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Mythos Wilder Westen: Indianer aus Deutschland

26. September 2011

Schon in den 1920er Jahren wurden in Deutschland Western gedreht. Später hatten die deutschen Winnetou-Filme großen Erfolg. Bernd Desinger vom Düsseldorfer Filmmuseum über die Gründe für die Indianerbegeisterung.

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Pierre Brice in Winnetou III (Foto: Rialto Film GmbH, Berlin)
Bild: Rialto Film GmbH, Berlin

In den 1960er Jahren kam in Deutschland keiner an Winnetou vorbei. Ob "Der Schatz im Silbersee" oder die "Winnetou"-Trilogie mit Pierre Brice und Lex Barker - alle wollten sie sehen: den edlen Wilden aus dem fernen Westen und seinen ebenso edlen Freund. Ein Millionenpublikum strömte damals in die Kinos. Das Düsseldorfer Filmmuseum arbeitet derzeit die Geschichte des deutschen Wildwestfilms auf. Wir haben mit dessen Direktor Bernd Desinger über die Gründe für die ungeheure Popularität der deutschen Indianerfilme gesprochen, die ja nicht nur in der Heimat erfolgreich sind.

USA-Einwanderer machten den Anfang

Deutsche Welle: Wie ist es zu erklären, dass Winnetou-Filme nach den Vorlagen von Karl May damals in den 1960er Jahren auf so große Begeisterung gestoßen sind?

Bernd Desinger: Karl May fiel mit seinen Geschichten auf fruchtbaren Boden. Die Begeisterung für den Westen der Neuen Welt war tief in den Herzen und Köpfen der Deutschen, schon lange vor den 60ern. Die Deutschen hatten mit Abstand die größte Einwanderergruppe in den USA gestellt. Sie waren also an der Erschließung des Westens beteiligt und auch an der Gründung des Mythos. Zahlreiche amerikanische Maler waren deutscher Abstammung und die haben die Begeisterung für den Westen in ihren Bildern transportiert. Dann hat es einen sehr großen Erfolg der "Lederstrumpf"-Bücher gegeben. Die erschienen in hohen Auflagen. Karl May stieß mit seiner Konzeption also schon auf eine Begeisterung für den edlen Wilden in einer freien unberührten Natur - den damals so viele Deutsche im Kopf hatten.

Pierre Brice als Winnetou,1982 (Foto: dpa)
40 Jahre Winnetou: der gebürtige Franzose Pierre BriceBild: picture-alliance/ dpa

Wenn man die Filme heute wiedersieht, kann man sie ja belächeln wie andere Unterhaltungsfilme aus Deutschland der 1960-Jahre auch, Edgar Wallace zum Beispiel. Aber, sie sind auch beim Wiedersehen immer wieder faszinierend, weil sie mit großer handwerklicher Qualität entstanden sind.

Ja, unbedingt, das war eine große handwerkliche Qualität! Da war erst einmal die sensationelle Farbfotographie. "Schatz im Silbersee" war der erste deutsche Film in Cinemascope: Ein unverschämt blauer Himmel, großartige Landschaften. Die meisten Deutschen waren zu dem Zeitpunkt ja nicht selber im "Wilden Westen" gewesen. Man konnte noch nicht so reisen, wie das heute möglich ist. Das war schon eine glaubhafte Atmosphäre in den Filmen. Da wurde der "Wilde Westen" bildlich vermittelt.

Populär auch in den USA

Das hat sogar in Amerika selbst funktioniert. Man hat dort den Filmen gar nicht richtig verübelt, dass das landschaftlich nicht so ganz passte, weil die Landschaft so großartig wirkte. Der Einsatz der Kamera war großartig. Die Schauspielerwahl insgesamt war sehr gut zusammengestellt. Die Musik von Martin Böttcher war auch bahnbrechend, vielleicht war das die Erfindung der "Pferdeoper". Denn man sieht später, dass auch Ennio Morricone (ital. Komponist, zum Beispiel von der Musik von "Spiel mir das Lied vom Tod") sich zumindest teilweise daran orientiert hat.

Lizenzausgabe des Übereuter-Verlages Wien Cover-Entwurf von Bruno Schwatzeck (Foto: Bamberg, Karl-May-Verlag)
Deutsches Winnetou-Cover von 1948Bild: Bamberg, Karl-May-Verlag

Darüber hinaus haben die Karl May-Verfilmungen, ähnlich wie später die Defa-Indianer-Filme auch, eine ganz besondere Eigenart, die man auch schon in den Büchern von Karl May und in den Büchern anderer deutscher Wildwestautoren findet: nämlich die starke Konzentration auf den Indianer.

Es fallen einem noch ganz andere edle Motive ein. In "Winnetou" gibt es zum Beispiel eine Szene, in der die Indianer den Weißen den Vorwurf machen, sie würden jagen und Büffel erlegen nur zum Spaß, ohne Notwendigkeit. Das ist ja schon ein starkes ökonomisches Moment, das ist ganz aktuell.

Da gibt es eine ganz klare durchgehende Linie in der deutschen Gesellschaft. Die Liebe zur Natur, zur Unberührtheit, zum Reinen. Das geht ja bis heute in die Ökobewegung hinein. Das hatten wir aber auch früher schon, bei der Wandervogelbewegung zum Beispiel, aber es gab auch andere Bewegungen, bei denen die Deutschen eine Faszination von einer reinen, unberührten Natur hatten.

Sehnsucht und Eskapismus

Man muss sich nur ein paar der Gründe der Auswanderungsbewegung der Deutschen anschauen. Natürlich gab es politische Faktoren: vor allen Dingen Mitte des 19. Jahrhunderts die gescheiterte Revolution, die Kleinstaaterei, die soziale Unterdrückung. Aber in ganz vielen Fällen waren es auch wirtschaftliche Gründe. Und in der Zeit, wo es in Deutschland schwieriger wird, enger wird, wo mit der Industrialisierung die Städte verrauchter werden, unwirklicher werden, blüht umso größer das Ideal des reinen, unberührten Landes auf, in dem sich die Indianer als freie selbstbestimmte Menschen bewegen.

Pierre Brice (l) als Apachen-Häuptling Winnetou und Lex Barker als sein Blutsbruder Old Shatterhand in einer Szene des Karl-May-Films Im Tal des Todes (Foto: dpa)
Blutsbrüder: Winnetou und Old Shatterhand (Lex Barker)Bild: picture-alliance/ dpa

Das war sicher auch ein Grund für die Popularität, die die Filme ausgelöst haben. Es gab eine "Goldene Leinwand" für die Winnetou Filme (Ehrung für einen Filme, der innerhalb von 18 Monaten 3 Millionen Zuschauer hat). Das war ein Kulturphänomen in den 1960er Jahren. Wie ist das heute zu erklären? Gibt es noch andere Gründe dafür?

Eskapismus ist vielleicht das falsche Wort. Aber es war ein Filmsujet, das auch gewisse Parallelen oder gewisse Anbindungen zum Heimatfilm hatte. Das Gute setzte sich gegen das Böse durch! Es war letztendlich auch eine Idylle. Vieles ist ja in der Realität nicht so gewesen: die Apachen, die lebten in der Wüste und nicht an idyllischen Wasserfällen, vor denen sie mit Kanus rumpaddelten in Lederanzügen wie Winnetou, was eigentlich nur die Prärieindianer taten. Aber es gab eine bestimmte Heimeligkeit, eine Ruhe, eine Sicherheit, die die Deutschen damals brauchten.

Das Gespräch führte Jochen Kürten

Redaktion: Günther Birkenstock