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Rabbiner Nachama mahnt zu Unaufgeregtheit

24. April 2018

Treiben die Kippa-Schläger von Berlin einen Keil zwischen die Religionen? Diese Frage treibt auch die Initiatoren des Berliner Drei-Religionen-Hauses "House of One" um, wie den Rabbiner Andreas Nachama.

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Projekt House of one - Präsidium der Stiftung
Das Präsidium der Stiftung House of One: Pfarrer Gregor Hohberg, Rabbiner Prof. Dr. Andreas Nachama und Imam Kadir Sanci (v.l.)Bild: Klemens Renner

Andreas Nachama, geboren 1951 in Berlin, ist Historiker, Publizist und Rabbiner. Seit 1995 ist er geschäftsführender Direktor der Berliner Stiftung Topographie des Terrors, seit 2015 sitzt er auch im Präsidium der Stiftung "House of One", eines geplanten gemeinsamen Lehr- und Bethauses von Christen, Muslimen und Juden in Berlin. Von 1997 bis 2001 war Nachama Vorstandsvorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin.

Deutsche Welle: Herr Nachama, ein Jugendlicher, der einen Mann auf offener Straße mit dem Ledergürtel angreift und beschimpft – läuft das Ihrer Idee zuwider von einem "Haus der drei Religionen"?

Andreas Nachama: Das "House of One" müsste nicht entstehen, wenn es nicht zwischen den drei abrahamitischen Religionen - aus Gründen, die sich im 20. Jahrhundert herausgebildet haben - Spannungen und Differenzen gäbe. Die gibt es. Die haben teilweise politische Ursprünge, teilweise andere Gründe. Also haben wir uns zusammengesetzt und gesagt, wir knüpfen mal an Religionsgespräche und anderes an, das es im Mittelalter gegeben hat. Wir wissen natürlich auch, dass das, was es im Mittelalter gegeben hat, ein Gespräch unter Wenigen gewesen ist, unter Experten und Spezialisten.

Andreas Nachama
Rabbiner Andreas NachamaBild: picture-alliance/ dpa

Und so ist auch das "House of One" als Bet- und Lehrhaus zu verstehen: Da setzen sich welche zusammen, streiten über Religion - im besten Sinne des Wortes - und versuchen damit, all die Differenzen und Schwierigkeiten, die es gibt, in eine andere Sphäre, nämlich eine liebevolle und sachliche Auseinandersetzung zu bringen.

Hat der Antisemitismus Ihrer Einschätzung nach in Deutschland zugenommen? Oder sehen Sie insgesamt eine schwindende religiöse Toleranz hierzulande?

In der Zeit, in der ich Vorsitzender der jüdischen Gemeinde in Berlin war, Ende der 1990er Jahre, da gab es 1998 auch einen Überfall auf einen Rabbiner am U-Bahnhof Wittenbergplatz, gegenüber vom Kaufhaus des Westens, KaDeWe, also mitten in der Stadt! Und das hatte auch damit zu tun, dass er unter seiner Mütze eine Kippa getragen hat. Es macht die Sache nicht besser, dass es schon vor 20 Jahren solche Übergriffe gegeben hat. Ich will damit sagen: Wir leben in einem Land, in dem Antisemitismus zum größten Völkermord in der Geschichte geführt hat. Und wir befinden uns erst wenige Jahrzehnte danach!

Man muss sich damit abfinden: Ja. Eine große Mehrheit der Bevölkerung hat sich mit der Geschichte beschäftigt und vom Nationalsozialismus abgewandt. Aber es gibt solche Personen, sowohl mit deutscher Geburtsgenese als auch von Personen, die wie auch immer - und schon damals - zugewandert sind und einen gewissen Migrationshintergrund haben. Damit muss man leben und sich auseinandersetzen. Der Befund macht die Sache nicht besser, aber ich rate zu Unaufgeregtheit.

Wie wichtig ist religiöse Toleranz für ein weltoffenes Deutschland?

