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PolitikSerbien

Amokläufe: Serbien vor der "Entwaffnung"?

Sanja Kljajic Novi Sad
5. Mai 2023

Die Bürger Serbiens liegen bei der Bewaffnung weltweit auf Platz drei. Staatliche Stellen behaupten, entsprechende Schätzungen seien willkürlich. Präsident Vucic kündigt eine umfassende Abrüstung an.

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Eine Gruppe Polizisten laufen neben Notarztwagen
Polizeieinsatz nach dem Amoklauf in BelgradBild: Darko Vojinovic/AP/picture-alliance

 

Nach zwei Amokläufen innerhalb von zwei Tagen kommt Bewegung in die Diskussion über Waffenbesitz in Serbien. Mit gutem Grund: Nach Schätzungen des Schweizer ForschungsprojektsSmall Arms Survey aus dem Jahr 2018 liegt das Westbalkanland bei der Bewaffnung der Zivilbevölkerung weltweit an dritter Stelle - nach Jemen und den USA. Demnach kommen 39,1 leichte Waffen auf hundert Einwohner.

"Nach anderen Schätzungen befinden sich mindestens ebenso viele Waffen in illegalem Besitz", erklärt Predrag Petrovic, Forschungsdirektor des Belgrader Zentrums für Sicherheitspolitik (BCBP) der DW. "Nach den offiziellen Daten der serbischen Polizei aus dem Jahr 2021 gab es in Serbien damals 920.000 Waffen - in der Zwischenzeit wurden 50.000 bis 60.000 Stück zurückgegeben."

Hochlebendige "Waffenkultur"

Unabhängig von allen Schätzungen: Die Vorstellung, dass sich in jedem Haus Waffen befinden müssen, ist in Serbien weit verbreitet. Den Grund für diese "Waffenkultur" sieht Sicherheitsexperte Petrovic vor allem in den Kriegen, die seit 1991 auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens stattfanden.

"Ein Teil der Waffen aus den 1990ern wurde nie abgegeben, weil sich die Bürger der post-jugoslawischen Staaten bis heute nicht sicher fühlen. Hinzu kommt, dass Waffen auf dem Westbalkan traditionell Macht- und Statussymbol zugleich sind: Sie stehen dafür, dass man in der Lage ist, sich und seine Familie zu schützen", so Petrovic weiter.

Schusswaffen auf einem Haufen
2021 gab es nach offiziellen Daten der Polizei 920.000 Waffen im Besitz der serbischen BevölkerungBild: Getty Images/AFP/C. Bouroncle

Entsprechende Untersuchungen des BCBP zeigen zudem, dass sich die Bürger bei sich zuhause durchaus am sichersten fühlen - aber noch ziemlich unsicher in den Staaten, in denen sie leben. "Sicherheit verbinden die Leute hier nicht damit, dass staatliche Institutionen wie die Polizei ihre Arbeit gut machen, sondern weil sie gute Nachbarn haben und in der Lage sind, sich selbst zu schützen."

Präsident kündigt Kontrollen und Restriktionen an

Nun kündigt der serbische Staat an, die Zahl der Waffen im Land drastisch zu reduzieren. "Alle Menschen, die Waffen besitzen - das sind etwa 400.000 Menschen, und ich spreche nicht von Jagdwaffen - werden einer Durchsuchung unterzogen. Dabei werden nicht mehr als 30.000-40.000 Waffen übrigbleiben. Wir werden eine fast vollständige Entwaffnung Serbiens durchführen. Die Strafen für illegalen Waffenbesitz werden so hoch sein – wir werden diese fast verdoppeln", erklärte Präsident Aleksandar Vucic nach den jüngsten Bluttaten.

Aleksandar Vucic
Serbiens Präsident Aleksandar Vucic nach der Bluttat an der Schule in Belgrad (3.05.2023)Bild: Darko Vojinovic/AP/picture alliance

 

Darüber hinaus kündigte die serbische Regierung eine Kontrolle aller Waffenbesitzer im Land in den nächsten sechs Monaten an. Überprüft werden soll, ob sie ihre Waffen sicher aufbewahren und ob ein Zugang Minderjähriger und anderer unbefugter Personen zu Waffen und Munition angemessen verhindert wird.

