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Weniger arbeiten, um die Welt zu retten?

Ruby Russell
19. Juni 2020

Wenn die Menschen weniger konsumieren, kommt das der Umwelt und dem Planeten zugute. Doch hilft es auch, weniger zu arbeiten? Was man aus der Corona-Krise über die Arbeitswelt lernen kann.

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Großraumbüro Callcenter in Berlin
Bild: picture alliance/Keystone/J. Zick

Wie wir arbeiten, hat sich in der Corona-Krise stark verändert - und das in ganz unterschiedlicher Weise. Manch einer war durch Kinderbetreuung und Arbeit doppelt belastet. Andere hatten plötzlich mehr Freizeit, weil dringende Abgabetermine wegfielen. Wieder andere, zum Beispiel Krankenschwestern und Ärzte, Supermarktmitarbeiter oder Müllmänner, wurden zu Helden stilisiert, denen die Menschen von ihren Balkonen applaudierten. 

Philipp Frey ist Doktorand am Karlsruher Institut für Technologie. Er sagt, es gibt viel, was man daraus zum Wohle der Menschen und des Planeten lernen kann. Vergangenes Jahr machte er mit einer Studie Schlagzeilen. Er schlug vor, dass die Europäer sich auf eine Neun-Stunden-Woche beschränken sollten, um den Klimakollaps zu verhindern.

"Zwischen Kohlenstoffemissionen und Arbeitsstunden gibt es eine positive Korrelation”, sagt Frey. "Die meisten von uns produzieren am Wochenende weniger CO2 als an einem normalen Arbeitstag.”

Deustchland Stau auf der Autobahn
Wie wir arbeiten, beeinflusst unser Konsumverhalten und welche Fahrtwege wir zurücklegenBild: picture-alliance/SvenSimon/F. Hoermann

Dies gilt nicht nur für Beschäftigte in Bereichen, die per se viel Kohlenstoff freisetzen, wie der verarbeitenden Industrie und der Energieerzeugung. Ein weiterer Faktor sind Emissionen durch Berufspendler und Büros, die betrieben werden müssen. Wie wir arbeiten, wirkt sich auch auf unser Konsumverhalten aus. Untersuchungen deuten darauf hin, dass längere Arbeitszeiten mit mehr Konsum verbunden sind, und dass dieser Effekt nicht nur mit dem Einkommen zu tun hat.

Es ist wesentlich wahrscheinlicher, dass Arbeitnehmer, die wenig Zeit haben, das Auto nutzen statt öffentliche Verkehrsmittel. Sie kaufen energieintensivere Produkte, die Zeit sparen, essen Fertiggerichte, "bevorzugen extravagante Ausgaben und nicht nachhaltige Lebensstile”, so eine Studie.

Ist der Verbraucher schuld?

"Jeder weiß, dass man weniger konsumieren muss", sagt Frey. Es ist klar, dass die Energiebilanz nicht nachhaltig ist. Aber konzentriert man sich nur auf den Verbrauch, wird das Individuum verantwortlich gemacht und nicht das System in Frage gestellt, das hinter der unnötigen Produktion vieler Güter steht.

"Wir führen keine Debatte darüber, wie wir unsere Arbeitszeit tatsächlich verbringen. Es ist üblich, dass wir Einzelpersonen ethische und moralische Handlungsanweisungen geben. Aber wir sollten darüber reden, wie wir unsere Wirtschaft gestalten und welche Produkte wir produzieren", sagt Frey. 

Nicht zuletzt hat der Lockdown während der Corona-Krise uns eine Pause beschert, um darüber nachzudenken, welche Arbeiten tatsächlich die wesentlichen Bedürfnisse der Gesellschaft erfüllen. Meist sind das Arbeitsplätze im öffentlichen Sektor - häufig schlecht oder gar nicht bezahlt.  

Eine alte Frau läuft mit Altenpflegerin
Bild: picture-alliance/dpa/O. Berg
Indien eine Frau holt Trinkwasser
Viele Jobs auf der Welt werden nicht genug honoriertBild: Getty Images/AFP/D. Dutta

Nach Angaben der UNO ist 41 Prozent der weltweit geleisteten Arbeit unbezahlt: zum Beispiel die Betreuung von Kindern und älteren Menschen, Hausarbeit und Wasserholen. 

"Wir schätzen Tätigkeiten, die Profite für die Wirtschaft schaffen mehr als Arbeitsplätze, die für die Nachhaltigkeit des Lebens wichtig sind", sagt Amaia Perez Orozco, Ökonomin des feministischen Kollektivs XXK. "Daher haben wir eine völlig verzerrte Auffassung vom Wert der Arbeit.”

Eine Alternative zur "Junkie-Wirtschaft"

In einem System, das auf Profit und Wachstum ausgerichtet ist, wird Arbeit belohnt, die Ressourcen in Produkte und dann in Abfall verwandelt. Aber die menschlichen und ökologischen Aspekte werden in diesem System nicht berücksichtigt. 

"Es kommt zu einem Zusammenbruch, wenn die Basis schwächer wird und das System versucht, weiter zu wachsen", sagt Margarita Mediavilla von der Universität Valladolid. "Unsere Gesellschaft ist bereits in ein Muster des Zusammenbruchs und der Überausbeutung eingetreten." COVID-19, fügt sie hinzu, "macht uns noch zerbrechlicher und zeigt das Muster des Zusammenbruchs noch deutlicher.”

