München trauert
31. Juli 2016Joachim Gauck ist die Anspannung anzumerken: Der Bundespräsident hat schon zu den Opfern des Germanwings-Absturzes im März 2015 gesprochen, jetzt spricht er im bayrischen Landtag in München über die Opfer des Amoklaufes in München vor neun Tagen, als ein 18 Jahre alter Rechtsextremist, so die bisherigen Ermittlungen, wahllos neun Menschen in einem Einkaufszentrum erschoss. Ein Täter, der Literatur über Amokläufe sammelte und den norwegischen Massenmörder Breivik verehrte. Schrecklich, brutal, ungreifbar. Und das alles passiert in den Tagen, in denen auch andernorts in Deutschland Schreckliches passiert, islamistische Attentate in Würzburg und Ansbach. Die haben andere Ursachen, aber gefühlt gehören alle Verbrechen zusammen und zerrütten die Menschen. Gauck weiß das, er muss das jetzt irgendwie in Worte kleiden.
"Erlauben Sie, dass wir Ihnen beistehen"
"Ich bin traurig wie Sie", wendet er sich zuerst an die Familienmitglieder der Toten. "Neun Menschen sind tot, weil ein zehnter sich entschied, sie zu töten". Alle Namen der Ermordeten liest Gauck vor: "Susanne fehlt uns, Cem fehlt uns". Mit Mühe bringt der Bundespräsident das zu Ende. Und über den Täter: "Wir werden ihm nicht in den Abgrund seines Denkens folgen". Aber über mögliche Ursachen müsse man schon sprechen. Vereinzelung, Ausgrenzung, Radikalisierung durch Computerspiele: "Wir dürfen die jungen Menschen nicht allein lassen." Und nochmal an alle Verbrecher: "Sie werden uns nicht dazu kriegen, zu hassen!"
Das ruft Gauck fast, voller Zorn in der Stimme. Und dankt dann der Polizei, den Helfern. Und ein letztes Wort an die Angehörigen: "Bitte erlauben Sie, dass wir Ihnen zur Seite stehen." Mit den Angehörigen trifft sich das Staatsoberhaupt dann gesondert. Kein Fernsehbild zeigt sie, kein Foto darf von ihnen gemacht werden.
Wie stark der Schock ist, der die Stadt getroffen hat, macht auch Barbara Stamm deutlich. Der Präsidentin des bayrischen Landtages bricht in ihrer Rede die Stimme, vor allem, als sie sich an die Angehörigen wendet. Nur mühsam bringt auch sie ihre Sätze zu Ende. "Was geschehen ist, lässt uns sprachlos zurück." Wahrlich.
Gottesdienst - mit Christen, Muslimen, Juden
Vor der Trauerstunde im Landtag gedenken die Spitzen des Staates gemeinsam mit den Angehörigen und vielen Münchnern der Opfer in einem ökumenischen Gottesdienst in der Frauenkirche im Zentrum der Stadt. Stumm betreten der Bundespräsident und die Kanzlerin die Kirche. In den letzten zehn Bankreihen versammeln sich Münchnerinnen und Münchner, mit und ohne Migrationshintergrund, Christen, Muslime, Juden. "Ich bin hier, weil die Tochter von Freunden ums Leben gekommen ist", sagt ein Mann mit Tränen in den Augen leise. Der Horror ist immer noch ganz nah, wie auch anders nur eine Woche nach dem Verbrechen.
Im Mittelpunkt des Gottesdienstes, vor dem Altar, stehen neun Kerzen, für jedes der Opfer des Amoklaufs eine. Angezündet werden sie von jungen Menschen, so jung wie die meisten der Erschossenen. Und vor diesen Kerzen setzen drei Religionsvertreter ein kraftvolles Symbol für die Vielschichtigkeit der Gesellschaft. Vater Georgios Siomos von der griechisch-orthodoxen Gemeinde, Dhahri Hajer vom Muslimrat und Alon Kol von der israelitischen Kultusgemeinde. Vor den brennenden Kerzen halten alle drei ein Totengebet. "Oh Allah", fleht Dhahri Hajer, "hilf uns zu verinnerlichen, dass wir alle Kinder Gottes sind." So klar, und doch so schwer in diesen Zeiten.
Ein Tag des Klagens
"Dies ist ein Tag des Klagens", sagt dann Kardinal Marx, Erzbischof von München und Freising in seiner Predigt. Nicht ohne Grund wird Psalm 77 vorgelesen, ein Klagepsalm: "Gott, wo warst du in dieser Stunde?" Ja, wo? Klagen, Zorn, Verzweiflung seien wichtig, so der Kardinal, aber sie müssten mit Hoffnung verbunden werden. "Ohnmächtig dürfen wir nicht sein, das wollen die Verbrecher und Terroristen". Denn: "Was uns verbindet, ist das Menschsein." Diese Hoffnung muss bleiben, aber der Grundtenor des Gottesdienstes ist und bleibt die Fassungslosigkeit: "Ich steh vor dir mit leeren Händen Herr", singt der Domchor München. Beieinanderstehen ist das Einzige, was möglich ist.