Brexit: Wie geht's weiter für europäische Orchester?
4. April 2017In ihrem unterzeichneten Artikel 50, mit dem Großbritanniens Premierministerin Theresa May die zweijährige Phase der Austritts-Verhandlungen beantragte, erklärte sie, Großbritannien verlasse die Europäische Union, nicht Europa.
Für klassische Musikensembles drängt sich dennoch die Frage auf, ob sich Großbritannien von der EU lösen kann, ohne auch seine Verbindung zu Europas Kunst und Musik aufzugeben. So überlegen paneuropäische Orchester - in Großbritannien wie auch auf dem europäischen Festland - ob der Brexit nicht auch mit Änderungen in den Beziehungen zu Großbritannien einhergeht.
Ein EU-Orchester kehrt Großbritannien den Rücken
Für das Barockorchester der Europäischen Union (European Union Baroque Orchestra, EUBO, im Bild oben), ein renommiertes Ensemble, das aus jungen Spitzenmusikern der EU besteht, lautet die Antwort: Ja. Seit seiner Gründung 1985 hat das Orchester seinen Sitz in Oxfordshire. Doch am 19. Mai wird das EUBO in der ehemaligen Kirche St John Smith's Square in London sein letztes Konzert als in Großbritannien ansässige Organisation geben. Im Anschluss wird es seinen offiziellen Sitz nach Antwerpen in Belgien verlegen.
"Als eine Einheit der Europäischen Union wurde es eher zu einer Frage des "Wann" als des "Ob", sagte Paul James, Generalmusikdirektor des EUBO gegenüber der DW. "Wir sind ein offizieller Kulturbotschafter für die Europäische Union und werden von dieser kofinanziert" - durch das Programm "Kreatives Europa" der Europäischen Kommission. "Es machte absolut keinen Sinn, eine Einheit der Europäischen Union von außerhalb der EU zu führen."
Kultur bei Austrittsverhandlungen zweitrangig
Mit 1,46 Milliarden Euro für den Zeitraum 2014 bis 2020 unterstützt das Programm "Kreatives Europa" Kunst und Kultur, darunter Musik in EU-Mitgliedsstaaten. Aber auch Nicht-EU-Mitglieder können Gelder erhalten, sofern sie eine Art Eintrittsgeld zahlen, das sich nach deren Bruttoinlandsprodukt richtet. Folglich können britische Musikeinrichtungen auch nach dem EU-Austritt Geld aus diesem Topf erhalten - doch dann müsste sich die britische Regierung entscheiden, hier zu investieren.
Paul James glaubt, dass die Kultur keine so wichtige Rolle in den Austrittsverhandlungen von Premierministerin Theresa May spielen wird. Und selbst wenn doch, so sieht er einen Konflikt zwischen seinem Orchester, das mit der EU aufs engste verbunden ist, und dessen Sitz in Großbritannien. "Warum sollte man dafür sein, einer europäischen Organisation Geld zu geben, die nicht weiterhin in Großbritannien sein möchte?", fragt er.
Ein Orchester Europas, nicht der Europäischen Union
Im Fall des pan-europäischen und in London ansässigenChamber Orchestra's of Europe (COE), ist die Geschichte allerdings eine andere. "Wir sind das Chamber Orchestra of Europe, nicht der Europäischen Union", betont sein Präsident Peter Readman. Und verweist darauf, dass das COE nicht durch die EU finanziert wird, sondern durch private Mittel - von einzelnen Spendern, Unternehmen sowie verschiedenen Stiftungen.
Während also Paul James vom EUBO Schwierigkeiten bei der Mittelbeschaffung zu beklagen hat, die auf Unsicherheiten nach der Brexit-Entscheidung zurückzuführen sind, stellt Readman im Fall des COE keine negativen Auswirkungen bezüglich seiner Finanzierung fest. Sollte es sich allerdings in der Zukunft als problematisch erweisen, von Großbritannien aus zu operieren, gibt er zu, werde das COE "gewiss vorsichtig danach Ausschau halten", einen Sitz auf dem europäischen Festland zu etablieren.