Mediavilla sagt, dass traditionelle Gesellschaften nur so viel arbeiten wollten, wie nötig war, um die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen. Sie kümmerten sich um die natürlichen Ressourcen, von denen ihr Lebensunterhalt abhing. Im Gegensatz dazu muss die heutige "Junkie-Wirtschaft", die von billigem Öl, billigen Arbeitskräften und billigen Ressourcen abhängig ist, "mehr und mehr produzieren, damit die Menschen ein ‘vermeintlich' menschenwürdiges Leben führen können."

Für einige zeigen sich die ökologischen Kosten, die dieses System mit sich bringt, an den  Beschäftigungsmöglichkeiten.  

Brototi Roy ist Politökologin an der Autonomen Universität Barcelona und hat die Konflikte im indischen Kohlesektor erforscht. Sie berichtet von einem Interview mit Arbeitern, die darunter leiden, dass sie für eine Industrie arbeiten, die ihr Land und ihre Umwelt verschmutzt. Früher habe gerade dieses Land sie ernährt.

Tote Fische
Bild: Getty Images/AFP/M. Recinos
Zwei Männer auf einer Ölraffinerie
Können wir Arbeitsplätze mit der Erhaltung unserer Umwelt vereinen?Bild: picture alliance/AP Photo/H. Malla

Das Ziel, schädliche Industriezweige aus Umweltgründen zu schließen oder die Produktion herunterzufahren, steht immer im Gegensatz zu dem Anliegen, Arbeitsplätze zu erhalten.

Aber es wird zu wenig darauf geachtet, was die Arbeitnehmer tatsächlich wollen, sagt Roy. Ihrer Meinung nach sollte die Frage sein: "Für welche Art von Arbeit setzen wir uns immer noch ein und warum fragen wir nicht die Leute, die diese Arbeit machen, ob wir eine Alternative anbieten könnten?"  

Universelles Grundeinkommen  

Für einige Geringverdiener in Indien und an einigen anderen Orten auf der Welt wurde eine Alternative ausprobiert - das universelle (oder bedingungslose) Grundeinkommen, das auch von Politikern und Bürgern in Deutschland immer wieder diskutiert wird. Diese Idee ist seit Ausbruch der Pandemie auf großes Interesse gestoßen. Die öffentliche Akzeptanz wächst, unterstützt von Thinktanks und Politikern. Spanien plant noch in diesem Monat ein Mindesteinkommen einzuführen. Minister aus Spanien, Italien und Portugal fordern dieses Modell für die gesamte Europäische Union. 

Umweltbewusste Befürworter des Grundeinkommens möchten Arbeitnehmern mehr Macht geben. Sie sollen eine Arbeit ablehnen können, die schlecht für ihr Wohlergehen oder das des Planeten ist. So könnten auch diejenigen, die wichtige, aber unbezahlte Arbeit leisten, finanzielle Unabhängigkeit erreichen.

In der freien Zeit, die Menschen dann für sich und die Umwelt hätten, würden sie sich vielleicht weniger zu "Konsum als Ersatzhandlung” hingezogen fühlen - zum Kauf von Dingen, mit denen man sich besser fühlen soll: Statussymbole oder Produkte, welche vermeintlich die Stimmung heben, wenn man sich ausgebrannt fühlt.

Wieviele Stunden Arbeit tun dem Menschen und dem Planeten gut?

Das Grundeinkommen wird auch als Lösung vorgeschlagen, wenn Menschen durch technologische Entwicklungen, wie künstliche Intelligenz, arbeitslos werden. Dies schlug kürzlich der ehemalige griechische Finanzminister und Ökonom Yanis Varoufakis in einer Videobotschaft vor. Das Grundeinkommen soll seiner Meinung nach durch Dividenden aus Unternehmensgewinnen und nicht durch die Lohnsteuer finanziert werden.  

Frauen in einem Klamottenladen
Können wir unser Konsumverhalten ändern?Bild: Getty Images/AFP/K. Kudryavtsev

In seinem Aufsatz "Economic Possibilities for our Grandchildren” aus dem Jahr 1930 sagte John Maynard Keynes voraus, dass die Menschen, durch eine Automatisierung der Industrie, nur noch 15 Stunden pro Woche arbeiten müssen. Frey sagt, Keynes und einige andere aus dieser Zeit haben "unterschätzt, wie sehr der Konsum zunehmen könnte."

"Was ist unser Hauptziel?", fragt Frey. "Ist es die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse mit möglichst wenigen ökologischen Ressourcen? Oder ist [die Wirtschaft] so organisiert, dass maximale Umsätze und Unternehmensgewinne erzielt werden?” 

Frey sagt, er war überrascht von der optimalen Arbeitszeit, die seine Berechnungen, ausgehend von den Emissionswerten, ergaben.  

Eine so drastische Verkürzung unserer Arbeitszeiten könne gut für das Klima sein, aber er glaubt nicht, dass dies wirtschaftlich nachhaltig wäre. Stattdessen plädiert er für eine Umverteilung der geleisteten Arbeit und eine kontrollierte Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 20 bis 24 Stunden. Das sei einigen Studien zufolge auch für die Gesundheit der Beschäftigten und die Produktivität optimal.