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PolitikUngarn

Schweden in der NATO - Ungarn in der Isolation

27. Februar 2024

Ungarns Parlament hat den schwedischen NATO-Beitritt nach mehr als anderthalb Jahren ratifiziert. Das Zögern zeigt, wie sehr Viktor Orban sein Land außenpolitisch isoliert hat.

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Viktor Orban steht am Tag der Abstimmung über den NATO-Beitritt Schwedens an seinem Platz im ungarischen Parlament und spricht zu den Abgeordneten
Endlich hat Viktor Orban seinen Widerstand gegen den NATO-Beitritt Schwedens aufgegeben - das Parlament hat am 26.02.2024 zugestimmtBild: Marton Monus/dpa/picture alliance

Mehr als anderthalb Jahre hat es gedauert, das Hin und Her um Schwedens NATO-Mitgliedschaft. Ungarn war das letzte Land, dessen Zustimmung es noch bedurfte. Am Montagnachmittag war es dann endlich soweit: Die Abgeordneten der ungarischen Nationalversammlung stimmten mit großer Mehrheit für den Beitritt Schwedens zum nordatlantischen Verteidigungsbündnis. Anders als in der gesamten Zeit zuvor lobte Ungarns Premier Viktor Orban das skandinavische Land nun: Schweden sei ein wichtiger Partner, sein Beitritt zum Bündnis werde Ungarns Sicherheit stärken.

Was Orban mit wohlklingenden diplomatischen Floskeln zu übertünchen versuchte, war die bisher peinlichste außenpolitische Episode, die er in seiner Amtszeit seit 2010 produziert hat: Ungarn stand bei der Aufnahme Schwedens in die NATO zuletzt als alleiniger Störenfried da - ohne dass wirklich klar war, was sich Orban von seiner Blockadehaltung erhoffte. Vieles spricht dafür, dass Ungarns Premier sich schlicht verkalkuliert und verrannt hat.

Bildschirm mit dem Abstimmungsergebnis im ungarischen Parlament über die Aufnahme Schwedens in die NATO. Die Tafel zeigt die Ja-Stimmern (188), die Nein-Stimmen (6) und die Enthaltungen (0)
Mit großer Mehrheit (188 Ja-Stimmen, 6 Nein-Stimmen und 0 Enthaltungen) hat das ungarische Parlament dem Beitritt Schwedens zur NATO am 26.02.2024 zugestimmtBild: Marton Monus/dpa/picture alliance

Orban hatte sich nach den Anträgen Finnlands und Schwedens auf eine NATO-Mitgliedschaft im Frühjahr 2022 an die Seite der Türkei gestellt. Ein wesentlicher Grund dürfte gewesen sein, dass er und der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan seit langem ein enges Verhältnis pflegen. Möglicherweise wollte Orban gegenüber Erdogan mit dieser Geste seine Loyalität zeigen - ob und was Ungarn dafür erhielt, ist bis heute nicht ersichtlich.

Unklare Forderungen

So wie Erdogan hatte auch der ungarische Premier Orban die Aufnahme Finnlands und Schwedens an Bedingungen geknüpft. Anders als im Fall der Türkei waren diese jedoch völlig vage - der ungarische Premier und Mitglieder seiner Partei Fidesz hatten Finnland und Schweden immer wieder vorgeworfen, sich respektlos gegenüber Ungarn zu verhalten und ungerechte Anschuldigungen zu erheben, etwa die, dass es Demokratiedefizite oder systematische Korruption im Land gebe. Bevor Ungarn seine Zustimmung zum NATO-Beitritt der beiden Länder gebe, müssten erst die gegenseitigen Beziehungen verbessert werden, hieß es in Budapest immer wieder. Wie genau das hätte vonstatten gehen sollen, blieb unklar.

Und ebenso unklar blieb letztlich auch, warum das Budapester Parlament im März 2023 dem Beitritt Finnlands zustimmte, nicht aber dem Schwedens - öffentlich jedenfalls hatte Finnland keine der geforderten Entschuldigungen ausgesprochen oder in irgendeiner Weise einen Kotau vor Orban gemacht.

Großartiger Deal oder Routineabkommen?

Auch Schweden hatte das nicht getan. Letztlich könnte Orban vom plötzlichen türkischen Entschluss im Spätherbst vergangenen Jahres, der NATO-Mitgliedschaft Schwedens zuzustimmen, überrascht worden sein. Wohl um das Gesicht zu wahren, zauberte er daher in den vergangenen Tagen einen Rüstungsdeal gewissermaßen aus dem Hut - Ungarn erhält vier Gripen-Kampfflugzeuge von Schweden. Orban pries den Deal zwar als für Ungarn vorteilhaftes und erfolgreiches Verhandlungsergebnis an. Tatsächlich ist er aber nur die routinierte Fortsetzung einer lange bestehenden Kooperation: Ungarn nutzt Gripen-Jets schon seit fast zwei Jahrzehnten, die Kooperation mit Schweden ist dabei sehr eng.

