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Mythos Wolga

Stephan Hille, Moskau13. Dezember 2005

Mit kaum einem anderen Stichwort verbinden Russen und Nicht-Russen so viel, wie mit dem Wunderwort "Wolga". Für den Russen verbergen sich dahinter Heimat, Schicksal, die russische Weite und natürlich die russische Seele.

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Der Westler denkt vermutlich sofort an eine ZDF-Reportage... Doch nicht von Mütterchen Wolga, dem Schicksalsfluss der Russen soll hier die Rede sein, sondern vom Wolga, dem Schicksalsauto der Russen. Unter den russischen Automobilen gilt der Wolga zwar als das schönste, aber auch das reparaturanfälligste Auto. Dennoch war es lange Zeit das beliebteste und begehrteste Gefährt in Russland. Der Wolga galt quasi als Mercedes der Russen, aber nur solange der Eiserne Vorhang hielt und zu einer Zeit als der eigentliche Mercedes und andere Westlimousinen wie Ford oder BMW für die Sowjetmenschen unerreichbar waren. Das war die Zeit, als es noch Schlangen vor den Geschäften gab und die Straßen frei waren. Heute verhält es sich bekanntlich umgekehrt. Heute stehen alle Wolgas und Mercedes' die meiste Zeit im Stau - es sei denn sie haben ein Blaulicht auf dem Dach und einen Kreml-Beamten im Fond.

Wolga als Schnäppchen

Früher war der Wolga dem sowjetischen Beamtenapparat vorbehalten und natürlich dem Geheimdienst KGB - am liebsten in schwarz und mit Vorhängen. Heute, wo im Fuhrpark des Kreml fast nur noch "Inomarky", ausländische Limousinen, stehen, ist der Wolga als Neuwagen ab schlappen 8000 Dollar zu haben. Doch für das Geld kauft sich Ivan Normalverbraucher inzwischen lieber einen gebrauchten Westwagen. Die einstige renommierte "Beamtenschaukel" ist zum Ladenhüter geworden. Jetzt geht der Wolga endgültig über die Wupper.

Aus für die Wolga-Produktion

Die russische Autofabrik GAZ (Gorkowski Awtozavod) in Nischni Nowgorod (ehemals Gorki) werde die Produktion des Wolga einstellen, hatte der russische Unternehmer und Oligarch Oleg Deripaska kürzlich angekündigt. Der Wolga sei veraltet, es werde keine Weiterentwicklung geben, stattdessen werde sich das Werk auf die Montage von Kleinbussen und ausländischen PKW konzentrieren. Im nächsten Jahr sollen noch rund 50.000 Wolgas vom Band laufen, dann wird wohl Schluss sein.

Parallelen zum Ford

Damit stirbt 15 Jahre nach dem Untergang der Sowjetunion eine Institution. Der Wolga war und ist eben noch immer ein richtiges Auto. Ein Klassiker mit Charakter, der ohne diese Rundungen, die die Autos von heute kaum noch unterscheidbar machen, auskam. Weich gefedert wie Omas Sofa und mit einem beruhigenden aber auch satten Sound, der angenehm klingt, ja beinahe so wie der Chor der Wolga-Kosaken aus der Ferne. Kein Auto zum Rasen, eher zum gemütlichen Dahingleiten wie in einem amerikanischen Straßenkreuzer. Der Wolga hatte immer einen Hauch von Ford.

Kein Wunder: schließlich half der amerikanische Autobauer in den dreißiger Jahren beim Aufbau des GAZ-Werkes im damaligen Gorki. Der erste PKW, der dort vom Band lief, hatte starke Ähnlichkeiten mit seinem amerikanischen Prototypen. Als 1956 der erste Wolga produziert wurde, hatte er ein Haifisch-Maul wie US-amerikanische Straßenkreuzer und Heckflossen. Auf dem Kühler streckte sich ein Hirsch zum Sprung. Auch im späteren kaum veränderten Design blieb die Ähnlichkeit zum Ford. Nur in der technischen Erneuerung verschliefen die russischen Autobauer den Anschluss. Ob Lada oder Wolga, keine russische Automarke ist konkurrenzfähig. Dass der Wolga nun den Bach runtergeht, ist daher verständlich - aber auch ein bisschen schade.