Probleme mit Visa, Zöllen und Zahlungen
Für europäische Musikensembles, die bisher die volle Freizügigkeit genossen, kann der Brexit zahlreiche Hürden bedeuten: unter anderem im Bezug auf Visa, Zollpapiere für Instrumente und die Zahlungen von Sozialversicherungsbeiträgen. Die Ungewissheit, die der nahende Brexit aktuell mit sich bringt, könnte demnach in der EU ansässige Orchester und Gruppen, die ihre Touren in der Regel Jahre im Vorfeld planen, davon abbringen, weitere Auftritte in Großbritannien zu organisieren.
Das Mahler Chamber Orchestra (MCO) mit Sitz in Berlin, ein Orchester mit Musikern aus ganz Europa - auch aus Großbritannien - plant regelmäßig weltumspannende Tourneen. Es hat allerdings nicht vor, in Zukunft einen Bogen um den britischen Musikmarkt zu machen. Nach Auftritten bei der Londoner Konzertreihe Proms 2015 oder in der Royal Festival Hall im November 2016, möchte das Orchester in den nächsten fünf bis sechs Jahren nach Großbritannien zurückkehren - selbst nach März 2019, wenn Großbritannien aus der EU ausgetreten sein wird.
"Bis jetzt hat der Brexit unsere Beziehung zu Großbritannien nicht beschädigt", sagt MCO-Generaldirektor Michael Adick im Interview mit der DW. Er betont, das Orchester werde Schritt für Schritt schauen, wie es mit den Herausforderungen, die der Brexit mit sich bringe, umgehe. Adick bedauerte jedoch den "großen Schritt zurück", den diese Herausforderungen bedeuten könnten. "Wir werden es bei Großbritannien definitiv mit weitaus größeren Hürden zu tun haben als dies bei anderen Nicht-EU-Staaten der Fall ist", so Adick. "Da wir aber trotz allem weltweit operieren, sehen wir den britischen Markt für uns in Zukunft als nicht gänzlich geschlossen an."
Hoffnung auf gegenseitige Unterstützung
Das MCO ist aber nicht die einzige europäische Organisation, die auf den Brexit mit der Zusicherung einer weiter bestehenden Partnerschaft antwortet. Paul James vom EUBO sagt eine Menge "mitfühlender Schulterschlüsse" für die auf den Brexit folgenden Monate vorher. Auch erwarte er für sein gefährdetes Orchester Unterstützung von verschiedener Seite - auch seitens der möglichen neuen Orchesterheimat, dem AMUZ International Music Center in Antwerpen. Im Gegensatz zu Themen wie dem Handel oder Einreisebestimmungen, in deren Zusammenhang oftmals harte Verhandlungen gefordert werden, um an Großbritannien ein Exempel zu statuieren, stand es in Unterhaltungen zwischen britischen und europäischen Professionellen der Branche nie zur Debatte, sich so zu verhalten.
Ian Smith, der sich durch seine britische Nationalität und als Vorsitzender des Europäischen Musikrats (European Music Council, EMC) genau in der Mitte der sich trennenden Einheiten befindet, sagte der DW, dass er keine heftige Gegenreaktion von europäischen Musikorganisationen erwarte, wenn britische Musiker weiterhin die Freizügigkeit innerhalb der EU genießen. Bei einer Konferenz im Anschluss an das Brexit-Votum, kamen Smiths Kollegen der Europäischen Kommission auf ihn zu, um ihm, als Europäer, ihre Solidarität zuzusichern.
Nicht nur negative Auswirkungen
Wenn der Brexit irgendetwas Gutes für Musiker hat, dann dass ihr Glaube an die Kraft der Musik, an ihr Vermögen, Menschen über die Grenzen hinweg miteinander zu verbinden, gestärkt wurde. "Wenn wir die Sprache der Musik nicht nur zum Kommunizieren, sondern auch zum Heilen verwenden, werden wir, so denke ich, sogar ein bisschen etwas Gutes für die nächsten Generationen tun", so Smith.
Michael Adick vom MCO sieht den Brexit als "ein Signal, dass wir noch mehr für das, was wir als unsere Werte ansehen, kämpfen müssen: Freiheit, Demokratie, Offenheit. Es ist jetzt noch wichtiger, klar zu sagen, wofür wir stehen." Und im Angesicht des Umzugs des European Baroque Orchestra's von Oxfordshire ins belgische Antwerpen, glaubt Paul James immer noch: "Musik ist eine Universalsprache. Das stimmt tatsächlich."