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"Eco-Swaraj" - Indiens lokale Öko-Aktivisten

Mary-Rose Abraham
20. August 2020

Swaraj ist eine alte Philosophie der Selbstbestimmung, die schon Gandhis Unabhängigkeitskampf inspirierte. Nun nutzen sie Umweltaktivisten in Indien, um für einen grüneren Planeten zu kämpfen.

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Eine Bäuerin in Indien erntet Grünpflanzen auf einem Feld
Bild: Deccan Development Society

Im November 1909 reiste Mahatma Gandhi auf dem Schiff "SS Kildonen Castle" von London nach Südafrika und verfasste auf der Überfahrt in nur zehn Tagen sein Werk "Hind Swaraj." Als das Buch im darauffolgenden Jahr in Indien veröffentlicht wurde, wurde es von der englischen Kolonialregierung verboten.   

"Swaraj bedeutet, selbstbestimmt zu handeln", schrieb Gandhi, um der indischen Bevölkerung zu zeigen, wie man sich gegen die Kolonialmächte behaupten und eine gerechtere Gesellschaft schaffen kann. Gandhi kritisierte in diesem Werk moderne Zivilisationen und nutzte die Philosophie im Kampf für die indische Unabhängigkeit. 

Frühe Demokratien in Indien

Doch Swaraj geht noch sehr viel weiter zurück: In Indien entstanden schon im 6. Jahrhundert vor Christus erste Demokratien. Für Gandhis Buch gibt es bislang nur eine englische und eine französische Übersetzung.

Mahatma Gandhi sitzend mit zwei Männern
"Eco-Swaraj" hat seine Ursprünge in der Swaraj-Philosophie, über die Gandhi in seinem Werk “Hind Swaraj” schriebBild: Imago/UIG

Indien wurde 1947 unabhängig, doch die Grundsätze aus Gandhis Werk sind nie ganz verwirklicht worden. In der indischen Zivilgesellschaft sind sie aber weiterhin von Bedeutung, besonders bei basisorganisierten Umweltbewegungen, sagt der bekannte indische Umweltaktivist Ashish Kothari.

"[Swaraj] wird etwas vage als Selbstregierung definiert. Aber eigentlich gibt es eine viel tiefere Bedeutung", erklärt Kothari. "Es bedeutet Autonomie, Selbstständigkeit und Unabhängigkeit - als Individuum und als Gemeinschaft. Aber Swaraj unterscheidet sich stark vom amerikanischen Individualismus, dass jeder tun kann, was er will."

"Eco-Swaraj": radikale Demokratie  

Es handelt sich um eine Art kollektives Streben nach Autonomie, das anerkennt, dass man Teil einer Gemeinschaft ist, auf andere Menschen und die Natur angewiesen, sagt Kothari.  

"Man muss respektvoll mit der Natur umgehen und verstehen, dass andere Arten und unsere Erde ein eigenes Recht auf Leben haben. Sie sind nicht nur da, um dem Menschen zu dienen."

"Eco-Swaraj" ist keine eigene Bewegung. Kothari nutzt das Wort aber, um Strukturen zu beschreiben, die er bei Hunderten Initiativen in Indien beobachtet hat, die gegen zerstörerische Projekte vorgehen - zum Beispiel Staudämme oder Bergbauprojekte -, aber auch nachhaltige Alternativen entwickeln. Die Bürger sind auf jeden Fall die treibende Kraft hinter diesen "Bottom-Up"-Ansätzen. 

"Eines der Grundprinzipien der "Eco-Swaraj"-Philosophie ist die radikale Demokratie. Das bedeutet: Die Macht des kleinen Mannes", sagt Kothari. "Es geht nicht darum, dass eine Regierung einfach Gesetze erlässt. Jede einzelne Person - egal in welchem indischen Dorf - soll im Mittelpunkt von Entscheidungsprozessen stehen."

Ernährungssicherheit in Telangana  

In dem zentralindischen Bundesstaat Telangana haben sich Tausende von Frauen dieses Prinzip zu eigen gemacht. Sie sind von Nahrungssuchenden zu Nahrungslieferantinnen geworden.  

Bevor die Nichtregierungsorganisation Deccan Development Society (DDS) im Jahr 1983 gegründet wurde, hatten viele Familien im Distrikt Sangareddy nicht genug zu essen. Männer und Frauen arbeiteten als schlecht bezahlte Landarbeiter auf fremden Feldern. Ihre eigenen Äcker lagen derweil brach.