Zudem sollen die Verfahren zur Erteilung neuer Genehmigungen verschärft werden. Das Innenministerium in Belgrad wird ein zweijähriges Moratorium für die Ausstellung von Waffenscheinen erlassen. "Wir wissen, dass das nicht ohne Probleme ablaufen wird - aber je weniger Flinten es gibt, desto weniger Gefahr besteht für unsere Kinder und Bürger", so Vucic auf einer Pressekonferenz nach dem neuesten Amoklauf.

Ausweg Waffenverbot?

Eine Verschärfung der Kontrollen sei angesichts der Situation angebracht - aber Waffenverbote machten keinen Sinn, meint Dejan Milutinovic vom Berufsverband der Sicherheitsbranche Serbiens (SUSB). "Wir haben schon zu strenge Regeln. Beim kleinsten Streit in der Nachbarschaft werden Waffen dauerhaft beschlagnahmt. Aber die Möglichkeit im Voraus zu erkennen, ob jemand seine Waffe einsetzen wird, gibt es nun mal nicht", so Milutinovic gegenüber der DW.Sicherheitsexperte Petrovic erinnert daran, dass die Regeln für privaten Waffenbesitz bereits 2015 per Gesetz verschärft worden waren. Damals war eine verpflichtende Neuregistrierung vorhandener Waffen eingeführt worden, wonach jeder Bürger sowohl Tests bestehen als auch einen Grund angeben muss, warum er seine Waffen behalten will. Doch die Strenge auf dem Papier spiegelt sich nicht in der Praxis wider, die Frist zur Registrierung wurde mehrfach verschoben - zuletzt 2022 um weitere zwei Jahre.

Rosen und kleine Stofftiere an einem Zaun
Trauer nach dem Amoklauf an der Schule in Belgrad, bei dem acht Schüler und ein Wachmann getötet wurdenBild: Antonio Bronic/REUTERS

"Die Verantwortung tragen also nicht die Bürger Serbiens, sondern die staatlichen Institutionen. Deren Praxis ist zudem ziemlich uneinheitlich: Manche Waffen wurden beschlagnahmt, weil die Polizei der Meinung war, ihre Besitzer hätten keinen Grund, sie zu behalten. In anderen Fällen bekamen Waffenbesitzer neue Waffenscheine, obwohl sie keine Gründe für den Besitz angegeben hatten", so Petrovic weiter.

Illegale Waffen bleiben außer Reichweite der Behörden

Die registrierten Waffen in Serbien sind ein Teil des Problems, aber zudem gibt es immer noch eine große Menge nicht-registrierter, illegaler Waffen, die aus den Kriegen der 1990er Jahre stammen. "Damals wurden massenhaft Waffen an die Bevölkerung verteilt, deren Verbleib niemand zurückverfolgen kann", erklärt Predrag Petrovic. Die einzige große Entwaffnungsaktion habe nach der Ermordung des Premierministers Zoran Djindjic vor zwanzig Jahren stattgefunden. Damals seien rund 50.000 Waffen konfisziert oder zurückgegeben worden.

Zoran Djindjic
Der serbische Reformpolitiker und Ministerpräsident Zoran Djindjic wurde am 12.03.2003 ermordetBild: picture-alliance/dpa

"Jetzt braucht es eine wirklich ernsthafte Kampagne, um die Bürger davon zu überzeugen, dass sie den Institutionen des serbischen Staates vertrauen können, dass ihre Sicherheit garantiert wird - und dass die Bürger Serbiens daher keine Waffen mehr brauchen", so Petrovic weiter.

Dejan Milutinovic vom Berufsverband der Sicherheitsbranche hingegen meint, dass sich die meisten illegalen Waffen im Besitz krimineller Kreise befänden. Waffen wie das automatische Gewehr, das bei dem Amoklauf am 4.5.2023 in der Nähe der Kleinstadt Mladenovac benutzt wurde, könnten legal gar nicht beschafft werden.

"Automatische Waffen gibt es nur in Militär- und Polizeikasernen. Von dort verschwinden sie entweder durch fahrlässiges Handeln der Soldaten und Polizisten - oder durch illegalen Waffenhandel", so Milutinovic.

Bürgerinnen und Bürgern Serbiens, die illegale Waffen besitzen, wurde nun eine Frist von einem Monat gesetzt, in der sie diese ohne Konsequenzen abgeben können. Wer das nicht tut, dem drohte Präsident Vucic: "Wir werden ihn finden - und die Folgen werden furchtbar sein."

Adaption aus dem Serbischen: Rüdiger Rossig