oder Militärregierung bezeichnet werden dürfe. Die staatlichen Medien halten sich an die Vorgaben, aber die privaten Medien weigern sich mit Verweis auf die allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die in Artikel 19 die Meinungsfreiheit garantiert. Aus Protest gegen die Direktiven sind 20 der 22 Mitglieder des Presserats, darunter Kyaw Myint, zurückgetreten.

Am Montag entzog das Militär fünf unabhängigen lokalen Medien – Democratic Voice of Burma, Mizzima, Myanmar Now, 7 Days und Khit Thit – die Lizenz. Mizzima hat am Dienstag angekündigt trotz des Lizenzentzugs weiter zu veröffentlichen. Andere Medienunternehmen, die sich weder dem Druck des Militärs beugen noch gegen die neuen Regeln verstoßen wollen, haben ihre Veröffentlichung vorerst eingestellt.

Ein improvisierter Zeitungskiosk in Yangon im Jahr 2013
Archivbild: Zum ersten Mal durften in Myanmar private Tagezeitungen im Mai 2013 erscheinenBild: DW/R.Ebbighausen

Die Maßnahmen erinnern, wie der Putsch insgesamt, an die Rückkehr überwunden geglaubter Zeiten. Bis 2011 gehörte die Presse in Myanmar zu einer der am stärksten kontrollierten der Welt. Es gab eine strenge Vorzensur, die erst 2012 aufgehoben wurde; Privatmedien konnten erst seit 2013 erscheinen. Bis dahin gab es im Land nur die von der Regierung abgesegneten Nachrichten, und zwar im Wochentakt. Wer sich anderweitig und aktuell informieren wollte, musste auf die Exilmedien wie die Democratic Voice of Burma, die BBC oder Radio Free Asia, die jeweils birmanische Sprachprogramme anbieten, zurückgreifen.

Totale Internetkontrolle unmöglich

Doch anders als früher gibt es neben den Exilmedien heute das Internet. Das Militär versucht auch dieses zu kontrollieren. Wie weitgehend die Maßnahmen sind, zeigt der am Dienstag veröffentlichte Bericht der Organisation "Open Observatory of Network Interference" (OONI). "Das Ausmaß der Internet-Zensur in Myanmar ist beispiellos geworden." Die NGO beobachtet neben der Blockade von sozialen Medien, Wikipedia und 174 Nachrichtenseiten auch die gezielte Blockade von Webseiten, die Wege zur Umgehung von Internetblockaden anbieten.

Aktivist in Yangon vor einem Laptop
Das Internet lässt sich nicht lückenlos kontrollierenBild: Cape Diamond

Besonders einschneidend ist die regelmäßige nächtliche Abschaltung des Internets seit dem 15. Februar zwischen ein und neun Uhr morgens in Myanmar, die inzwischen fest eingeplant zu sein scheint. "Diese Synchronisierung ist ganz anders als der erste Internet-Ausfall während des Putsches am 1. Februar. Seither haben die Internetanbieter offenbar Techniken entwickelt und verfeinert, um die Abschaltung der Internet-Verbindungen nach vorgeplanten Zeitplänen zu erzwingen und zu lockern."

Dennoch ist Kyaw Myint sicher, dass es nicht einfach ein Zurück zu den alten Zeiten geben wird, und zwar wegen des Internets. "Die Journalisten werden die Pressefreiheit mit allen Mitteln verteidigen, es gibt keinen Weg zurück für das Militär in die Zeit vor 2010." Eine Totalabschaltung wäre die einzige Möglichkeit, aber das ist keine Option für das Militär. "Die Banken, die Wirtschaft insgesamt ist längst im 21. Jahrhundert angekommen und mit der Welt vernetzt. Bei einer Kappung der Verbindung würde sich das Militär ins eigene Fleisch schneiden."

Rodion Ebbinghausen DW Mitarbeiterfoto
Rodion Ebbighausen Redakteur der Programs for Asia