DDS ermutigte die Frauen sogenannte Sanghams zu gründen - Selbsthilfegruppen, die über das Thema Ernährungssicherheit diskutieren und Lösungen finden sollten. Sie holten sich Saatgut aus Nachbardörfern und nutzten wieder alte Sorten, die bereits dem Boden und dem trockenen Klima angepasst waren.

Mitglieder einer lokalen Initiative bei einer Versammlung
"Graswurzel-Initiativen" sind besser an lokale Gegebenheiten und Traditionen angepasstBild: Homes in the City
Frauen mit Mundschutz beim Kochen
Mitglieder der Sangham-Gruppen spendeten 30.000 Kilogramm Getreide - daraus wurde während des Corona-Lockdowns Hirsebrei für Krisenhelfer gekochtBild: Deccan Development Society

3000 Frauen, die einer der Sangham-Gruppen angehören, sind inzwischen Biobäuerinnen, die über 35 verschiedene Getreide- und Gemüsesorten anbauen sowie Hirse, Hülsenfrüchte, Ölsaaten und Wildpflanzen. Zudem verfügen sie über eine Samenbank mit 80 verschiedenen Sorten. Während des Corona-Lockdowns spendete jedes Mitglied 10 Kilogramm Hirse. Daraus entstand Brei für Hunderte von Mitarbeitern aus dem Gesundheitsbereich. 

"Bevor sie sich der Sangham-Gruppe anschlossen, waren sie auf sich allein gestellt", sagt Jayasri Cherukuri, stellvertretender Geschäftsführer von DDS. "Jetzt, wo sie gemeinsam arbeiten, haben sie mehr Mut, anstehende Probleme anzusprechen."   

Cherukuri sagt, dass Frauen, die früher Angst davor hatten, sich mit den Landbesitzern, für die sie arbeiteten, auseinanderzusetzen, nun Sitze in den lokalen Regierungsgremien fordern. Es sind aber nicht nur ländliche Gemeinden, die sich gegen Umweltentscheidungen wehren. 

Die Wiederentdeckung traditioneller Techniken 

Frauen und Männer befüllen an einer Brunnenstation ihre Gefäße mit Wasser
Bewohner des Slums Shivram Mandap betreiben gemeinsam ein System, das Wasser von einem Brunnen zu einem Tank leitet und die gesamte informelle Siedlung versorgt

In der Stadt Bhui im westlichen Bundesstaat Gujarat entwickeln Bürgerinitiativen ihre eigenen Pläne für den Umgang mit Müll und Trinkwasser, die sie staatlichen Stellen zur Finanzierung vorlegen. Durch Brunnenbohrungen wurde das Grundwasser in Bhui nahezu aufgebraucht. Die Stadt leidet regelmäßig unter Wasserknappheit oder Überschwemmungen. Die Projekte der Anwohner sind hingegen nachhaltig. Sie haben das traditionelle System der Stadt wieder eingeführt und füllen Brunnen mit Grundwasser auf. Die Bewohner säubern Seen, sammeln Regenwasser an Schulen und Universitäten. 

Die Bürgerinitiativen werden von der Nichtregierungsorganisation Homes in the City koordiniert. Die NGO arbeitet seit zehn Jahren mit Slumbewohnern in Bhui zusammen. "Vorher waren die Bürger auf einige wenige Amtsträger angewiesen, die Entscheidungen für sie trafen", sagt Aseem Mishra, Programmdirektorin bei Homes in the City. "Jetzt versuchen wir, die Mentalität der Bürger zu verändern. Sie sollen wissen, dass sie ein Mitspracherecht bei der Stadtentwicklung haben."  

Ein Vorteil von Grassroots-Bewegungen ist, dass sie sich an den Traditionen und den Umweltbedingungen vor Ort orientieren. "Jede Region und jede Kultur hat ihre eigenen Traditionen und ein eigenes Naturverständnis", sagt Brototi Roy. Die Doktorandin forscht an der Autonomen Universität Barcelona zu Bewegungen, die sich für Umweltgerechtigkeit einsetzen. "'Eco-Swaraj' lässt sich auf die unterschiedlichen lokalen Gegebenheiten ein und erkennt an, dass es nicht eine einzige Lösung für alle gibt."