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PolitikIsrael

Benjamin Netanjahu: Israels Langzeit-Premier vor Comeback

Rahel Klein | Carla Bleiker
2. November 2022

Nach der Knesset-Wahl dürfte Benjamin Netanjahu wieder einmal Ministerpräsident werden. Er gilt als starker Mann der israelischen Politik - und als einer, dem Kompromisse nicht liegen. Ein Porträt.

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Benjamin Netanjahu
Benjamin Netanjahu wird wohl als Sieger aus den Knesset Wahlen vom 1. November hervorgehenBild: Ronen Zvulun/REUTERS

Benjamin Netanjahu ist zurück: Bei Parlamentswahl in Israel hat sich sein rechts-religiöses Lager 65 der 120 Sitze in der Knesset gesichert, so das Ergebnis nach Auszählung von 97 Prozent der Stimmen. Die Likud-Partei des ehemaligen Premiers und derzeitigen Oppositionsführers geht mit 31 Sitzen als stärkste politische Kraft aus der Wahl vom 1. November hervor. Die Knesset hatte sich nach dem Ende des noch amtierenden Regierungsbündnisses aus acht Parteien im Sommer 2022 selbst aufgelöst und Neuwahlen angesetzt – die fünften innerhalb von dreieinhalb Jahren.

Das Ergebnis passt zu Netanjahu, der sich gern als Gewinner sieht. "Für die Schwachen gibt es keinen Platz. Die Schwachen zerfallen, werden abgeschlachtet und aus der Geschichte ausgelöscht, während die Starken, ob gut oder schlecht, überleben" - diesen Satz sagte er 2018 im Rahmen einer Veranstaltung in einem israelischen Nuklear-Forschungszentrum. Und Netanjahu will zu den Starken gehören.

"King Bibi" wird er von vielen genannt. Den Spitznamen "Bibi" hat er von einem älteren,  Cousin gleichen Namens "geerbt", wie es heißt. Die Betitelung als König, als starker Mann Israels, gefällt Netanjahu - und dieses Narrativ nährt er seit Jahrzehnten.

Auf dem internationalen Parkett suchte Netanjahu als Ministerpräsident die Nähe anderer Strongmen und Rechtspopulisten: Zu Jair Bolsonaro in Brasilien ebenso wie zu Viktor Orban in Ungarn oder dem ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump, der ihm mit der Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem und der Kündigung des Atomabkommens mit dem Iran große Wünsche erfüllte – und politische Erfolge bescherte.

Wahlplakat mit Netanjahu und Putin in Tel Aviv 2019
Handschlag mit Putin: Mit Wahlplakaten wie diesem in Tel Aviv warb Netanjahu vor der Wahl im September 2019 um Stimmen.Bild: Ilia Yefimovich/dpa/picture alliance

Auch zum russischen Präsidenten Wladimir Putin hatte Netanjahu ein gutes Verhältnis. 2019 waren Fotos der beiden gemeinsam auf vielen Wahlplakaten Netanjahus zu sehen. Im aktuellen Ukraine-Krieg beschränkte sich Israels derzeitige Regierung lange auf humanitäre Hilfe für die Ukraine. Nachdem bekannt wurde, dass Moskau Drohnen und Raketen aus dem Iran bekommen soll, ist die Debatte um Waffenlieferungen an die Ukraine in Israel zwar wieder entbrannt. Aber Putin ist eben nicht nur ein politischer Freund Netanjahus, sondern auch in weiten Teilen der israelischen Bevölkerung beliebt.

Von seinem Vater unterschätzt

In seiner Jugend gehörte Netanjahu noch nicht zu den Starken und den Gewinnern. "Benjamin Netanjahu war eine Notlösung. Er hat nie die Anerkennung seines Vaters bekommen", sagte Filmproduzent Dan Shadur 2019 in einem Interview.  Shadur hat sich jahrelang mit Netanjahu beschäftigt, 2019 erschien sein Dokumentarfilm "King Bibi".