Antisemitismus in Deutschland
Adam (li) wurde in Berlin auf offener Straße angegriffen, weil er eine Kippa getragen hatBild: DW/D. Bellut

Religiöse Toleranz ist für jedes Land in Europa und in der Welt eine ganz wichtige Voraussetzung. Da, wo sie nicht herrscht, da möchte ich nicht leben. Das sage ich ganz deutlich. Aber jetzt aus einzelnen Vorfällen zu konstruieren, dass ein ganzes Land nicht religiös tolerant wäre, hieße doch die Dinge auf den Kopf zu stellen.

Zwischen 1933 und 1945, da hatten wir eine Mehrheit, die religiös intolerant war, die rassistisch gesonnen war, und die durch Schweigen, mitmachen oder auch durch aktives Tun diesen Völkermord  - nebenbei bemerkt: nicht nur an den Juden, sondern auch an Sinti, Roma und anderen – zu verantworten hat.

Heute leben wir in einer Gesellschaft, da gibt es noch immer einzelne Übergriffe und Überfälle. Die sind vollkommen inakzeptabel. Da müssen wir gar nicht drüber reden. Aber daraus jetzt ein Charakteristikum Deutschlands abzuleiten, das halte ich für übertrieben. Und am Ende tut man denen einen Gefallen, die sich so daneben benehmen.

Es heißt gelegentlich, die - überwiegend muslimischen - Flüchtlinge importierten Juden- und Israelhass. Was halten Sie dem entgegen? Oder entspricht das auch Ihrer Wahrnehmung?

Vor solchen Verallgemeinerungen möchte ich warnen. Das ist genau das, was man mit den Juden über Jahrzehnte hinweg gemacht hat: Da hat sich einer daneben benommen und dann wird gesagt: Die benehmen sich daneben. Hier hat sich jetzt einer vollkommen inakzeptabel verhalten. Deshalb aber von einem auf alle zu schließen, ist nicht meine Art.

Gelingt es den Angreifern von Berlin, einen Keil zwischen die Religionen zu treiben? Wäre das die schlimmste Folge des Übergriffs auf einen Kippaträger?

Ich glaube, die Religionen, also diejenigen, die im Judentum, im Christentum, im Islam hier in Deutschland Verantwortung tragen, indem sie Vertreter von Organisationen sind, wissen voneinander und übereinander. Die haben auch ein einigermaßen vertrauensvolles Verhältnis zueinander. Dass es einzelne Personen gibt, die sich nicht so verhalten, das berechtigt uns nicht, die Dinge so grundsätzlich zu verzerren, dass man denen eine so große Macht zubilligt. Ich würde sagen: Nein, wir, die wir mit den Religionsgemeinschaften miteinander im Gespräch sind, wir wissen, was wir voneinander zu halten haben. Und wir vertrauen einander auch.

Die Gläubigen von drei Glaubensrichtungen unter einem Dach zu versammeln, das klingt nach einer schönen, versöhnlichen, aber auch vernünftigen Idee. Wie genau soll das funktionieren?

Im "House of One" hat jeder seinen eigenen Gebetsraum. Es gibt einen alles verbindenden Raum, wo wir mit der Stadtgesellschaft über religiöse Fragen gemeinsam diskutieren werden. Aber jeder wird seine Gottesdienste in seiner Tradition abhalten.

Ist es auch Ziel Ihrer Arbeit im "House of One", dass sich so ein Übergriff wie der von Berlin nicht wiederholt?

Das wäre die schlussendliche Konsequenz. Wenn die Menschen sehen, dass wir respektvoll miteinander umgehen, dass sie das auch in ihren Lebensalltag in allen drei Religionen hineinziehen. Ein Vorbild leben ist das eine. Dass das Vorbild akzeptiert wird, wird einige Zeit dauern. Und natürlich erhoffen wir uns das.

Die Fragen stellte Stefan Dege.