Der schwedische Regierungschef Ulf Kristersson schüttelt die Hand von Ungarns Premier Viktor Orban bei seinem Besuch in Budapest am 23.02.2024, wenige Tage vor der Zustimmung des ungarischen Parlaments zum Beitritt seines Landes in die NATO
Der schwedische Regierungschef Ulf Kristersson wirbt am Freitag, den 23.02.2024, um Zustimmung zum Beitritt seines Landes in die NATOBild: Denes Erdos/AP Photo/picture alliance

Orban hatte zuletzt auch versucht, die Verantwortung für seine misslungene Außenpolitik abzuwälzen: Am vergangenen Freitag (23.02.2024) hatte er in seiner wöchentlichen Interview-Ansprache im staatlichen Kossuth-Radio gesagt, er habe es nun endlich geschafft, die Widerstände in seiner Partei gegen eine NATO-Mitgliedschaft Schwedens zu beseitigen. Eine bemerkenswerte Darstellung wenn man bedenkt, dass der Autokrat Orban selbst in kleinsten Dingen entscheidet und seine Parteifreunde gemeinhin servil auf seine Vorgaben warten.

Vertrauenskrise zwischen Ungarn und EU

Die Schweden-NATO-Episode zeigt, dass Orban längst nicht der brillante staatsmännische Stratege ist, für den er sich hält und als der ihn viele seiner Anhänger sehen. Vielmehr, so der Budapester Politologe Peter Kreko vom Institut Political Capital, schade Orban den ungarischen Interessen.

"Ungarn ist in der EU und der NATO zunehmend isoliert, etwa wegen der verzögerten Ratifizierung von Schwedens NATO-Beitritt und der Blockade von EU-Beschlüssen. Das führt zu einer dauerhaften Vertrauenskrise zwischen Ungarn und seinen Partnern", sagte Kreko der DW.

Am sichtbarsten ist Ungarns Isolation in der Ukraine-Politik. Orban pflegt als einziger EU-Regierungschef weiterhin ein freundschaftliches Verhältnis zum russischen Präsidenten Wladimir Putin und spricht sich als einziges EU-Mitglied gegen eine militärische und auch gegen eine finanzielle Unterstützung der Ukraine aus dem EU-Haushalt aus.

Alle Verbündeten verloren

Gegen die USA unter Präsident Joe Biden polemisiert Orban in einer Weise, wie man sie ansonsten eher von europäischen Rechtsextremen hört. Ungarns Premier sagt offen, dass eine zu starke Präsenz der USA in Europa für den Kontinent schädlich sei. Als einziger EU-Regierungschef ist er auch offen gegen eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine; er begründet das unter anderem damit, dass sie ein Einfallstor für amerikanische Interessenpolitik in Europa sei. Inzwischen ist das Verhältnis zwischen Ungarn und den USA schlechter als in den letzten Jahren der realsozialistischen Diktatur.

Der ungarische Premier Viktor Orban (lins im Bild) und der slowakische Regierungschef Robert Fico (rechts) sprechen beim Europäischen Gipfel in Brüssel im Oktober 2023 miteinander
Der slowakische Regierungschef Robert Fico ist ein Verbündeter - doch in der Europäischen Union setzt er nicht - wie Orban - auf KonfrontationBild: Ludovic Marin/AFP/Getty Images

Seine einstigen Verbündeten in den EU-Ländern Mittel- und Südosteuropas - von der polnischen PiS-Partei bis zum bulgarischen Ex-Premier Bojko Borissow - hat Orban ausnahmslos verloren. Neu hinzugekommen ist lediglich ein alter Bundesgenosse - der alt-neue slowakische Premier Robert Fico. Allerdings bisher lediglich auf verbaler Ebene: Fico fällt zwar ständig mit krassen pro-russischen und anti-ukrainischen Aussagen auf, doch in der Praxis stellt er sich bisher nicht gegen die EU-Politik.

Nur eine Nebenrolle

Auch in Westeuropa halten potentielle Verbündete wie die französische Rassemblement-National-Chefin Marine Le Pen oder Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni Distanz zu Orban. Beide wollen von einem formalen Bündnis mit Orban und seiner Partei Fidesz bisher nichts wissen. Meloni positioniert sich explizit pro-ukrainisch und hat Anfang Februar 2024 beim EU-Sondergipfel wohl auch auf Orban eingewirkt, sein Veto gegen das 50-Milliarden-Euro-Hilfspaket für die Ukraine aufzugeben.

Der schwedische Kampfjet Saab JAS 39 Gripen im Flug
Der schwedische Kampfjet Gripen wird von der ungarischen Luftwaffe schon lange genutztBild: IMAGO/TT

Gewonnen hat Orban mit seiner Außenpolitik in den vergangenen Jahren nicht allzu viel. Der von ihm erhoffte Aufstand der europäischen Souveränisten gegen die "Brüsseler Bürokratie" ist bisher ausgeblieben. Investitionen aus den Ländern, die Ungarn mit seiner "Öffnung nach Osten" im Blick hat, also Russland, die zentralasiatischen Staaten, Indien und China, sind nicht in dem Maße geflossen wie erhofft oder haben in Ungarn, wie im Falle chinesischer Investitionen, nicht allzu viele Arbeitsplätze geschaffen. Umgekehrt wird Ungarn inzwischen politisch kaum noch ernstgenommen, es gilt lediglich als Störfaktor.

Einfluss auf die europäische Politik habe Ungarn so gut wie keinen mehr, sagt der Politologe Peter Kreko. "Es ist wichtig zu sehen, dass der ungarische Obstruktionismus die euro-atlantischen Antworten auf wesentliche politische Fragen nicht beeinflusst, sondern allenfalls etwa verzögern oder ein wenig aufweichen kann. Ungarn ist bei wichtigen Entscheidungen kein Hauptakteur, sondern hat nur eine Nebenrolle."

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Keno Verseck Redakteur, Autor, Reporter