Netanjahu ist der mittlere von drei Brüdern und sein Vater sah Jonathan, den ältesten, als den künftigen Führer Israels an – nicht Benjamin. Doch Jonathan starb 1976 bei einer Befreiungsoperation im ugandischen Entebbe. Er gilt heute in Israel als Kriegsheld.

Netanjahus Vater Benzion Netanjahu war Professor für jüdische Geschichte und radikaler Zionist, der sich für ein Großisrael einsetzte und in einem Interview die Meinung vertrat: "Die Neigung zum Streit liegt in der Natur der Araber. Er ist der geborene Feind. Seine Persönlichkeit erlaubt ihm keinen Kompromiss. Er befindet sich in einem Zustand des immerwährenden Krieges".

Israels Premierminister Benjamin Netanyahu hält eine Rede vor dem Hintergrund auf dem sein Bruder Yonatan Yoni gezeigt wird
Jonathan Netanjahu starb 1976 und wird von einigen als Kriegsheld verehrtBild: imago images/UPI Photo/A. Cohen

Als Israel in den 1960er und 1970er Jahren von linken Kräften regiert wurde, fühlte sich die Familie weder verstanden noch willkommen und zog in die USA. Benjamin Netanjahu wuchs im US-Bundesstaat Pennsylvania auf und begann nach dem Studium, als Unternehmensberater zu arbeiten.

Mitte der 1980er wurde Netanjahu Ständiger Vertreter Israels bei den Vereinten Nationen - als eloquenter, weltgewandter und belesener Mann, der mit Charisma, Humor und fast akzentfreiem Englisch zu beeindrucken wusste. 1988 kehrte er als ein neuer Typ Politiker nach Israel zurück.

Jüngster Ministerpräsident der Geschichte

Er zog für die rechtskonservative Likud-Partei ins israelische Parlament ein und wurde stellvertretender Außenminister. Als Ministerpräsident Izchak Rabin, Mit-Architekt der Osloer Friedensverträge, 1995 bei einer Kundgebung in Tel Aviv von einem rechtsnationalen jüdischen Fanatiker ermordet wurde, eskalierte die Gewalt zwischen Israelis und Palästinensern. Netanjahu warf dem nachgerückten Ministerpräsidenten Shimon Peres vor, die Gewalt nicht in den Griff zu bekommen und setzte sich bei den Wahlen durch. 1996 wurde Netanjahu zum ersten Mal Ministerpräsident - der jüngste in der Geschichte des Landes.

Zu diesem Zeitpunkt war er bereits zum dritten Mal verheiratet, mit Sara, die 2019 wegen Missbrauchs öffentlicher Gelder zu einer Geldstrafe verurteilt wurde. Auch gegen Benjamin Netanjahu selbst sind immer noch Korruptionsverfahren anhängig. Sollte er wieder Ministerpräsident werden, könnte das seine Chancen, einer Verurteilung oder sogar Haftstrafe zu entgehen, erheblich verbessern. Er selbst sieht die Ermittlungen gegen sich als "Hexenjagd" der Medien und linker Kräfte.

Sara Netanjahu
Netanjahus dritte Ehefrau SaraBild: Reuters/A. Cohen

Bei der Wahl 1999 konnte Netanjahu sein Ministerpräsidentenamt nicht verteidigen. Die Rechten warfen ihm zu viele Kompromisse bei den Osloer-Friedensverträgen vor und auch schon damals gab es Korruptionsvorwürfe gegen ihn. Ehud Barak von der Arbeiterpartei nahm seinen Platz an der Spitze des Landes ein. Zehn Jahre später kämpft sich Netanjahu zurück und feiert sein Comeback als Ministerpräsident.

Kurzer Schwenk nach links...

Seine Grundsatzrede 2009 an der Bar-Ilan Universität wurde als kleine Revolution angesehen: Zum ersten - und letzten - Mal stellt Netanjahu, der Hardliner, eine Zwei-Staaten-Lösung mit einem entmilitarisierten Palästinenserstaat in Aussicht. Doch statt sich in den kommenden Jahren wirklich dafür einzusetzen, rückte er weiter nach rechts.

Die massiven Auseinandersetzungen mit der im Gazastreifen herrschenden Hamas trugen in den folgenden Jahren seiner Amtszeit dazu bei. "Die haben das Bild in Israel ganz dramatisch verändert", sagte Peter Lintl, Israel-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik im DW-Interview 2019. "Aus dem Rückzug aus Gaza hat die israelische Öffentlichkeit die Lehre getroffen: Wenn wir uns zurückziehen, dann werden wir beschossen."

Für die Mehrheit der Israelis bedeute dies, dass Israel sich nicht aus dem Westjordanland zurückziehen könne. "Damit war insbesondere für die Rechten die ganze Idee einer Zwei-Staaten-Lösung vom Tisch", so Lintl damals.

... dann wieder nach rechts

Als Benjamin Netanjahu 2015 wiedergewählt wurde, bildet er eine Koalition aus ausschließlich rechten Parteien - die rechteste Regierung, die Israel je hatte. Zwar weigert sich Netanjahu, Annexionsbestrebungen ins Programm seiner Partei aufzunehmen, dennoch erklärte er vor den Wahlen, dass er im Falle seiner Wiederwahl das Jordantal annektieren wolle, in dem 60.000 Palästinenser leben.

Mit dem Kurswechsel wollte er sich die Stimmen aus dem rechten Wählerlager sichern - die er benötigte, um seine Partei zur stärksten Kraft zu machen und das Mandat zur Regierungsbildung zu bekommen. Parteien rechts vom Likud hätten Netanjahu in den vergangenen Jahren vor sich hergetrieben, sagte Lintl. "Die Furcht, Stimmen an rechte Parteien zu verlieren, hat Netanjahu dazu bewogen, rechte Positionen einzunehmen."

Wahlen im immer kürzeren Abstand

Bei der Knesset-Wahl 2019 wurde die Likud-Partei zwar stärkste Kraft und Präsident Reuven Rivlin beauftragt Netanjahu mit der Regierungsbildung. Mehrheitsbildungen sind in Israel aufgrund der zersplitterten Parteienlandschaft und der Vielzahl der Parteien in der Knesset allerdings schwierig. Und auch dem starken Mann Netanjahu gelang es nicht, genug Unterstützer für eine Regierung zusammenzubekommen.

Im September 2019 wurde also erneut gewählt. Wieder erlangte kein politisches Lager die erforderliche Mehrheit im Parlament, wieder wurde Netanjahu mit der Regierungsbildung beauftragt – und wieder scheiterte er. Bei den daraufhin anberaumten Wahlen im März 2020 hatte seine Schmach ein Ende: Die Likud-Partei verzeichnete ein Plus und Netanjahu wurde wieder israelischer Ministerpräsident.

Doch das Wahlkarussell drehte sich weiter. Weil die Regierungskoalition sich Ende 2020 nicht auf einen Haushalt einigen konnte, mussten die Israelis im März 2021 erneut an die Wahlurnen. Die Likud-Partei wurde zwar wieder stärkste Kraft, doch Netanjahu scheiterte ein weiteres Mal an der Regierungsbildung. Stattdessen bilden Jair Lapid und Naftali Bennett die aktuell amtierende liberale Regierung.

Die fünf Wahlen in dreieinhalb Jahren haben deutlich gemacht, wie schwierig es ist, aus den vielen unterschiedlichen Richtungen in der Knesset eine Koalition zu schmieden. Ob Netanjahus Wahlerfolg dieses Mal ausreicht, um ihn erneut zum Ministerpräsidenten zu machen, steht also noch in den Sternen.

Das Porträt wurde am 22.11.2019 erstmals veröffentlicht und am 02.11.2022 mit Information zu den politischen Entwicklungen in Israel und der Knesset Wahl vom 01.11.2022 aktualisiert.

Carla Bleiker
Carla Bleiker Redakteurin, Channel Managerin und Reporterin mit Blick auf Wissenschaft und US-Politik.@cbleiker